Aufsteigerstadt Bochum: mehr als nur der VfL und Grönemeyer

Die Innenstadt von Bochum.

Die Innenstadt von Bochum.

Bochum. „Currywurst, Pommes, Fiege-Pils – das Aufsteigermenü“ prangt an dem Imbiss in der Nähe des Bochumer Hauptbahnhofs. Es ist nur ein Indiz von vielen, dass an diesem Wochenende etwas anders ist in der Stadt. Schon seit Tagen hängen aus den Fenstern blau-weiße Fahnen, wippen an vorbeifahrenden Autos Wimpel im Wind, werden trotz frühlingshafter Mai­tempe­raturen Schals mit Stolz getragen. Auch die Straßenbahnlinie 318 fährt öfter als sonst mit dem Logo des VfL. Der Verein macht sich bereit für die Rückkehr in die Bundesliga – das ist in der Ruhrpottmetropole nicht zu übersehen.

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Wer sich an diesen Tagen in der Stadt mit einem Trikot oder Schal begegnet, der nickt wissend, anerkennend. „Steigen wa auf?“ „Sicha dat!“ Man ist optimistisch, wenn auch etwas vorsichtig gestimmt in den Straßen der 370.000-Einwohner-Stadt. Elf Jahre lang hat man sich hier mit der zweiten Fußball-Bundesliga begnügt und immer wieder gehofft, gebangt und zwischendurch auch mal resigniert. So richtig glauben kann man diesen plötzlichen Erfolg noch nicht. Lange sind die Zeiten her, als die Bochumer die „Unabsteigbaren“ waren, man es sogar mal auf Platz fünf der ersten Liga schaffte und 1997 im Uefa-Cup spielen durfte. Ambitionen wie Schalke oder Dortmund – die hatte man schon lange nicht mehr. Aber erste Liga? Das wäre schon mal wieder was, da sind sich die Bochumer und Bochumerinnen in diesen Tagen einig. Ausgerechnet in dieser für alle Vereine ungewöhnlichen Saison, ohne Beteiligung der Fans im Stadion, war der Aufstieg plötzlich unerwartet zum Greifen nah – und gleichzeitig so sehr erwünscht.

Zu hohe Inzidenz: Bochums Außengastronomie noch dicht

Und dann ist das letzte Spiel gegen Sandhausen auch noch „anne Castroper“, wie die Bochumer sagen. Also ein Heimspiel an der Castroper Straße, wo sich das Vonovia-Ruhrstadion befindet. Nur rein dürfen die Fans wegen der Corona-Pandemie leider nicht – unter normalen Umständen hätten am Sonntag wohl knapp 28.000 Fans hier ihren Verein gefeiert. So voll war das Stadion auch vor der Pandemie meist nur zu besonderen Spielen wie im Pokal gegen Bayern München oder einem Derby, in diesem Fall wäre es ganz gewiss genauso gewesen.

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Ganz Bochum in blau-weiß: In dieser Straße sind die Fenster mit VFL-Flaggen geschmückt worden.

Ganz Bochum in blau-weiß: In dieser Straße sind die Fenster mit VFL-Flaggen geschmückt worden.

Anschließend wären die Massen vielleicht erst in die Ritterburg, eine am Stadion befindliche Kneipe, und dann ins „Bermuda-Dreieck“ weitergezogen, Bochums legendäres Kneipenviertel, das nicht nur die Einwohner und Einwohnerinnen der Stadt anzieht, sondern Gäste aus dem ganzen Ruhrgebiet. Doch auch das ist in diesem Jahr nicht möglich: Eine zu hohe Inzidenz verhinderte in Bochum die Öffnung der Außengastronomie am Wochenende – erst Pfingstmontag dürfen die vielen Cafés und Kneipen wieder öffnen. Für die VfL-Fans zu spät. Hunderte von ihnen deckten sich stattdessen an den vielen Trinkbuden der Stadt ein und machten sich mit ihren Getränken und Bollerwagen auf den Weg Richtung Stadion.

Verein bat darum, nicht zum Stadion zu kommen

Dabei sollen genau dort Massenansammlungen vermieden werden. Beim letzten Spiel gegen Nürnberg hatten sich fast 5000 Fans vor dem Stadion versammelt, um den Mannschaftsbus zu verabschieden. Beeindruckende Bilder von feiernden Massen und Pyrotechnik wurden in den sozialen Medien geteilt. An die Corona-Regeln hielten sich nur wenige. Für den Fall des Aufstiegs befürchteten Stadt und Verein noch mehr feiernde Fans – und baten auf verschiedenen Kanälen, doch bitte nicht zum Stadion zu kommen. „Bitte unterstützt den VfL von zu Hause aus“, hieß es beispielsweise auf der Facebook-Seite des Vereins.

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Dass sich davon nicht alle Fans abhalten ließen, war den meisten sicherlich bewusst. Wohl auch deshalb war bereits am Tag vor dem Spiel das Vonovia-Ruhrstadion komplett umzäunt und auch mit Sichtschutz abgesperrt. Die Mannschaft werde sich auf keinen Fall zeigen, hieß es. Zwei Stunden vor dem Spiel positionierten sich bereits Polizeiwagen und Ordner und Ordne­rinnen an der Castroper Straße, die zwischenzeitlich sogar gesperrt wurde. Auch die Straßenbahnen ließen den Halt am Ruhrstadion aus. Geholfen hat das nicht viel: Videos und Fotos zeigen VfL-Fans im Umfeld des Stadions, dicht an dicht jubelnd. Die Polizei wird später von bis zu 7000 Menschen sprechen, die am Stadion und in der Innenstadt den Aufstieg feierten. Kurzzeitig schlug die Open-Air-Party sogar in Gewalt um, die Bochumer Polizei wandte sich noch am Sonntagabend mit einem offenen Brief an die Bochumer Fans und beklagte Angriffe gegenüber ihren Beamten und Beamtinnen und den Einsatz gefährlicher Pyrotechnik.

