Zurück auf dem Thron des Rock
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Comeback des Rock: Axl Rose (r.) und Duff McKagan von Guns N’Roses.
© Quelle: ZUMA Wire
Hannover. Das Haus stand sozusagen auf heiligem Boden. Und war trotzdem nicht mehr zu retten. Auf dem Grundstück hatte einst Cecil B. DeMille sein Domizil gehabt, der Kinomogul aus den goldenen Zeiten Hollywoods, der seine Regiekarriere 1956 mit einer Neuauflage von “Die Zehn Gebote“ beendet hatte. In dem Film verfluchte Charlton Heston als Moses das Volk Israel, das bei seiner Rückkehr mit den Gebotstafeln Gottes Orgien feierte zu Füßen des Goldenen Kalbs. Was Moses wohl zu Guns N’ Roses gesagt hätte, die 30 Jahre später hier hausten, die auf Drogen waren und auf Krawall gebürstet, weil ihr Debütalbum ewig nicht fertig wurde? DeMille und Moses hätten Gott um Beistand angerufen.
Toiletten wurden von den Musikern aus dem Boden gerissen und durch die Fenster geworfen, und danach wurde alles Mögliche zur Toilette zweckentfremdet, nur eben ohne Spülung. Der Appetit auf Zerstörung war grenzenlos, Rock’n’Roll-Wohnen für Fortgeschrittene – anno 1986. Manager Arnold Stiefel nannte die Zustände “jenseits vom Planet der Affen“. Alles, was Rockmusik in den Augen der Alten zum Untergang des Abendlands machte, geschah in diesem Haus. Und so hieß die erste Platte dann auch: “Appetite for Destruction“. Und als sie endlich erschien, passierte – fast nichts. Erst mal.
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Lag am Anfang wie Blei in den Regalen: Das Guns N’Roses-Debüt “Appetite for Destruction“.
© Quelle: Plattenlabel
“Am Anfang lag das Ding wie Blei in den Läden“, erinnert sich Karsten Seifert, Pressesprecher des Konzertveranstalters Hannover Concerts, “aber nach ein paar Monaten standen plötzlich ganze Stapel an den Kassen, und fast jeder nahm sich eine mit.“ Der Umschwung von einem Debüt, dessen Verkaufszahlen passabel waren, zu dem, was das bis heute meistverkaufte Rockalbum in den USA wurde, kam buchstäblich über Nacht. Manager Tom Zutaut hatte es geschafft, dass das Video zur Single “Welcome to the Jungle“ auf MTV gespielt wurde. Der Einsatz war jämmerlich – eine einzige Aufführung am Sonntagmorgen um vier Uhr. Und tschüss! Die Videojockeys erkannten das Potenzial nicht, aber danach standen die Telefone nicht mehr still, die Plattenwerke pressten, der Hunger der Welt auf “Appetite“ war ohnegleichen. Und Guns N’ Roses waren plötzlich Helden.
Und heute sind sie das wieder. Nach 20 Jahren der Verzettelung, der getrennten Wege, der Soloprojekte, der Versuche, in kleineren Bands die große Band zu vergessen, oder des Irrglaubens, sie mit anderen Gitarristen als Slash weiterführen zu können. Zehn Jahre hatte es gedauert, bis 2008 Axl Rose‘ mediokres Album “Chinese Democracy“ mit neuer Besetzung erschien, die Branche spottete, eher käme Demokratie nach China als die Scheibe in die Läden. Cool lag dann auf der anderen Seite des Planeten Rock, der moppelige Rose erfüllte nur noch das Klischee des Scheiterns.
Der Mythos blieb
Und trotzdem war da noch der Mythos Guns N’ Roses, der bei den Fans Sehnsucht erzeugte. Als 2016 ein Neubeginn mit Slash und Duff McKagan verkündet wurde, schien es, als hätte sich etwas lange in der Luft Liegendes manifestiert. Und obwohl sich Rose schon bei der ersten Show den Fuß brach, waren die Konzerte so rau und mitreißend, als sei man wieder zurück in 1988, als man anders war als alle anderen Bands.
