Welchen Sinn haben Fahrsicherheitstrainings für Senioren – und was passiert da?
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Bei Fahrsicherheitstraining werden alltägliche Situationen geübt.
© Quelle: Deutsche Verkehrswacht
„Brinker? Schulz? Ilsemann?“ Wie in der Schule wird die Anwesenheit der Teilnehmenden abgefragt. Beim letzten Namen meldet sich niemand – obwohl der Herr ganz eindeutig anwesend ist. Es wird still, bis ein anderer Teilnehmer laut fragt, ob auch alle ihr Hörgerät angestellt haben. Gelächter schallt durch den kleinen Raum. Ein 82-jähriger Teilnehmer kommt etwas später als die anderen – und wird aufgrund seines Alters lachend als „junger Schnösel“ bezeichnet. Die Stimmung ist gut. Alle im Raum wissen: Sie sind nicht mehr die jüngsten. Das ist auch gut so, schließlich haben sich die zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Verkehrswacht in Lingen (Niedersachsen) eingetroffen, um am Fahrsicherheitstraining für Senioren teilzunehmen.
Laut Statistischem Bundesamt waren 66.812 Menschen ab 65 Jahren im Jahr 2021 an Unfällen mit Personenschaden beteiligt – also 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten. Menschen ab 65 Jahren verunglücken gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil seltener bei Verkehrsunfällen als jüngere – sie sind aber überproportional häufig in schwere Verkehrsunfälle verwickelt, heißt es bei der Deutschen Verkehrswacht. Immer wieder wird deshalb – durchaus kontrovers – über Seniorinnen und Senioren am Steuer diskutiert.
Ärzte und Ärztinnen können fahrungeeignete Personen melden
In der Diskussion ist etwa eine Meldepflicht bei mangelnder Fahrtauglichkeit. Der Automobilclub von Deutschland (AVD) hat sich dagegen erst kürzlich ausgesprochen – befürwortetet aber die Förderung regelmäßiger freiwilliger Seh- und Reaktionstests oder auch PKW-Sicherheitstrainings für Seniorinnen und Senioren. Vorangegangen war ein Entwurf zur Änderung der vierten EU-Führerscheinrichtlinie der Europäischen Kommission. Diesem zufolge solle die Fahrtauglichkeit von Menschen über 70 Jahre alle fünf Jahre überprüft werden. Der Vorschlag muss aber noch vom EU-Rat und dem EU-Parlament diskutiert und beschlossen werden.
Bislang haben Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit, fahrungeeignete Personen den Behörden zu melden, wenn sie „Gefahr in Verzug“ feststellen. Um das zu bemerken, müssen sie die Betroffenen aber sehr gut kennen. Besser wäre es also, wenn die Menschen nicht mehr fahren würden, sobald sie merken, dass sie nicht mehr fit genug sind. Um das einzuschätzen, können Fahrsicherheitstrainings eine große Hilfe sein. „Wenn jemand von sich aus kommt, haben wir schon viel gewonnen“, sagt Helmut Hodde, Geschäftsführer der Deutschen Verkehrswacht Lingen.
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Helmut Hodde, Geschäftsführer der Deutschen Verkehrswacht in Lingen mit Boris Pistorius, Bundesminister der Verteidigung.
© Quelle: Deutsche Verkehrswacht/ Helmut Hodde
Frauen beim Fahrsicherheitstraining in der Unterzahl
Das Programm „Fit im Auto“ der Deutschen Verkehrswacht richtet sich an Teilnehmende ab 65 Jahren – die meisten Teilnehmenden an diesem Tag in Lingen sind aber deutlich älter. Zudem sind die Frauen deutlich in der Unterzahl. „Nur zwei Frauen unter zwölf Teilnehmern“, bemerkt eine Teilnehmerin augenzwinkernd. „Und dass, obwohl Männer doch angeblich so viel besser Auto fahren als Frauen.“ Geschäftsführer Hodde vermutet, dass sich weniger Frauen für das Training anmelden, weil sie im Alter eher aufhören zu fahren, wenn sie Angst bekommen.
