Alles in Ordnung? Marie Kondo und der Hype ums Aufräumen
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Die Japanerin Marie Kondo vermittelt in ihren Bestsellern und ihrer gerade auf Netflix gestarteten Serie, dass nur ein aufgeräumtes Leben auch ein glückliches sein kann. Doch stimmt das wirklich?
© Quelle: Seth Wenig/AP
Hannover. Der Jahresanfang ist geprägt von guten Vorsätzen. In diesem Jahr könnte man annehmen, sie seien Mensch geworden. Es ist die Japanerin Marie Kondo, die uns das Gefühl vermittelt, dass uns Ordnung in unserem Leben guttun würde. Für diejenigen, die schon nicht genug Disziplin aufbringen, um endlich den Keller zu entrümpeln oder die Unterlagen für die Steuererklärung zu ordnen, ist Kondo sogar mehr als das: Sie ist das personifizierte schlechte Gewissen.
In der nach ihr benannten Netflix-Serie sortiert die 34-jährige Beraterin mit einer Ausdauer und Disziplin Socken in Boxen, dass einem schwindelig werden kann. Röcke, Blusen, Hosen und Handtücher: Alles faltet die Japanerin mit einer Präzision, von der jede deutsche Hausfrau in den braven Fünfzigerjahren nur hätte träumen können.
Wenn Kondo fertig ist, ist die Kleidung so stabil gestapelt, als sei sie in Beton gegossen. Die sogenannte Konmari-Methode soll den Dingen einen festen Platz geben – und den Menschen, denen sie gehören, den Überblick. Denn Kondo räumt nicht nur auf, sie mistet aus und entfernt containerweise Ballast aus jedem Haus, das ihr geöffnet wird.
Selbstoptimierung liegt im Trend
Ordnung macht glücklich, so in etwa lautet die Botschaft Kondos, oder soll man vielleicht sogar sagen, das Kommando? Wenn man sich so umschaut, gibt es viele, die ihren Worten Glauben schenken. Immerhin haben weltweit sieben Millionen Menschen das Buch „Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“ der Japanerin gekauft.
Wie viele ihre Serie auf Netflix gesehen haben, lässt sich nur schätzen, da der US-Streamingdienst keine Zahlen veröffentlicht. Es ist aber schwer anzunehmen, dass Kondo sogar noch mehr Zuschauer als Leser hat. Selbstoptimierung liegt im Trend. Kondos Nachname wird im Englischen bereits als Verb genutzt: To kondo steht dort für „einen Schrank aufräumen“.
In diesem Punkt ist Kondo tatsächlich nah bei den Menschen. Es gibt wohl kaum ein Thema, das in einer zwischenmenschlichen Beziehung ähnlich viel Konfliktpotenzial entfaltet wie die Ordnung. Schließlich ist ein deutsches Büro ohne diesen laminierten Zettel mit der Aufschrift „Benutzte Kaffeetassen bitte in den Geschirrspüler räumen“ eigentlich undenkbar. Und wer kennt sie nicht, die Menschen an der Leergutannahme, die das Flaschenpfand von gefühlt sechs Monaten abgeben und die in der Warteschlange ausgerechnet vorne stehen?
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Gute Fee im Kampf gegen die Unordnung – und für manche das personifizierte schlechte Gewissen: Beraterin Marie Kondo.
© Quelle: Seth Wenig/AP
Zu Hause, in der Familie ist es gar nicht einmal anders: Wer macht den Abwasch? Wer ist heute an der Reihe, den Müll hinunterzubringen? In den meisten Familien bilden diese Fragen den Auftakt zu einem handfesten Streit. Mehr als jede dritte Frau (38 Prozent) wünscht sich, dass der Mann mehr mitanpackt. Gleichzeitig sagt die Mehrheit (59 Prozent), dass sie oft Aufgaben selbst übernimmt, weil ihr Partner diese Aufgaben nicht richtig mache.
Ausgerechnet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat es neulich ausgesprochen: Unverzichtbare Tätigkeiten wie Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege müssten besser aufgeteilt werden – „eine weithin akzeptierte Erkenntnis, an deren Umsetzung Männer gelegentlich mit Nachdruck erinnert werden müssen“, sagte der CDU-Politiker und Bundestagspräsident während der Feierstunde zu 100 Jahren Frauenwahlrecht.
Dass in Kondos Serie dann auch die Frauen aufräumen, ist also keine Überraschung. Dass aber allein sie die Scham über das Chaos im eigenen Haus verspüren, während die Männer eher unbeteiligt danebenstehen, wirkt überkommen und ist nicht mehr zeitgemäß.
