Die Stadt, die nicht mehr schläft: New York will die Pandemie hinter sich lassen

Skyline mit Sehnsuchtsfaktor: Die Plätze auf den Decks der Fähren am East River sind schon wieder gut gefüllt.

Skyline mit Sehnsuchtsfaktor: Die Plätze auf den Decks der Fähren am East River sind schon wieder gut gefüllt.

New York. Noch ist das Podest nicht überfüllt. Karla Williams-Oliveira und ihr Mann Kaleb haben genügend Platz, sich am Times Square für ein Selfie vor den flimmernden Leuchtreklamen in Szene zu setzen. Die Maisonne strahlt, im Hintergrund ragt der 110 Meter hohe Wolkenkratzer, von dessen Spitze alljährlich am Silvesterabend die legendäre Kugel abgesenkt wird, in den blauen Himmel. „Es ist großartig“, schwärmt Kaleb: „Jetzt ist die ideale Zeit für einen Besuch.“

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Sehr kurzfristig hat der 29-Jährige vor wenigen Tagen seine Frau daheim in Florida mit den Flugtickets zum „Big Apple“ überrascht. Der Wochenendtrip sollte ein Liebesbeweis sein. Aber er ist auch ein Schnäppchen: Im Marriott Hotel mitten im Epizentrum des Touristenviertels werden die Zimmer gerade für 200 Dollar pro Nacht angeboten – zur Hälfte des normalen Preises.

Spontantrip übers Wochenende: Karla und Kaleb Williams-Oliveira sind aus Florida nach New York gekommen. Den Times Square finden sie gegenüber dem Vorjahr komplett verändert.

Spontantrip übers Wochenende: Karla und Kaleb Williams-Oliveira sind aus Florida nach New York gekommen. Den Times Square finden sie gegenüber dem Vorjahr komplett verändert.

Vor einem Jahr hatte Karla Williams-Oliveira schon einmal Freunde in der Stadt besucht – ein deprimierendes Erlebnis. „Es war kaum jemand auf den Straßen“, erinnert sich die Frau mit dem lustigen Mickey-Maus-Shirt. „Jetzt hat sich die Stimmung völlig gedreht: Die Leute lachen wieder und stehen zusammen. Das Leben ist zurück“, freut sie sich. Ob sie keine Sorgen wegen der Corona-Pandemie haben? Beide schütteln den Kopf. „Wir sind geimpft“, sagt Kaleb: „Wir fühlen uns sicher.“

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„Kommt her! Es ist sicher!“, wirbt der Bürgermeister

So wie das Paar denken viele Besucher, die neuerdings die Sehnsuchtsmetropole New York wieder bevölkern. Von der Stadt werden sie freudig empfangen. Erstmals in der Geschichte der Millionenmetropole hat Bürgermeister Bill de Blasio für 30 Millionen Dollar landesweit Werbespots geschaltet. Als besonderen Anreiz lässt er kostenlose Impfstationen in der Nähe von Touristenattraktionen wie der Brooklyn Bridge, dem Empire State Building oder dem Central Park errichten, wo Be­su­cher ohne Voranmeldung kostenlos die Einmalspritze von Johnson & Johnson erhalten können: „Das ist eine positive Botschaft für die Touristen“, sagt der Demokrat: „Kommt her! Es ist sicher!“

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An diesem Mittwoch wird de Blasio nun auch offiziell die Rückkehr zur Normalität verkünden: Dann fallen in der Stadt, über die Frank Sinatra einst schwärmte, dass sie niemals schläft, alle bisherigen Corona-Restriktionen. Restaurants, Hotels und Museen dürfen in vollem Umfang öffnen. Musiker und Schauspieler können vor Hunderten Zuschauern auftreten. Die U-Bahn rattert nach einjähriger nächtlicher Pause wieder rund um die Uhr. Und Banken und Geschäfte dürfen ihre Angestellten in die Büros zurückrufen.

Die Bilder von gut gelaunten Touristen, die neuerdings wieder auf den offenen Oberdecks der Sightseeingbusse durch die Straßen fahren, für Tickets im Metropolitan Museum anstehen oder mit der Fähre zur Freiheitsstatue übersetzen, kontrastieren scharf mit den bedrückenden Aufnahmen, die im vergangenen Frühjahr um die Welt gingen. Damals war New York als eine der ersten Großstädte von der Corona-Plage erfasst worden, und das Virus wütete in dem dicht besiedelten Hoch­haus­dschun­gel gnadenlos. Mehr als 32.000 Menschen verloren ihr Leben. Zeitweise mussten die Leichen in Kühl­trans­portern auf den Kranken­haus­park­plätzen gelagert werden.

