Autor Roberto Saviano hält die Mafia für unbesiegbar
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/BAXF4CTWPMD6S4FNE3BCCS77FE.jpg)
Engagiert sich gegen das organisierte Verbrechen: Roberto Saviano.
© Quelle: Jacqueline Schulz
Herr Saviano, wir sitzen hier in einem Berliner Hotel: Wie viele Leute schützen in diesem Moment Ihr Leben?
Die Zahl hängt davon ab, ob ich mich in geschlossenen Räumen aufhalte oder ob ich mich in einer Menschenmenge bewege. Hier in Berlin habe ich drei Bodyguards, in Italien sieben. Bei einer Veranstaltung kann sich die Zahl verdoppeln.
Haben Sie sich in den 13 Jahren seit Erscheinen Ihres Buches „Gomorrha“ an diese Bewachung gewöhnt?
Manchmal glaube ich das, dann zweifle ich wieder. Der Zustand ist kein in vollen Zügen gelebtes Leben – aber viel besser als der Tod. So gesehen habe ich Glück: In Europa werden heute Journalisten ermordet. Denken Sie an Ján Kuciak in der Slowakei oder Daphne Caruana Galizia auf Malta, die beide über mafiöse Strukturen recherchierten.
Warum ist das Leben für Journalisten gefährlicher geworden?
Heute sind Regierungen vielfach Feinde von investigativen Journalisten. Regierungen wollen alle jene stoppen, die über die Macht von kriminellen Organisationen berichten. Gerade die italienische Regierung heute ist gefährlich, weil sie immer autoritärer agiert.
Wieso ist die Anziehungskraft der Mafia so groß?
Die Mafia profitiert von der Arbeitslosigkeit. Der wöchentliche Lohn eines jungen Mannes im Süden Italiens beträgt etwa 50 Euro – ohne jede soziale Absicherung. Das Gehalt eines Camorra-Angestellten liegt bei 2000 Euro plus Urlaub und Krankenversicherung. Noch dazu hat er die Chance, die soziale Leiter in der Organisation emporzuklettern. Ein Killer kostet 5000 Euro. Die Mafia kann also billig Leute einstellen.
Sie sind in Süditalien aufgewachsen: Warum sind Sie kein Krimineller geworden?
Meine Familie gehörte zur Mittelklasse, sie hat mich beschützt. Vor allem aber fühlte ich eine tiefe Wut. Die Mafia hat so vieles zerstört. Illegaler Müll landete im Meer, Gebäude wurden ohne Genehmigung hochgezogen. Die Korruption war allgegenwärtig.
Ihr Roman „Der Clan der Kinder“ kommt jetzt ins Kino: Wie nahe kommt die Geschichte der Wirklichkeit in Neapel?
Das Phänomen ist erst seit wenigen Jahren bekannt: Jugendliche stoßen in die Lücken der Macht, wenn erwachsene Bosse im Gefängnis landen. Unsere Schauspieler haben wir in den Straßen gefunden. Keiner von ihnen ist ein Krimineller, aber sie kennen die Kinderbanden aus ihrer Nachbarschaft.
Warum gibt es in Italien keinen nationalen Aufschrei?
Wenn es einen Mord gibt, bei dem ein Kind stirbt, demonstrieren die Minister Aktivität. Aber das ist nach ein paar Tagen wieder vorbei. Wenn die Politiker es ernst meinten, würden sie Erziehungsprojekte starten und Investoren nach Süditalien bringen. Die einzige legale Einnahmequelle in Neapel ist der Tourismus. Die Stadt ist wunderschön, das Essen grandios. Fahren Sie bitte hin!
Sind solche Jugendgangs nur in Italien unterwegs?
In Deutschland glauben viele, dass es Kriminalität dieser Art nicht gibt. Ja klar, es sind längst nicht so viele, aber Babygangs existieren auch hier, etwa in Ostdeutschland.
Wie lässt sich die Mafia bezwingen?
Es gibt keine Möglichkeit, die Mafia zu besiegen. Ihre Mechanismen funktionieren auch nach Verhaftungen weiter. Das gilt erst recht heute bei all den ökonomischen Schwierigkeiten in Europa.
Spazieren Sie manchmal noch heimlich durch die Straßen von Neapel?
Zuletzt vor zwölf Jahren.
Denken Sie darüber nach, ein neues Leben zu beginnen?
Ich habe für mich entschieden, eine öffentliche Figur zu sein. Ich könnte nach Neuseeland verschwinden und jemand anders werden, aber dann wäre ich eben nicht mehr der, der ich bin.
Stefan Stosch / RND
Lesen Sie auch: Die italienische Mafia expandiert nach Deutschland