Abriss oder Mahnmal: Streit um Ruinen nach Beiruter Hafenexplosion

Was wird aus den Ruinen und den Silos nach der massiven Explosion im Hafen Beiruts?

Was wird aus den Ruinen und den Silos nach der massiven Explosion im Hafen Beiruts?

Beirut. Ghassan Hasruti hat viele Jahre an den Silos im Hafen von Beirut gearbeitet und Schiffe mit Getreide entladen - sogar, als um ihn herum ein Bürgerkrieg (1975 bis 1990) tobte. Jahrzehnte später verlor er dort sein Leben, als am 4. August auf dem Hafengelände fast 3000 Tonnen Ammoniumnitrat explodierten. Mehr als 200 Menschen starben, über 6000 wurden verletzt.

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Hasrutis Sohn Elie will Gerechtigkeit für seinen Vater und meint, dass die schwer beschädigten Silos als ein „Denkmal der Schande“ bleiben sollten - als eine Erinnerung an die Korruption und Fahrlässigkeit von Politikern, die von vielen Libanesen für die Katastrophe verantwortlich gemacht werden. Die Ursachen sind zwar immer noch nicht geklärt, aber wie Dokumente zeigen, wussten die libanesische Hafenbehörde, Sicherheitsbeamte und die politische Führung von der unsachgemäßen Lagerung der hochexplosiven Chemikalien.

Wenige Tage nach der Explosion trat Ministerpräsident Hassan Diab zurück, ist aber bis heute geschäftsführend im Amt geblieben. Er forderte die Bestrafung der Verantwortlichen, wurde am Donnerstag aber selbst zusammen mit drei Ex-Ministern wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge angeklagt. Es sind die bislang ranghöchsten Personen, die wegen der Katastrophe belangt werden sollen.

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Eine emotionale Debatte

Die 50 Jahre alten massiven 48 Meter hohen Silos haben viel der Wucht der Explosion absorbiert - den westlichen Teil der Stadt sozusagen abgeschirmt, während woanders Tausende Gebäude zerstört wurden. Eine von der Regierung in Auftrag gegebene Studie besagt, dass die Bauten jederzeit einstürzen könnten und daher entfernt werden sollten. Das hat eine emotionale Debatte unter den Einwohnern darüber ausgelöst, wie die Erinnerung an die Tragödie und deren Opfer am besten wachgehalten werden kann.

Die Diskussion ist von tiefem Misstrauen geprägt: Es resultiert aus langen Erfahrungen mit einer Kultur, in der die Verantwortlichen für Attacken, Bombenanschläge und Attentate nur selten zur Rechenschaft gezogen worden sind. So waren bis Donnerstag im Zusammenhang mit der Explosion nur 30 Sicherheits-, Hafen- und Zollbeamte festgenommen worden.

Vor dem Hintergrund argwöhnt die Einwohnerin Sara Dschaafar auch, dass die Regierung die Silos vernichten und so tun wolle, als sei nichts passiert. „Es ist eine Erinnerung an das, was sie getan haben“, sagt die Architektin, die von den Fenstern ihrer - dann durch die Explosion zerstörten - Wohnung einen Blick auf die Silos hatte. „Ich möchte niemals die Wut verlieren, die ich habe.“

Gebäude verfallen, Tiere nisten sich ein

Vier Monate nach dem Unglück tropft verfaulender Weizen aus den zerfetzten, aber noch stehenden Silos, in denen einst 85 Prozent des libanesischen Weizens lagerten. Tauben und Nagetiere haben sich in den Wracks eingenistet. Emmanuel Durand, ein französischer Ingenieur und Mitglied eines von der Regierung ins Leben gerufenen Expertenteams, hat Wochen damit verbracht, mit einem Laserscanner digitale Daten über den Zustand der Gebäude zu sammeln. Mögen sie von Weitem strukturell stabil scheinen, so neigen sie sich etwas, und ihr Fundament ist gebrochen, was an zwei der Silos vertikale Risse verursacht hat. Durand warnt, dass sie jeden Augenblick zusammenstürzen könnten. Das Militär plane den Abriss. Kuwait, das seinerzeit die Konstruktion der Silos finanzierte, hat angeboten, auch für einen Neuaufbau aufzukommen.

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Idee einer „Tourismus-Attraktion“

Dann schlug Fadi Abbud, ein früherer Tourismus-Minister und Mitglied der christlichen Partei Freie Patriotische Bewegung vor, den Hafen und die Silos zu einer „Tourismus-Attraktion“ zu machen - was Angehörige der Opfer auf den Plan brachte. Zuvor hatte auch Parteichef Gebran Bassil gesagt, dass die Explosion zu einer „großen Chance“ gemacht werden könne, internationale Unterstützung für die Regierung im finanziell schwer gebeutelten Libanon zu erhalten.

„Davon könnt ihr allenfalls träumen!“, schäumte Gilbert Karaan, der jemanden bei dem Unglück verloren hat. „Sie werden nicht von den Märtyrern profitieren.“

Viele sorgen sich, dass die Tragödie genauso behandelt werden könnte wie Libanons 15-jähriger Bürgerkrieg. Er taucht nicht in Schulbüchern auf. Es gibt kein Denkmal für die 17.000 Kriegsvermissten. Eine Generalamnestie ermöglichte es Warlords und Milizführern, die Nachkriegspolitik im Land zu dominieren. Nach dem Krieg wurde Beiruts Zentrum rasch wiederaufgebaut, aus den Ruinen erwuchs ein Knotenpunkt für hochkarätige Unternehmen.

Planungen bereits fortgeschritten

Grund für den Widerstand gegen den Abriss der Silos ist nun die Furcht vor einem ähnlichen Szenario - quasi einem „Konzept der Amnesie“, nach dem Motto „Wenn du es nicht siehst, dann ist es nicht geschehen“, erläutert die Architektin Dschaafar. Ihr Kollege Carlos Mubarak hat ein Modell für einen Gedenkpark entworfen, mit den Silos als Mittelpunkt, Grünflächen und auch einem Museum. Er versucht jetzt, Wege zur Finanzierung zu finden.

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Elie Hasruti erinnert sich derweil an seinen Vater und seinen Großvater, die beide an den Silos gearbeitet haben. Sein 59-jähriger Vater hatte 40 Minuten vor der Explosion daheim angerufen, um seiner Frau zu sagen, dass er wegen einer neuen Schiffsladung über Nacht bleiben müsse. Seine Überreste wurden 14 Tage später am Fuße der Silos gefunden.

RND/AP

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