Ausmisten kann glücklich machen
Überhaupt stellt sich die Frage, ob Ordnung allein überhaupt glücklich machen kann. Wer Kondos Klienten sieht, kann den Eindruck gewinnen. In der Unordnung sind ihre Haare noch ungekämmt, am Körper tragen sie schlabberige Joggingklamotten, der Haussegen hängt schief. Später dann ist nicht nur das Haus adrett hergerichtet, auch die Klienten schmiegen sich in frisch gebügelter Kleidung erleichtert aneinander.
Kondos Serie musste dazu in den vergangenen Wochen viel Kritik einstecken. Doch selbst wenn das gezeigte Idyll von Hollywood künstlich überhöht wurde – die Psychologin Sandra Jankowski sieht zwischen Ordnung und innerer Zufriedenheit tatsächlich einen möglichen Zusammenhang. „Wenn wir uns das Ziel setzen, die Wohnung zu putzen, und dieses Ziel schließlich erreichen, werden Glückshormone ausgeschüttet“, sagt sie. „Das sind Belohnungs- und Motivationssysteme, die es auch in anderem Zusammenhang gibt, beim Leistungssport etwa.“
Mit einem ähnlichen Mechanismus kann auch das große Ausmisten und Wegwerfen überflüssiger Dinge glücklich machen, wie man es bei Kondo sieht, wenn sie fragt: „Does it spark joy? – Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme?“ „Das liegt dann aber nicht daran, dass ich nachher weniger habe“, sagt die Psychologin. Glücklich mache in einem solchen Fall vielmehr, dass man sich als Einzelperson oder Familie ein Ziel setzt und es auch erreicht. „Dafür muss ich nicht unbedingt ausmisten, dieses Ziel kann genauso auch eine Weltreise sein.“
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Aufräumen als Manga: Der Comic von Marie Kondo und Yuko Uramoto erklärt die spezielle Falttechnik.
© Quelle: Ten Speed Press/AP
Vergleichbar ist auch der sogenannte Flow, den Menschen beim Ausführen einer Tätigkeit erreichen könne. Dieser kann immer dann eintreten, wenn man eine gute Routine für etwas entwickelt und die Tätigkeit dabei nicht zu stressig, aber gleichzeitig auch nicht zu simpel ist – also auch beim Aufräumen und Putzen.
„Dieses Flow-Erlebnis sorgt dafür, dass das Putzen sogar entspannende, meditative Wirkung hat“, sagt die Psychologin. Das muss aber nicht bei jedem Menschen so sein – sowohl der Flow als auch die Hormonbelohnung für erfolgreiches Aufräumen sind eine Typfrage. „Genauso gibt es auch Menschen, die ihr kreatives Chaos brauchen, um glücklich zu sein“, sagt Jankowski.
Es ist also gut möglich, dass Marie Kondo für manche Menschen eine Rettung ist. Menschen, die im Alltag den Überblick verloren haben, weil zu viel Unordnung die Sicht auf das Wesentliche versperrt. Schließlich ist das Ordnen der Dinge auch in klösterlichen Gemeinschaften ein festes Ritual. Damit wird das Leben im Kloster überschaubar, geordnet – und ermöglicht der Seele auf diese Weise eine innerliche Weite.
Nur wer wirklich genug hat, kann auch großmütig verzichten
Doch man muss es sich leisten können, sich von all dem Unnötigen zu trennen, beziehungsweise man muss ausreichend Geld haben, um erst einmal von allem zu viel zu haben. Das ist das Zynische an Kondos Erfolg: Am Ende jeder Folge steht ein riesiger Sack Altkleider bereit, der an Bedürftige gegeben werden soll.
Dass es in der westlichen Welt längst mehr Altkleider gibt, als Bedürftige sie auftragen könnten, wird verschwiegen. Ein Hartz-IV-Empfänger wird wohl kaum auf die Idee kommen, seinen wenigen Besitz zu genießen. Es ist ein Trend, der sich an die Wohlstandsgesellschaft richtet. Nur wer wirklich genug hat, kann auch großmütig verzichten.
Vielleicht ist es mit dem Minimalismusdokus ähnlich wie mit den Kochsendungen, in denen ganz normale Menschen Tag für Tag Leistungen vollbringen, die man sonst nur von Spitzenköchen erwartet hätte, nach denen wir uns Rezepte rausschreiben und dann doch ein Spiegelei in die Pfanne hauen und es köstlich finden: Wir schauen gern zu, wie jemand Ordnung in sein Leben bringt. Und entscheiden dann, dass wir auch so zufrieden sein können.
Von Dany Schrader und Tobias Hanraths