Blondes Gift – wie schädlich ist Barbie?
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Barbie-Puppen im Jahr 2019: Einige von ihnen können surfen, andere sind Models, Journalistinnen oder Geschäftsfrauen.
© Quelle: Mattel/dpa
Hannover. Für Barbara Millicent Roberts, besser bekannt unter ihrem Spitzamen Barbie, hat sich der Traum von der ewigen Jugend erfüllt: Mit 60 Jahren ist sie noch immer faltenfrei, hat kein einziges graues Haar und dazu noch eine Topfigur – auch wenn sie etwas zugenommen hat in den vergangenen drei Jahren.
Einige Modelle haben keine grotesk überzeichnete Wespentaille mehr, sondern Bauch. Die neuen Kurven sollen Barbie ein realistisches Aussehen verleihen und damit ihre Vorbildfunktion für kleine Mädchen stärken. Denn das ist Barbies Ziel, seit sie am 9. März 1959 offiziell auf der New Yorker Spielwarenmesse von der Firma Mattel aus der Taufe gehoben wurde, just einen Tag nach dem internationalen Weltfrauentag.
Doch gerade in den Augen vieler Eltern, Psychologen und Ernährungswissenschaftler ist die Miniaturfrau trotz wechselvoller beruflicher Karriere von der Astronautin bis zur Präsidentin keine Gallionsfigur der Emanzipation, sondern ein plastikgewordener Albtraum, unter dessen pinkfarbenem Deckmantel Schlankheitswahn und tradierte Geschlechterrollen Eingang in die Kinderzimmer finden.
Schon ein Kontakt mit der Puppe reicht, um Dünnsein als Körperideal zu verinnerlichen
Zwar würde es heute nie wieder zu einer Neuauflage der „Pyjamaparty“-Barbie von 1965 kommen, die unterm Zahnstocherarm ein Buch trug mit der Aufschrift „Abnehmen – iss nichts“, dennoch dominieren bei Spielzeuganbietern immer noch die spindeldürren Ableger.
Aus Sicht von Psychologen wie Marika Tiggemann ist das fatal. Die Professorin an der Flinders University im australischen Adelaide forscht auf dem Gebiet menschlicher Körperbilder und sorgte vor zwei Jahren weltweit mit einer zwar kleinen, aber doch bemerkenswerten Studie für Aufsehen: 160 Mädchen im Alter von fünf und acht Jahren wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe sollte mit Barbies, die andere mit anderen Puppen spielen.
In anschließenden Interviews mit den Kindern zeigte sich, dass die Barbie-Gruppe stärker als die anderen Mädchen Aussehen und Dünnsein für besonders wichtig hielten. Tiggemanns Fazit gleicht einer Warnung vor Barbie als blondem Gift: Schon ein erster Kontakt mit der Plastikpuppe reiche, um Dünnsein bei Mädchen als Körperideal zu verinnerlichen und auf diese Weise ihre Entwicklung zu stören. „Man sollte Kindern keine Barbies geben, besonders wenn sie klein sind“, betonte Triggeman gegenüber dem australischen Onlinemagazin „Herald Sun“.
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Jung, blond – und ein paar Kilo leichter: Die "Teenage Fashion Model Barbie" von 1959 und ihr Begleiter Ken aus dem Jahr 1961.
© Quelle: Mattel/dpa
Andreas Schnebel, Psychologe und Vorsitzender des Bundesfachverbands Essstörungen mit Sitz in München sieht das ähnlich, macht aber auch das soziale Umfeld mit verantwortlich für die seinen Erkenntnissen zufolge immer früher einsetzende Auseinandersetzung mit Aussehen und Figur, gerade bei Mädchen.
„Die Konfrontation mit vermeintlich idealen Körperbildern ist nicht nur in Medien oder im Internet allgegenwärtig, sondern auch im Straßenbild und in der Familie: Viele Mütter leben ihren Töchtern vor, wie wichtig Dünnsein und perfektes Styling ist“, kritisiert Schnebel.
Die Mütter und die älteren Schwestern orientierten sich dabei an Models und Schauspielerinnen, für die jüngeren Mädchen sei die Barbie „die Vorstufe von Heidi Klum“. Grundsätzlich verbieten würde er die Barbie im Kinderzimmer nicht. „Aber wenn es eine sein muss, dann bitte eine von den fülligen Modellen, die es mittlerweile zu kaufen gibt“, rät er.
Spätes Figur-Makeover für Barbie
Angesichts der auch im Zusammenhang mit Magermodels und Körperkult auf Social-Media-Plattformen geführten Debatte um Körperbilder hat Hersteller Mattel mit seinem Figur-Makeover für Barbie verhältnismäßig spät gehandelt. Erst seit 2016 gibt es Barbie mit ausgeprägten Oberschenkeln und breiteren Hüften und in unterschiedlichen Größen.
Zuvor hatte die Firma trotz Kritik an den übertrieben schlanken Formen der Puppe mit der Begründung festgehalten, Kinder könnten sie so am besten an- und ausziehen. Der Richtungswechsel hin zu Modellen mit mehr Proportionen brachte dem US-Unternehmen zunächst auch nicht den ersehnten Erfolg.
Erst 2018 ging es für Mattel dank Barbie wieder aufwärts: Die Puppe brachte mehr als eine Milliarde Umsatz. Ihr Comeback verdankt die Kultblondine Marktforschern zufolge einer Marketingoffensive zu ihrem 60. Geburtstag. Dazu zählt neben einem noch stärkeren Fokus auf körperliche und kulturelle Vielfalt auch Barbies neue Präsenz im Netz. So hat die Kultpuppe etwa einen eigenen Vlog, in dem sie als animierte Ratgeberin oder Influencerin auftritt.
Barbie-Film mit Margot Robbie in der Hauptrolle
Vielleicht ist Barbie bald schon realistischer, als es manchem Erwachsenen lieb ist: Mattel und das Filmstudio Warner Bros. haben sich zusammengetan, um Barbie auf die Leinwand zu bringen. Die Schauspielerin Margot Robbie soll die Hauptrolle in der Realverfilmung übernehmen.
Sie ist groß, schlank, blond und nach eigenen Worten „sehr geehrt“, die Puppe spielen zu dürfen, denn Barbie fördere „Selbstvertrauen, Neugierde und Kommunikation während der ganzen Reise eines Kindes zur Selbstfindung“. Ein Starttermin für den Film steht noch nicht fest. Doch eines ist jetzt schon klar: Im Alter von 60 Jahren steht Barbara Millicent Roberts auf dem Gipfel ihres Ruhms.
Von Kerstin Hergt