Aber auch Männer merken oft erst beim Fahrsicherheitstraining ihre Unsicherheit. Hodde erzählt von einem 88-jährigen Teilnehmer, der nach dem Training sagte, dass er aufhören wolle zu fahren, weil er sich nicht mehr sicher fühle. Vor dem Training sei ihm das gar nicht bewusst gewesen. In diesem Fall hat das Programm einen echten Erfolg erlebt, findet Hodde. Nicht, weil der Teilnehmer das Fahren aufgegeben hat, sondern weil er seine Fähigkeiten nach dem Training realistisch einschätzen konnte. Und genau dabei soll „Fit im Auto“ Seniorinnen und Senioren helfen.
In Gruppen testen die Seniorinnen und Senioren dabei zunächst ihre Fahrtüchtigkeit mit einem Trainer auf dem Platz – dann geht es auf die Straße. Speziell ausgebildete Fahrlehrer zeigen, worauf die Senioren und Seniorinnen achten müssen und welche Situationen Gefahrenpotenzial bergen. Das kann etwa das Überholen von Bussen oder Fahrrädern sein, die Regelung bei einem abgesenkten Bordstein oder das Verhalten bei einem Unfall.
Training soll den Teilnehmenden auch Spaß machen
„Wir möchten nur Hilfestellung geben, die Führerscheine sind nicht in Gefahr“, erklärt Fahrlehrer Bernhard Kemper den Seniorinnen und Senioren. Denn das ist eine große Befürchtung unter den Teilnehmenden. „Viele haben auch große Angst unter den anderen negativ aufzufallen“, sagt Sicherheitstrainer Uwe Junk. Doch bei dem Fahrsicherheitstraining handele es sich nur um eine freiwillige Überprüfung. Wenn die Fachleute vor Ort der Meinung sind, dass einer der Teilnehmenden nichts mehr auf der Straße zu suchen habe, werde das aber auch offen kommuniziert, erklärt Hodde, der selbst 78 Jahre alt ist und sich gut in die Teilnehmenden hineinversetzen kann.
Fahrsicherheitstrainings der Deutschen Verkehrswacht
Bundesweit bietet die Deutsche Verkehrswacht verschiedene Fahrsicherheitstrainings für Seniorinnen und Senioren an. Die Preise variieren dabei je nach ausgewähltem Programm. Viele Berufsgenossenschaften und Unfallkassen finanzieren das Fahrsicherheitstraining oder übernehmen die Kosten teilweise komplett. Auf der Website der Deutschen Verkehrswacht können Interessierte ein Trainingsplatz in der Nähe suchen, einen passenden Termin auswählen und das Training buchen.
Das Training soll aber auch Spaß machen – und das tut es. Während die Teilnehmenden in ihrer persönlichen „Wohlfühlgeschwindigkeit“ Slalom um Hütchen fahren, erzählt Junk, warum er verpflichtende Trainings und Gesundheitstests für Senioren und Seniorinnen befürworten würde. Für viele Menschen sei es ein Verlust von Kontrolle, wenn diese ihren Führerschein abgeben sollen. Doch beim Training würden viele selbst merken, wenn sie nicht mehr fit genug sind, um Auto zu fahren. Er selbst habe schon die Erfahrung gemacht, wie schwierig es sei, wenn Angehörige noch fahren, obwohl sie es nicht mehr dürften. „Das wäre bei verpflichtenden Trainings dann nicht mehr möglich“, sagt Junk.
Politik zeigt sich eher zurückhaltend
Für Gesundheitstest spricht sich auch Helmut Brinker aus. Der ehemalige Polizist hat sich bei dem Fahrsicherheitstraining angemeldet, um unter anderem zu testen, wie gut seine Reaktionsfähigkeit noch ist. „In meinem Job habe ich mitbekommen, wie viele Menschen Auto fahren, obwohl sie es eigentlich nicht mehr dürften“, sagt Brinker. Dabei würde ein verpflichtendes Training helfen.
So wie Brinker sehen das die meisten Teilnehmenden an diesem Tag. Sie wundern sich sogar über die bisherige Zurückhaltung der Politik. „Darüber gesprochen wird ja schon lange“, sagt ein Teilnehmer. Aber bislang traue sich niemand, die Fahrsicherheitstrainings wirklich verpflichtend zu machen. „Wir machen es freiwillig.“ Mit einem Achselzucken steigt der Teilnehmer wieder in sein Auto, um als nächstes eine Gefahrenbremsung zu üben.