Den Briten geht das Benzin aus: Panik an der Tankstelle

An einer Tankstelle in London sind die Zapfsäulen außer Betrieb.

An einer Tankstelle in London sind die Zapfsäulen außer Betrieb.

London. An diesem trüben Montag stehen die Autos an der Esso-Filiale im Londoner Stadtteil Stoke Newington mehrere Hundert Meter in beide Richtungen. Es wird gehupt und gedrängelt. Ein Mann steigt aus seinem grauen Audi und ruft einem anderen Fahrer wüste Schimpfworte zu.

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Auch Selma ist frustriert, versucht jedoch, ruhig zu bleiben, sagt sie gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die 32-Jährige arbeitet als Kellnerin weiter außerhalb der Stadt und ist deshalb auf ihr Auto angewiesen. Sie ist sich sicher, den Grund für diese Misere zu kennen: „Der Brexit ist schuld. Seitdem hat sich alles geändert.“ Seit Freitag versucht die Britin, an Benzin zu kommen – ohne Erfolg.

Wie in Stoke Newington kochen aktuell an fast jeder Tankstelle in Großbritannien die Emotionen hoch. Am Wochenende kam es sogar zu Schlägereien. Der Grund: Das Benzin wird knapp.

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Lkw-Fahrer fehlen

Die Zahlen über das Ausmaß des Notstands schwanken. Laut Brian Madderson, dem Vorsitzenden der Petrol Retailer Association (PRA), hatten am Sonntag zwischen 50 und 90 Prozent der dem Verbund zugehörigen Tankstellen keinen Kraftstoff mehr. Die restlichen werden wohl bald folgen, sagte er.

Zur Eskalation beigetragen habe laut Madderson ein Whistleblower, der vergangene Woche einen vertraulichen Bericht des britischen Öl- und Gaskonzerns BP öffentlich machte. Darin war von drohenden Kraftstoffengpässen die Rede. Die Folge: Die Menschen bekamen Panik.

„Manche Filialen haben seit vergangenen Donnerstag 500 Prozent mehr Benzin verkauft als üblich“, sagte der PRA-Chef. „Man kann sich vorstellen, welche Auswirkungen das bei rund 36 Millionen Fahrzeugen im Land hat.“

Dabei mangelt es jedoch nicht am Benzin selbst, sondern an den nötigen Lkw-Fahrern, um dieses auf die Insel zu transportieren. Laut Medienberichten haben infolge des Brexit und der Pandemie 40.000 Fahrer das Land verlassen. Außerdem wurden aufgrund der Corona-Beschränkungen in den vergangenen Monaten weniger von ihnen ausgebildet.

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Alles in allem fehlen nun in Großbritannien rund 100.000 Arbeitskräfte in diesem Bereich. Die Auswirkungen spüren die Briten längst, ob an der Tankstelle, im Supermarkt oder Fachgeschäft: Immer wieder kommt es zu Verzögerungen bei der Lieferung bestimmter Waren.

Greift „Operation Escalin“?

Verschärft wird die Situation im Fall von Benzin dadurch, dass Tanklastwagenfahrer eine spezielle Ausbildung benötigen. „Sie sind mit Tausenden Litern hochentflammbarer Flüssigkeit unterwegs, mit der man richtig umgehen muss“, erklärte Madderson.

Es ist aber auch der Brexit, der zu dieser Situation geführt hat. Denn etliche Fahrer schrecken davor zurück, nach Großbritannien zu kommen – vor allem wegen des hohen Bürokratieaufwandes.

Die britische Regierung ist sich des Ernstes der Lage bewusst, und so kamen Premierminister Boris Johnson und seine Minister schon am Wochenende zusammen, um über mögliche Schritte zu beraten. Ein Szenario sieht vor, Hunderte britischer Soldaten damit zu betrauen, Kraftstoff zu verteilen. Damit greift die Regierung auf einen Plan zurück, den sie für den Fall eines No-Deal-Brexit erarbeitet hatte. Der Name: „Operation Escalin“.

Darüber hinaus zieht die konservative Regierung in Erwägung, ausländischen Lkw-Fahrern ein vorübergehendes Visum auszustellen. Dieses soll jedoch nur für drei Monate gelten und pünktlich am Abend des Ersten Weihnachtsfeiertags auslaufen. Bei Regierungskritikern, insbesondere im proeuropäischen Lager, sorgte die Ankündigung für Entrüstung.

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Kunden dürfen nur noch geringe Mengen Benzin kaufen

Brian Madderson äußerte ebenfalls Zweifel an dieser Strategie: „Ob Menschen so schnell und für so einen kurzen Zeitraum nach Großbritannien kommen, ist fraglich.“ Außerdem herrsche auch in den Ländern der EU ein Mangel an diesen Fachkräften.

Schließlich erwägt die britische Regierung, das Gesetz zur Wettbewerbsbeschränkung für die betreffenden Unternehmen im Königreich vorübergehend außer Kraft zu setzen. Das Ziel: Mithilfe von Absprachen könnten Gegenden im Land mit Benzin beliefert werden, in denen es besonders benötigt wird, sagte Wirtschafts- und Energieminister Kwasi Kwarteng.

Die Tankstellenbetreiber haben indes selbst Maßnahmen getroffen, um die Situation zu entschärfen. So dürfen Kunden in vielen Filialen nur noch Benzin bis zu einem bestimmten Betrag erwerben – dabei schwanken die Beträge zwischen umgerechnet 12 und 24 Euro pro Tank.

Brian Madderson hofft, dass sich die Lage bis Ende der Woche zumindest beruhigt hat. Die Autofahrer im Königreich werden es sicherlich begrüßen.

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