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Der Wendler und der Wahnsinn: Deutschland sucht den Superspreader of Irrsinn
Der Wendler und der Wahnsinn: Deutschland sucht den Superspreader of Irrsinn
- Auch Schlagersänger Michael Wendler hat sich den Aluhut übergestülpt – und RTL verlassen.
- Warum steigt die Zahl prominenter Corona-Schwurbler wie Attila Hildmann oder Xavier Naidoo?
- Weil eine parallele Realität das natürliche Habitat von C-Promis ist. Eine Analyse von Imre Grimm.
Starr blickt er in die Kamera, putzig bemüht um staatsmännische Contenance. Aber das hier ist eben “der Wendler“, und da klappt das nicht so richtig mit der Coolness. Die komplizierten Wörter muss er ablesen, die Augen flackern hin und her, er ist ja noch neu im Land des Wahnsinns. Was der Schlagermann in dem kurzen Videoclip sagt, klingt wie eine Parodie auf Corona-Schwurbelei: Er werfe “der Bundesregierung bezüglich der angeblichen Corona-Pandemie und deren resultierenden Maßnahmen grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung und das Grundgesetz vor“, sagt Michel Wendler (48).
Träger des Ehren-Aluhutes mit Stern und Schulterband
Die Wörter rumpeln durch die Sätze wie die Gedanken durch den Wendler-Schädel. Sie entziehen sich grammatikalisch und inhaltlich den Gesetzen der Logik (Grundgesetz und Verfassung sind dasselbe). Alle Fernsehsender seien “gleichgeschaltet und politisch gesteuert“, raunt er, auch RTL, deshalb verlasse er jetzt die Jury der Castingshow “Deutschland sucht den Superstar“. Es sind jene bekannten Denklabyrinthe, in denen sich in wechselnder Intensität schon Xavier Naidoo, Eva Herman und vor allem Vegankoch Attila Hildmann verliefen, allesamt Träger des Ehren-Aluhutes mit Stern und Schulterband.

Nun hat das Land also auch noch “den Wendler“ an den Irrsinn verloren, dieses vornamenlose Schlagermissverständnis, das im RTL-Quatschkosmos als multipel einsetzbarer Fremdschamgenerator mit juveniler Gattin zerbrechlichen Ruhm erlangt hat. “Der Wendler“ wirkte stets wie eine Parodie auf sich selbst. Das erschwert die Entschlüsselung des aktuellen Vorgangs. Ein PR-Stunt? Ein Hoax aus der TV-Guerillahöhle von Oliver Pocher? Ein verzweifelter Versuch, für ein paar Schlagzeilen als Trittbrettfahrer auf Hildmanns Quatschexpress nach Absurdistan aufzuspringen?

“Das ist eine menschliche Tragödie“
Doch der Wendler meint das tatsächlich ernst, sagte sein Manager Markus Krampe in Pochers RTL-Show: “Auch für mich ist das ein Schock“, murmelte er dort mit rot geweinten Augen. “Für mich ist er krank. Tatsächlich krank.“ Seit drei Wochen sei der Wendler “immer krasser“ geworden. “Das ist eine menschliche Tragödie.“ Die Supermarktkette Kaufland stoppte prompt eine frisch gestartete Kampagne mit Wendler als Testimonial.
Als Superspreader of Wahnsinn hat sich dabei offenbar Hildmann betätigt: Wendler habe ihm “erzählt, er hätte die ganze Nacht mit Attila Hildmann telefoniert“, sagt Krampe. Wendler und Hildmann – eine unheilige Allianz des Unfugs. Doch die Sache ist nicht ausschließlich lustig: Beiden folgen Hunderttausende Suchende. Je komplexer die Gegenwart, desto fruchtbarer der Boden für falsche Propheten, die sich etwas Großem auf der Spur wähnen.
Fragile Seelen, die es nach Sinnstiftendem dürstet
Und Laura, des Wendlers jugendliche Buhlin? Braucht sie jetzt eine „Free Laura“-Aktion? Vorerst schmückt sie seelenruhig die heimischen Latifundien in Florida mit Skeletten für Halloween, zu besichtigen bei Instagram.
Warum lassen sich reihenweise Prominente vom Virus des Abwegigen infizieren? Vielleicht, weil nicht wenige von ihnen über fragile Seelen verfügen, die es früher oder später nach vermeintlich Sinnstiftendem dürstet. Prominentestes Beispiel ist Tom Cruise als Posterboy von Scientology. Man muss halt – wie auch Robbie Williams – ein bisschen mit dem Wahnsinn flirten, um überhaupt auf Bühnen zu drängen. Es hilft, Histrioniker zu sein, ein Persönlichkeitsbild, das extremes Streben nach Beachtung und übertriebene Emotionalität mit sich bringt. Auch deshalb heulen so viele Corona-Schwurbler in ihren Qanon-Videos Rotz und Wasser. Studien zeigen, dass ein geringes Selbstbewusstsein und der tiefe Wunsch, geliebt zu werden, mächtige Motoren für eine Showkarriere sind. “Mein Vater hat mir nie gesagt, dass er mich liebt“, sagte Michael Jackson mal mit Tränen in den Augen bei einem Auftritt vor Oxford-Studenten. “Ich bin das Produkt eines Mangels an Kindheit.“
Die Überzeugung, Gottes Geschenk an die Menschheit zu sein
Nun haben der Jackson und der Wendler in Begabungsfragen wenig gemeinsam. Was Narzissten aber eint, ist die Überzeugung, Gottes Geschenk an die Menschheit zu sein, umschwänzelt von einer begierigen Meute, die noch die kärgsten Brosamen aus dem Hirn durchtätowierter Sexknallchargen von irgendwelchen Reality-Traumstränden zu Knallern aufpustet.

Ein Mensch müsse, um berühmt und bewundert zu sein, entweder durch große Tugenden oder durch große Laster auffallen, schrieb der Schriftsteller Jean de la Bruyère im 17. Jahrhundert. Schon damals war eine Showkarriere ein fragiles Konstrukt aus Erwartungen, Talenten, Glück, Gelegenheiten, Selbstbild und Fremdbild, das gnadenlos demokratischen Gesetzen unterliegt. Niemand kauft aus Mitleid DVDs, Bücher oder Konzerttickets. Was nicht mehr gefällt, ist tot. Tatsächlich ist das Realityfernsehen ein Erkenntnisbeschleuniger, der nichts bewirkt, als schon vorhandene positive und negative Karrieretendenzen zu verstärken.
In der echten Welt war der Wendler kein Star
Die Parallelrealität der Trashfernsehens war immer das natürliche Habitat vom Wendler. In der echten Welt war er kein Star. Irgendwann muss er den Wunsch nach tieferer Durchdringung gespürt haben. In diesem Moment hätte ihm ein kluger Mentor gutgetan. Stattdessen traf er auf Attila Hildmann.