Guns N’ Roses, das war 1988 im Jahrzehnt des Synthpop echter, schwitzender, schreiender, lärmender Rock’n’Roll. Kein stylisher Hair-Metal, keine Keyboardsuppe mit Gitarreneinlagen, keine Chartsschielerei, sondern echter, harter Stoff in der Tradition von Chuck Berry, der Rolling Stones und der Punkbands. Was Gruppen wie Mötley Crüe oder Poison nicht gelang, erreichten Sänger Axl Rose, Gitarrist Slash (alias Saul Hudson), Izzy Stradlin (Gitarre), Duff McKagan (Bass) und Steven Adler (Schlagzeug) gleich auf den ersten Streich.
Eines jener Alben zu schaffen, mit denen eine Generation ihre Jugend verbindet, eine von den Scheiben wie “Beggars Banquet“ von den Rolling Stones, “In Rock“ von Deep Purple oder “Never Mind the Bollocks“ von den Sex Pistols. „Appetite“ handelte von Sex und Drogen und Trunkenheit, das Logo waren zwei rosenumrankte Pistolen. Es war ein Werk der Abgrenzung, das den Alten sagte: “Vorsicht, gefährlich!“ Mehr als 30 Millionen Exemplare wurden bis heute verkauft. Von der Tour als Support von Aerosmith kehrten die Musiker zurück als die heißeste Rockband des Planeten.
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Beklagte sich einst über seine Bandkollegen, die lieber auf ihre Gärtner warteten als mit den Kumpels abzuhängen: Gitarrist Slash.
© Quelle: ANP
Und dann. Herumsitzen und nicht wissen, was kommt. Reich- und Berühmtsein und keine Ahnung, wie man damit umgehen soll. Häuser kaufen, um sich darin fremd und unwohl zu fühlen. Die Zeit der Hofschranzen begann, die Zeit der Entfremdung, der Langeweile, des Streits – viel zu früh für eine Band, der gerade erst die Kissen auf dem Olymp weich geklopft wurden. “Du rufst an und fragst ,Duff, kann ich mal rüberkommen’“, klagte Slash 1991 dem Magazin “ME/Sounds“, “und kriegst zu hören: ,Weißt du, heute kommt bei mir der Gärtner.“
Zäh gestaltete sich die Arbeit am Nachfolger. Am 17. September 1991 erschien “Use Your Illusion“ – ein Doppelalbum in zwei Einzelplatten. Und dann änderte sich alles: Nur vier Tage danach kam “Nevermind“ heraus, das zweite Album der Band Nirvana aus Seattle. Und gegen den Zorn des Grunge, das authentische Leiden am Leben, das Kurt Cobain zelebrierte, gegen den grollenden Punkmetal des coolen Trios aus Seattle, wirkten Guns N’ Roses mit ihrer Coverversion von Paul McCartneys “Live & Let Die“ und der Monsterballade “November Rain“ plötzlich nur noch wie Pop, Cobain wurde der Antiheld, der Rose gern gewesen wäre. Slash spielte bald bei Michael Jackson, Mitte der Neunzigerjahre brach die Band auseinander. Comeback? “Nicht in diesem Leben!“ hieß es.
Feuer in der Gerüchteküche
Und so heißt jetzt die Tour: “Not in this Lifetime“. Keine Interviews, keine aktuellen Fotos, nur Musik, Rock um des Rocks willen. Und die Stadien sind fast oder ganz ausverkauft. “Oje, er verhebt sich gleich wieder“, hieß es, als Axl Rose im April 2016 bei AC/DC für den fast tauben Sänger Brian Johnson einsprang. Aber auch: “Dieser irre Coup.“
Seither brennt unter allen Töpfe der Gerüchteküche Feuer: Von einem AC/DC-Livealbum mit Axl Rose ist die Rede, sogar von einem gemeinsamen Studiowerk. Und angeblich arbeiten auch Guns N’ Roses an neuen Liedern. Ein altes, gebrochenes Versprechen, so scheint es, wird eingelöst. Was damals von völlig überforderten Leuten gegen die Wand gefahren wurde, ist repariert, lackiert, ein schöner, fauchender Zwölfzylinder rollt da on the road: Guns N‘ Roses!
Und als Axl Rose im Vorjahr fußlahm war, spendierte ihm Dave Grohl, einst Schlagzeuger bei Nirvana, einen Thron. Ein Geschenk mit Symbolik und Augenzwinkern. Die Kissen auf dem Olymp werden jetzt neu geklopft, heißt es. Appetit auf Zerstörung? Guns N’R bieten Krach satt.
Guns N’ Roses live: 22. Juni, 19 Uhr, Hannover, Messegelände (es sind noch Karten erhältlich)
Von Matthias Halbig