Vor dem Stadion feiern Fans mit Pyrotechnik.

Vor dem Stadion feiern Fans mit Pyrotechnik.

Doch was bringen dieser Verein und diese Stadt eigentlich mit in eine Liga, die im kommenden Jahr auf so große Vereine wie Schalke 04 und Werder Bremen verzichten muss? Leidenschaft – und treue Fans. Die oft erwähnte Fußballkultur, in Bochum wird sie gelebt. Ruhrgebietler und Ruhrgebietlerinnen werden in einen Verein „hineingeboren“ und bleiben ihm in der Regel ein Leben lang treu. Kürzlich erst feierte Bochum das 13.000. Mitglied – beim VfL wird dieses noch persönlich begrüßt, von Vereinslegende Darius Wosz. Für die erste Liga sind dies nicht unbedingt viele Mitglieder, in der zweiten Liga rangierte der VfL bei den Mitgliederzahlen in der vergangenen Saison auf Platz sechs – unter anderem hinter dem HSV und St. Pauli. Auch in Sachen Kader ist der VfL im Vergleich noch etwas zurück. Laut transfermarkt.de hat der aktuelle Kader einen Wert von knapp 22 Millionen Euro – Nachbar und Absteiger Schalke wird auf 108 Millionen Euro geschätzt.

Die erste Liga wird im kommenden Jahr um eine der bekanntesten Fußballhymnen reicher: „Bochum“. Das Lied, das Herbert Grönemeyer bereits 1984 seinem Lieblingsverein widmete, läuft noch heute vor jedem Heimspiel zur Einstimmung im Stadion. Der Sänger selbst war zuletzt vor zwei Jahren im Stadion gewesen – damals war Grönemeyer als Co-Kommentator für Amazon Music vor Ort und sang vor dem 3:2 gegen Fürth seine Zeilen „Machst mit ’nem Doppelpass jeden Gegner nass – du und dein VfL“ vor der Ostkurve live. Grönemeyer hat übrigens auch mit einem weiteren Song ein Bochumer Kulturgut beworben: „Currywurst“. Im Pott wurde sie zwar nicht erfunden, aber – da sind sich die Bochumer einig – die „Dönninghaus“, die es auch im Stadion gibt, soll die beste in Deutschland sein.

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Auch Grönemeyer, nach eigenen Angaben mit vier Jahren zum ersten Mal im Bochumer Stadion gewesen, freut die Rück­kehr des VfL in die erste Liga. Direkt nach Abpfiff äußerte sich Vereinsmitglied Nummer 4630 gegenüber WDR 2 stolz mit den Worten „Das ist klasse, wie sie das gemacht haben, Riesenglückwunsch. Ich freue mich riesig.“ Und er machte auch noch mal klar: „Ich bin Bochumer und VfL-Fan durch und durch. Im Ruhrgebiet ist Fußball mit Dortmund, Schalke, Duisburg und auch Rot-Weiss Essen ganz tiefe Kultur.“

Bochum hält in Sachen Musical einen Rekord

Doch Bochum kann nicht nur Fußball, Bochum hat auch noch mehr Kultur. Zwar liegt die Branche aktuell wie in den meisten anderen Städten noch brach, Bochums Kulturschaffende und Künstlerinnen und Künstler stehen aber bereits wieder in den Startlöchern. So ist Bochum über die Stadtgrenzen hinaus ein Magnet für Musicalfans – seit mehr als 32 Jahren kommen Touristinnen und Touristen in die Stadt, um „Starlight Express“ zu sehen. Das Stück von Andrew Lloyd Webber hält weltweit den Rekord als das Musical mit der längsten Spielzeit an einem Ort. Aktuell hofft das Theater auf eine Wiederöffnung Anfang Oktober diesen Jahres. Wann das Bochumer Schauspielhaus wieder in den Normalbetrieb zurückkehrt, ist hingegen bislang unklar – derzeit wirbt das Theater noch für seine Livestreams im Mai. Erst vor fünf Jahren eröffnete die Stadt einen weiteren Kulturspot: Das Anneliese-Brost-Musikforum, die neue Heimat der Bochumer Symphoniker und einer Musikschule.

„Bochum hat viel Klasse und Kultur – bei vergleichsweise schwierigen Startbedingungen“, sagte der Wahl-Bochumer und Moderator Micky Beisenherz erst kürzlich gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Mit schwierigen Bedingungen meint Beisenherz wohl auch den strukturellen Wandel, den die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat. Das Ruhrgebiet und insbesondere Bochum mussten sich immer wieder neu erfinden: Nach dem Ende des Kohleabbaus verloren viele Bochumer ihre Jobs, ebenso nach der Schließung des Nokia- oder des Opel-Werks 2014. Umso beeindruckender, wie die Stadt seit einigen Jahren wieder aufblüht: Auf einer 70 Hektar großen Fläche ist auf dem ehemaligen Opel-Gelände mittlerweile das Mark 51°7 entstanden. In dem Quartier, in dem unter anderem DHL ein „Mega­paket­zentrum“ errichtet hat und in das Dutzende Unternehmen bereits investiert haben, sollen bis 2025 fast 8000 Jobs entstehen.

Die Stadt Bochum hat in den vergangenen Jahren also mit viel Arbeit und Schweiß den Aufstieg geschafft – und der VfL Bochum hat es ihr heute gleichgetan.

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