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Rund 200.000 Jobs stehen auf dem Spiel

Der zur Eindämmung der Pandemie verhängte Lockdown hat den einstigen Touristenmagneten hart getroffen. Noch 2019 war eine Rekordzahl von 66 Millionen Besuchern gekommen. Im vergangenen Jahr waren es gerade mal 22 Millionen – der Großteil während der ersten zehn Wochen vor der rasanten Ausbreitung des Virus. Um 35 Milliarden Dollar brach der Umsatz von Hotels, Restaurants und Theatern ein. Rund 200.000 Jobs fielen einfach weg. Dieser ökonomische Nackenschlag soll nun wettgemacht werden. Zwar warnen Epidemiologen vor überstürzten Aktionen und riskanter Sorglosigkeit, doch zwei markante Entwicklungen rechtfertigen nach Meinung der Politiker die Lockerungen: Zum einen ist seit Ende März die Zahl der täglichen Neuinfektionen in New York City von mehr als 5000 auf unter 700 gefallen. Zum anderen ist in Manhattan, wo die meisten Besucher hinfahren, inzwischen gut die Hälfte der Bevölkerung vollständig geimpft.

Wären da nicht die Masken vor den Gesichtern vieler Passanten, könnte man schon jetzt den Eindruck haben, New York habe das Schicksalsjahr endgültig hinter sich gelassen. Zwar hat der private Autoverkehr nachgelassen, dafür sind aber deutlich mehr Fahrräder, E-Bikes und Paketboten unterwegs. Entlang der breiten Avenues, die Manhattan wie hektisch pulsierende Adern von Norden nach Süden durchziehen, haben sich die Restaurants im Freien mit aufwendigen Holz­kon­struk­tionen auf frühere Parkplätze ausgedehnt. Im arrivierten West Village und im schrägeren East Village herrscht am Wochenende Partystimmung. Wer dann von Manhattan nach Red Hook, einem Brooklyner Szeneviertel mit restaurierten Hafenspeichern und Wasserblick, übersetzen will, der muss Glück haben, noch einen Platz auf der Fähre zu ergattern.

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Ohne Maske: Angesichts hoher Impfzahlen und niedriger Infek­tions­werte fällt in den New Yorker Straßen allmählich der Mund-Nasen-Schutz. Nur wenige Einwohner gehen aber so weit wie der „Naked Cowboy“, der am Times Square für Touristen posiert.

Ohne Maske: Angesichts hoher Impfzahlen und niedriger Infek­tions­werte fällt in den New Yorker Straßen allmählich der Mund-Nasen-Schutz. Nur wenige Einwohner gehen aber so weit wie der „Naked Cowboy“, der am Times Square für Touristen posiert.

„Langsam füllt es sich“, beobachtet auch ein Verkäufer im Swatch-Laden am Times Square, wohin sich kaum ein echter New Yorker verirrt. Draußen schlendern Besuchergruppen vorbei. Der „Naked Cowboy“ posiert leicht bekleidet mit Hut, Slip, Lederstiefeln und Gitarre für verschämte ältere Urlauberinnen aus dem Mittleren Westen. Auch im Geschäft lassen sich wieder Kunden blicken. Zwei Sondereditionen der Plastikuhr mit Motiven aus dem Museum of Modern Art (MoMA) sind bereits ausverkauft. „Vor einem Monat noch war es hier tot“, berichtet der Verkäufer. Regelrecht surreal sei das gewesen: „Ich meine: Kannst du dir den Times Square ohne Menschen vorstellen?“

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Oper zu Pasta und Rotwein

Sechzig Blocks weiter nördlich scheint der Broadway am Sonntagabend schon wieder zu brodeln. Das italienische Caffè Taci lädt zum Opernabend ein. Zwei Stunden lang schmettern vier Sänger beliebte Arien zu Pasta und Rotwein. Alle Künstler sind geimpft. Die Tische der Gäste, deren Temperatur am Eingang gemessen wurde, stehen hinter Plexi­glas­scheiben.

Weder die transparenten Barrieren noch das verstimmte Klavier können die großartige Stimmung trüben. Am Ende wird ein Korb herumgereicht, mit dem Trinkgelder für die Sänger gesammelt werden. Einige sind an der legendären Metropolitan Opera aufgetreten. Doch seit die großen Bühnen vor einem Jahr geschlossen wurden, sind sie ohne festes Einkommen.

