Sein Geheimnis war die Herzenswärme: zum Tod von Alfred Biolek
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Ende einer Legende: Der Entertainer Alfred Biolek ist tot.
© Quelle: imago images/Revierfoto
Drei hölzerne Bataviasessel, drei kitschig-güldene Beistelltischchen, ein üppiger Blumenstrauß, gebohnertes Parkett, ein verlorenes Klavier und später ein Gemälde von Keith Haring an der Wand. Das war’s. Das war die karge Kulisse von „Boulevard Bio“, zwölf Jahre und 485 Sendungen lang. Mehr brauchte Alfred Franz Maria Biolek nicht, um zum Gute-Nacht-Onkel des frisch wiedervereinigten Deutschlands zu werden, zum plaudernden Charmeur der Nacht, der sich trotz unbestreitbarer Eitelkeit nie zu fein war, seine Gäste besser aussehen zu lassen als sich selbst.
„Wir sind wie eine Chippendale-Kommode, die irgendwo herumsteht“, hat er mal gesagt. „Sie passt eigentlich nicht mehr in die Wohnung, aber man würde sich auch keine neue mehr kaufen.“ Gewiss war die Bescheidenheit auch Pose. Dafür waren die Anzüge dann doch zu picobello, das Gefallen an der eigenen Prominenz doch zu spürbar. Dazu kam das ewige Räuspern (trotz Räuspertaste unter dem Sessel), das gerollte „R“, sein gefürchteter explosiver Kurzhusten, die lustigen Onkeläuglein hinter der Rundbrille. Doch all die kleinen Schrullen verdrängten nie Bioleks wertvollste Tugend: Dieser Mann war nicht auf Sendung, sondern auf Empfang.
Zuhören können ist selten geworden
Hier wollte jemand wirklich verstehen, was sein Gegenüber umtrieb. Und er glaubte an die Schwarmintelligenz des Publikums. „Die Masse ist nicht so blöd und so primitiv, wie sie von Unterhaltungsmanagern gerne gemacht wird“, sagte er in einem Interview. Seine Gespräche („Informationen kannst du vergessen, Emotionen halten wach“) waren keine Kreuzverhöre, aber auch nicht bloß banaler Schmusetalk. Biolek konnte zuhören. Es ist eine Tugend, die selten geworden ist, nicht nur im Fernsehen, sondern in der zwanghaft disruptiven Postmoderne insgesamt, die jede Gestrigkeit verachtet und Altmodisches kaum aushält.
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Bio tut nicht weh: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, r.) prostet in der Sendung „Boulevard Bio“ Talkmaster Alfred Biolek zu.
© Quelle: picture alliance / dpa
Im aggressiven Getöse der öffentlichen Meinungsbildung überlagert die „Meinung“ längst die „Bildung“. Talkfernsehen ist kaum mehr als penetrantes Lauern auf die nächste Lücke. Biolek war anders. Fast 1600 Gäste empfing er zwischen 1991 und 2003 dienstags um 23 Uhr in seinem spartanischen Kölner Studio mit dem Charme eines eilig aufgehübschten Gemeindesaals – von Dieter Bohlen bis zu Gregor Gysi, vom Dalai-Lama bis zu Bertie Vogts, von Stefan Raab bis zu Inge Meysel. Sie alle wussten: Bio tut nicht weh. Dass ein Helmut-Kohl-Interview dann allzu wachsweich geriet, dass Bio 2002 altväterlich staunend vor Britney Spears saß wie ein Anthropologe vor einer schillernden neuen Spielart der Spezies Mensch – geschenkt.
Das Zwangsouting hatte er längst verwunden
Jahre, bevor „bio“ massenhaft zur Marke für Vernunft, Fairness und Naturnähe wurde, stand „Bio“ für ebendiese Werte im menschlichen Miteinander: Nähe, Anstand, Gefühl. Es ist die tiefe, deutsche Sehnsucht nach Harmonie und Herzensfrieden, die Alfred Biolek, 1934 als Sohn frommer Katholiken in einem Bergarbeiterdorf in der damaligen Tschechoslowakei geboren, mit seinem Publikum verband. Auch deshalb muss es sehr geschmerzt haben, als ihn der Filmemacher Rosa von Praunheim im Dezember 1991 in der RTL-plus-Talkshow „Explosiv – der heiße Stuhl“ zwangsoutete („Warum sagt Biolek nicht, dass er schwul ist?“).
Er hat das verwunden. Mit von Praunheim hat er sich ausgesöhnt. „Ich habe einen Schlag bekommen, der sehr wehgetan hat, aber irgendwo hat dieser Schlag eine Verspanntheit gelöst, die danach weg war“, schrieb er in seiner Autobiografie. Schründe der Seele kurierte er mit Genuss. Essen, nicht Sex, sei die Erotik des Alters, hat er mal gesagt. Biolek war mit seiner Kochsendung „Alfredissimo!“ Pionier der brutzelnden Prominenz mit Hang zum teuren Wein, inzwischen kocht sogar Jan Böhmermann öffentlich – durchaus in Anlehnung an den prominenten „Amtsvorgänger“, der sich mit Helmut Berger und ordentlich Weißwein sanft abschoss oder mit Joschka Fischer kochend herumkumpelte, als seien beide vor der Welt auf einen toskanischen Landsitz geflohen.
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Drei Stühle, drei Tische: Alfred Biolek im Mai 2001 in seiner ARD-Sendung „Boulevard Bio“.
© Quelle: imago stock&people
Das Recht des Lebenskünstlers, selektiv an der Welt teilzunehmen
Entsagung war Bioleks Sache nicht, auch wenn er kein Auto besaß und kein Handy. Auf die „Tagesschau“ verzichtete er, las aber leidenschaftlich gern Zeitung. Biolek nahm sich das Recht des Lebenskünstlers alter Schule heraus, selektiv an der Welt teilzunehmen. Es ist ein erquickliches Konzept.
Biolek stand für ein freundliches Miteinander, das in der zermürbenden, lauten Gegenwart fehlt. Er wollte seine Gespräche nicht „gewinnen“ und niemanden davon überzeugen, dass seine Position die einzig richtige ist. Im Gegenteil: Er warb regelrecht für Harmonie. Es sind Tugenden, die in der aggressiven, intoleranten Jetztzeit guttäten, in der ein entspanntes „Laisser-faire“ und die Überzeugung, dass jedem Tierchen sein Plaisierchen zu gönnen sei, selten geworden sind. Bioleks grenzenloses Interesse spiegelt sich in der kreativen Bandbreite der Künstler, die er dem deutschen Publikum ans Herz legte – darunter Monty Python, Helen Schneider, Kate Bush, The Police und Herman van Veen. Sein Kriterium für die Entdeckung neuer Künstler war ganz schlicht: Bekam er Gänsehaut, hatte er einen Treffer.
„Priester, Zirkusdirektor oder Dirigent“
In den letzten Jahren kultivierte er seinen Ruf als belesener Bonvivant, Privates ließ er im Vagen. 2014 adoptierte er seinen langjährigen Freund Scott Ritchie; schon 30 Jahre zuvor hatte er einen anderen Freund namens Keith adoptiert, der im April 2021 im Alter von 58 Jahren an Organversagen gestorben ist.
„Ich wollte Priester werden, Zirkusdirektor oder Dirigent“, hat Alfred Biolek mal gesagt. Am Ende sei er „von allem etwas geworden“. Was für ein Glück für seine Zuschauer. Am Freitag ist „Bio“ in seiner Kölner Wohnung im Alter von 87 Jahren gestorben.