Der Missbrauchsfall Münster – eine Chronologie

Münster: Eine Gartenlaube, einer der Tatorte des vermutlichen Haupttäters in einem Missbrauchsfall, steht in einer Kleingartenanlage.

Münster: Eine Gartenlaube, einer der Tatorte des vermutlichen Haupttäters in einem Missbrauchsfall, steht in einer Kleingartenanlage.

Mal ist es ein Campingplatz, mal eine Kleingartenanlage – und immer wieder auch das Internet. Wenn Tatorte von Missbrauchsfällen an Kindern bekannt werden, ist das Entsetzen groß. Hätte nicht jemand etwas merken können? Genauer hinsehen sollen? Eingreifen müssen? Oft haben die Taten eine Vorgeschichte, bleiben lange unentdeckt oder sind langwierig aufzuklären.

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So wie der aktuelle Fall in Münster, bei dem zwischen der Wohnungsdurchsuchung bis zur Festnahme des Hauptverdächtigen Adrian V. ein ganzes Jahr verging. Hinzu kommt, dass der 27-jährige IT-Techniker schon 2016 und 2017 wegen des Besitzes von Kinderpornografie verurteilt worden ist – für Vergehen, die er viel früher begangen hat. Was geschah wann, und warum dauerte es so lange bis zur Verhaftung von Adrian V.? Eine Übersicht:

2010 (bis 2013): Adrian V. aus Münster, damals gerade einmal 17 Jahre alt, verbreitet kinderpornografisches Material im Internet. Dafür wird er später vom Jugendschöffengericht in Münster zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

2013: Mit etwa 20 Jahren lernt Adrian V. seine drei Jahre ältere Freundin Sabrina K. kennen, die bereits einen drei Jahre alten Sohn hat – den heute 10-jährigen Jungen, den Adrian V. sexuell missbrauchte oder missbrauchen ließ. Seit wann und in wie vielen Fällen, das ist Teil der aktuellen Ermittlungen. Die bisherigen Ermittlungen ergaben: Zusammen mit drei Männern hat Adrian V. den Jungen mit einem weiteren fünfjährigen Jungen Ende April 2020 stundenlang in einer Gartenlaube vergewaltigt – und diese Taten teilweise gefilmt.

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Adrian V.: Eine Bewährungsstrafe folgt der nächsten

2014: Wieder verbreitet Adrian V. kinderpornografische Videos im Internet. Im Sommer 2017 wird er dafür erneut in Münster verurteilt – erneut zu einer Bewährungsstrafe.

2015: Das Jugendamt der Stadt Münster bekommt Kenntnis über ein Strafverfahren gegen Adrian V. und nimmt wegen seiner nun bekannten pädophilen Neigung Kontakt zu der Familie auf. Der Fall kommt in die sogenannte Clearingstelle, in der solche Fälle anonymisiert von Polizisten, Psychologen und Pädagogen bewertet werden. Auch weil Adrian V. zu diesem Zeitpunkt offiziell nicht mit Sabrina K. und ihrem Sohn zusammenlebt, kommen die Behörden zu der Entscheidung, dass keine familiengerichtlichen Maßnahmen notwendig sind.

Januar 2016: Das Jugendschöffengericht Münster verurteilt Adrian V. wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischen Materials zu zwei Jahren auf Bewährung. Das Urteil bezieht sich auf die Taten zwischen 2010 und 2013 – also zu einem Tatzeitpunkt, an dem Adrian V. noch unter 21 Jahre alt war. Das Jugendschöffengericht verpflichtet Adrian V. auch dazu, eine Therapie zu machen. Über den Verlauf dieser Therapie ist den Behörden nichts bekannt.

Die Kindesmutter wird von da an vom Jugendamt Münster in ihrer Elternverantwortung belassen. Es habe bis heute keine Hinweise aus dem sozialen Umfeld auf eine mögliche Gefährdung oder Auffälligkeiten des Jungen gegeben, heißt es von der Stadt Münster.

Juni 2017: Das Schöffengericht Münster verurteilt Adrian V. erneut wegen der Verbreitung kinderpornografischer Dateien zu einer Strafe von zwei Jahren – wieder auf Bewährung. Dieses Urteil bezieht sich auf Taten zwischen September 2014 und Dezember 2014, sie sind also nicht während der Bewährungszeit nach dem ersten Urteil am 13. Januar 2016 passiert, sondern davor. Adrian V. hatte also nicht gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Außerdem hatte er seine Therapie wie auferlegt begonnen, sein Therapeut äußerte sich vor Gericht positiv über ihn. Wohl auch deshalb fällt die zweite Verurteilung nicht härter aus.

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2018: Ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt beginnt – wegen der Verbreitung von Kinderpornografie im Darknet. Bis eine Spur zu Adrian V. führt, vergehen noch viele Monate.