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„Vivere!“ (Leben) donnern die Barden am Ende leidenschaftlich ein italienisches Evergreen in den Raum. Es klingt wie eine trotzige Kampfansage an das Virus und seine Zumutungen. Doch ganz ausblenden lässt sich die Pandemie auch an diesem Abend nicht. Die Hälfte der Tische im Restaurant ist unbesetzt – ein ungewohnter Anblick für Leopoldo Mucci, der seit 25 Jahren die Opernabende organisiert. „Viele Leute möchten immer noch nicht drinnen sitzen“, weiß Mucci.

Vor einer Woche hat er ein Konzert auf der Straße vor dem Lokal auf der Upper West Side organisiert. Alle Tische waren besetzt. Aber ein Anwohner rief wegen angeblicher Ruhestörung die Polizei.

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Bis die offiziellen Kulturtempel wieder öffnen, werden noch ein paar Monate vergehen. Die Met und die New Yorker Philharmoniker haben alle Veranstaltungen bis zum Herbst abgesagt. Und auch die Broadway-Theater brauchen Vor­berei­tungs­zeit, um den normalen Spielbetrieb wiederaufnehmen zu können. Am 14. September aber kehren die ersten Produktionen auf die Bühnen zurück. Das Erfolgsmusical „Hamilton“ ist schon jetzt für die ersten beiden Wochen ausverkauft.

„Der Sommer wird viel versprechend“, ist Chris Heywood, der Sprecher der städtischen Marketingagentur NYC & Company, trotzdem überzeugt: „Die Leute sind ganz wild darauf, die verlorenen Urlaube des letzten Jahres nachzuholen.“ Tatsächlich meldet die Hotelbranche deutlich steigende Auslastungszahlen. Einige Herbergen, die auf dem Höhepunkt der Pandemie ganz geschlossen hatten, öffnen nun wieder.

Doch die Europäer fehlen

Einen Schönheitsfehler freilich hat das Comeback des Touristenmekkas am Hudson River noch: Derzeit kommen die Besu­cher fast ausschließlich aus den USA. „Richtig gut läuft es noch nicht“, gesteht ein fliegender Händler, der mit bunt bebilderten Broschüren für Sightseeingtouren wirbt. Offen gesteht er: „Die Europäer fehlen. Das sind unsere besten Kunden.“ Den Urlaubern vom Alten Kontinent aber verwehrt die US-Regierung wie Gästen aus China, Südafrika und Indien weiterhin aus Sorge vor einer Ausbreitung des Coronavirus die Einreise.

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„Wir wollen die Touristen aus Deutschland so schnell wie möglich zurückholen“, sagt Bürgermeisterkandidat Andrew Yang im Gespräch mit RND-Korrespondent Karl Doemens. Ein festes Datum für die Öffnung der Grenzen aber nennt er nicht.

„Wir wollen die Touristen aus Deutschland so schnell wie möglich zurückholen“, sagt Bürgermeisterkandidat Andrew Yang im Gespräch mit RND-Korrespondent Karl Doemens. Ein festes Datum für die Öffnung der Grenzen aber nennt er nicht.

Das Problem ist der Politik bewusst. „New York liebt die Touristen und hängt von den Touristen ab“, sagt Andrew Yang. Der Unternehmer und einstige Präsidentschaftskandidat der Demokraten gilt als aussichtsreichster Anwärter auf die Nachfolge von Bürgermeister de Blasio bei der Wahl im November. Bei den Diskussionen, die er derzeit in allen Stadtteilen führt, geht es um die Sicherheit auf den Straßen, die Öffnung der Schulen und eine effektivere Verwaltung – aber nicht nur: „Wenn ich mit Vertretern des Beherbergungsgewerbes rede, höre ich immer wieder, wie wichtig die internationalen Besucher sind“, berichtet Yang dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und versichert: „Wir wollen die Touristen aus Deutschland und aus anderen Teilen der Welt so schnell wie möglich zurückholen.“

Auf ein konkretes Öffnungsdatum festlegen aber will er sich nicht. „Ich hoffe, die Sache wird bis zu meinem Amtsantritt Anfang des nächsten Jahres erledigt sein“, weicht Yang vorsichtig aus: „Ansonsten werde ich dann alle Hebel in Bewegung setzen.“

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