Bundeswehr hilft in Hochwasserkatastrophe: „Das sah aus wie im Kriegsgebiet“

Ein Einsatzfahrzeug der Bundeswehr räumt in Aachen (Nordrhein-Westfalen) Geröll von der Straße.

Ein Einsatzfahrzeug der Bundeswehr räumt in Aachen (Nordrhein-Westfalen) Geröll von der Straße.

Berlin. Kein Rufen und keine Hektik: In der Herzkammer des militärischen Hilfseinsatzes für die Opfer der Unwetterkatastrophe sitzen Soldaten an Bildschirmen und vor Lageplänen. In kleinen Gruppen wird beraten. Seit Mittwochabend wird aus der Operationszentrale (OpZ) des Kommandos Territoriale Aufgaben in der Berliner Julius-Leber-Kaserne - eigentlich die Führungsstelle für die Corona-Amtshilfe - Unterstützung in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gesteuert. 60 Männer und Frauen arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten. Es gibt 16 „Länderlageteams“ aus je zwei Soldaten. Einsatzbereitschaft ist rund um die Uhr gegeben.

Militärischer Katastrophenalarm

Genau um 21.00 Uhr am Mittwoch vor einer Woche setzt dort das „Meldewesen“ zur Hochwasserkatastrophe ein. Wegen heftiger Regenfälle drohen zu diesem Zeitpunkt einem Depot der Bundeswehr in Mechernich am Rande des Nationalparks Eifel Überschwemmung und schwere Schäden für eingelagertes Gerät. Soldaten rücken zunächst aus, um die eigenen Anlagen abzusichern. Um 23.50 gibt der Kommandeur einen Militärischen Katastrophenalarm für Mechernich frei mit erweiterten Handlungsoptionen. Als sich die Lage zuspitzt, wird Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) dies für die ganze Bundeswehr anordnen, die seitdem im „Vollalarm“ ist.

+++ Alle Entwicklungen zur Hochwasserkatastrophe hier im Liveticker +++

Doch zunächst kommt es Schlag auf Schlag: Um 21.45 Uhr geht die Meldung zu einem in Sturzfluten überschwemmten Campingplatz im Ahrtal ein. Um 21.50 Uhr meldet die Bundeswehr-Feuerwehr Köln, dass sie zu einem Hochwassereinsatz ausrückt. Oberst Armin Schaus, Leiter Einsatz in der OpZ, kommt gegen 22.00 Uhr zurück in die Operationszentrale. Es ist klar, dass die Fluten schwerste Schäden bedeuten und Gefahr für Leib und Leben.

Das sah aus wie in einem Kriegsgebiet.

Armin Schaus, Leiter Einsatz in der Operationszentrale

Erst nach Sonnenaufgang ist ein genaueres Bild möglich. „Das sah aus wie in einem Kriegsgebiet. Ich war 1999 im Kosovo. Das war vergleichbar: Zusammenbruch der Infrastruktur, Verletzte, Vermisste, Tote“, sagt Schaus. Am Donnerstagmorgen wird in der OpZ überlegt, was nun abgefragt werden muss. „Wir brauchen Dinge für Evakuierungen, Boote, auch watfähige Fahrzeuge. Und alles, was mit Trinkwasser und der Stromversorgung zu tun hat, mit Kommunikation - und schweres Gerät wie Bergepanzer.“

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Nürburgring fungiert als Logistikzentrum

Die Bundeswehr soll ihre Stärken nun auch ins Krisengebiet bringen und den Beistand für die Menschen zur obersten Priorität machen. Weite Teile der Bundeswehr sind auf „zwölf Stunden notice to move“ - sie müssen sich bereithalten, innerhalb eines halben Tages losfahren zu können. Damit werden Fähigkeiten bereitgemacht. Im konkreten Einsatz sind derzeit etwa 1250 Männer und Frauen. Binnen 60 Minuten erwartet die Operationszentrale eine Antwort von angefragten Verbänden, wenn es um die Frage geht, ob und wie schnell ein Bergepanzer, ein Stromaggregat oder ein Unimog der Sanitäter einsatzbereit ist.

Auf dem Nürburgring - viel Platz im Fahrerlager - steht nun ein Logistikzentrum, von dem aus Hubschrauber Wasser und Hilfsgüter in abgeschnittene Dörfer fliegen. Militär, das Technische Hilfswerk (THW), das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und zivile Hubschrauberdienste arbeiten zusammen. Seit Montag setzt die Luftwaffe dort auch den Hubschrauber H145M der Spezialkräfte ein.

Die grobe Arbeit ist am Boden zu leisten. Wie in Hagen, wo Soldaten mit einem Bergepanzer die Straßen freiräumten und erst die Voraussetzung dafür schufen, dass Aufräumarbeiten möglich werden. In Essen wurde eine Brücke zu einem Tanklager unterspült. Dieses ist für die Treibstoffversorgung der Fahrzeuge von Hilfsorganisationen zentral. Pioniere bauten eine 30 Meter lange Brücke auf. In Erkrath schützten 60 Mann ein Umspannwerk vor Überflutung und wendeten einen größeren Stromausfall ab.

Aufräumarbeiten: Merkel erneut in Katastrophengebieten
 Bundeskanzlerin besucht Hochwassergebiet gemeinsam mit der Ministerpraesidentin von Rheinland-Pfalz Aktuell, 18.07.2021, Adenau, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Portrait beim Pressestatement in der Verbandsgemeinde Adenau im Anschluss an den Besuch des Ortes Schuld, der schwer von der Unwetterkatastrophe betroffen wurde. Adenau Rheinland-Pfalz Deutschland *** Federal Chancellor visits flooded area together with the Minister President of Rhineland-Palatinate Current, 18 07 2021, Adenau, Federal Chancellor Dr Angela Merkel in portrait at the press statement in the municipality of Adenau following the visit to the village of Schuld, which was severely affected by the storm disaster Adenau Rhineland-Palatinate Germany

Nach Rheinland-Pfalz jetzt Nordrhein-Westfalen: Die Bundeskanzlerin kommt erneut in die Katastrophengebiete, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen.

Ein Auftrag, über den nicht viele Worte verloren werden, ist die Bergung der Leichen aus dem Überflutungsgebiet. „Wir machen auch Aufgaben, die besonders viel Kraft erfordern: die Suche nach Leichen“, sagt Schaus dazu. „Das ist ein Teil der Wahrheit, dass das jemand machen muss.“ Auf dem Gebiet der besonders schwer getroffenen Ortschaft Schuld und dem weiteren Verlauf des engen Ahrtals sind 70 Soldaten zur „Flächensuche“ zwischen Trümmern, Schlamm und Baumstämmen unterwegs. Ein Truppenpsychologe begleitet diesen Einsatz.

Nur in Amtshilfe unterwegs

Dabei ist die Bundeswehr nur in Amtshilfe unterwegs, bis die Behörden von Kreisen und Bundesländern den Katastropheneinsatz wieder selbst leisten können - so will es das Gesetz. Dabei gibt es im Militär eine zentrale Steuerung und gleichzeitig Führen mit Auftrag vor Ort. Was insgesamt gut und was schlecht läuft, wollen die Offiziere nicht bewerten. Ein Blick in die Abläufe zeigt aber: Schon ein gemeinsamer digitaler Informationsraum, in dem alle Beteiligten ihre Lagedaten teilen, womöglich noch offen und als Verschlusssache, wäre ein Riesenfortschritt.

RND/dpa

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