In dem Zeitraum von November 2018 bis Mai 2020 soll Adrian V. den Sohn seiner Freundin vergewaltigt und dabei gefilmt haben, um die Aufnahmen im Darknet zu verbreiten. Insgesamt 15 Taten werfen die Ermittler ihm auf Grundlage der elektronischen Beweismittel aktuell vor.

April 2019: Durch “Initiativermittlungen” stoßen LKA-Ermittler aus Nordrhein-Westfalen auf eine IP-Adresse, die zum Arbeitsplatz von Adrian V. führt – jetzt gibt es einen Anfangsverdacht gegen ihn. Beamte durchsuchen den landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Coesfeld, bei dem Adrian V. als IT-Techniker tätig ist. In welchem Arbeitsverhältnis der damals 26-Jährige dort stand, das sei Teil der aktuellen Ermittlungen, heißt es von der Polizei Münster auf Nachfrage. “Es gab keinen Tatverdacht gegen weitere Personen des landwirtschaftlichen Betriebes.”

7. Mai 2019: Ermittler der Kreispolizeibehörde Coesfeld durchsuchen daraufhin auch die Wohnung von Adrian V. im Münsteraner Stadtteil Kinderhaus. Sie stellen zahlreiche Datenträger (Laptops, Mobiltelefone etc.) sicher, die hochprofessionell verschlüsselt sind. Die Entschlüsselung dauert ein Jahr.

Wann die Kreispolizeibehörde Coesfeld das LKA informiert und das darauf spezialisierte Cybercrime-Kompetenzzentrum in die Ermittlung einbezogen hat, ist unklar. Nachfragen “können zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden”, heißt es von der jetzt zuständigen Polizei Münster gegenüber dem RND.

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25./26. April 2020: In der Gartenlaube der Mutter von Adrian V. in Münster sollen sich der IT-Spezialist mit drei weiteren Männern an zwei Kindern vergangen und die Taten teilweise gefilmt haben. Eines der Kinder ist der Stiefsohn von Adrian V. (10), das andere ist der Sohn (5) eines der anderen Männer. Dieser Missbrauch, den die Ermittler auf Videomaterial entdeckten, ist noch nicht Tatbestand des Haftbefehls. Die Mutter von Adrian V. soll mindestens bei dieser Missbrauchstat insofern Hilfe geleistet haben, als sie die Gartenlaube zur Verfügung stellte.

Ermittler stellen gelöschte Daten einer Festplatte wieder her

7. Mai 2020: Erneut gibt es eine Wohnungsdurchsuchung bei Adrian V. in Münster: Die Ermittler stellen umfangreiche Mengen an Datenträgern sicher, die wieder professionell verschlüsselt sind. Im Keller der Mutter von Adrian V. entdecken die Beamten einen klimatisierten, hochmodernen Serverraum.

12. Mai 2020: Einer der 2019 bei Adrian V. sichergestellten Laptops wird entschlüsselt. Auf der Festplatte fanden sich zahlreiche Dateien mit Missbrauchshandlungen “zum Nachteil des zehnjährigen Jungen aus dem häuslichen Umfeld des Beschuldigten”, wie die Polizei ein paar Wochen später mitteilt.

13. Mai 2020: Das Polizeipräsidium Münster übernimmt die Ermittlungen. Durch das Tatortprinzip wurde der Fall bis dahin von der Kreispolizeibehörde Coesfeld bearbeitet.

14. Mai 2020: Adrian V. wird morgens in der Innenstadt von Münster festgenommen. Kurze Zeit später wird der zehnjährige Junge bei einer Verwandten in Begleitung zweier Männer (29 und 35) aus Hannover angetroffen. Da es keine Anhaltspunkte für Straftaten gibt, werden sie vorerst nicht festgenommen. Der Junge wird direkt in die Obhut des Jugendamtes der Stadt Münster gegeben.

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15. Mai 2020: Die Gartenlaube wird durchsucht: Ermittler finden, in einer Zwischendecke versteckt, eine von Adrian V. gelöschte Festplatte.

4. Juni 2020: Die Daten der Festplatte aus der Gartenlaube können durch Experten des Polizeipräsidiums Münster wiederhergestellt werden. Die Beamten finden Videomaterial vom Missbrauch am 25./26. April 2020. Die Beschuldigten werden festgenommen: ein 30-Jähriger aus Staufenberg bei Gießen, dessen fünfjähriger Sohn zu den Opfern zählt, ein 42-Jähriger aus Schorfheide in Brandenburg und der am 14. Mai bereits aufgefallene 35-Jährige aus Hannover. Auch die Mutter von Adrian V. wird festgenommen. Vier weitere Verdächtige werden festgenommen, aber noch am selben Tag wieder freigelassen.

6. Juni 2020: Polizei und Staatsanwaltschaft Münster informieren die Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz über den Missbrauchsfall Münster.

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