Whatsapp-Boykott: Warum ein Wechsel zu Telegram die Sache nur noch schlimmer macht

Weil WhatsApp neue Datenschutzrichtlinien angekündigt hat, wechseln Nutzer in Scharen zum alternativen Messenger-Dienst Telegram. Warum das keine gute Idee ist.

Hannover. Whatsapp steht vor dem Aus. Das zumindest könnte man meinen, wenn man einen Blick in die sozialen Netzwerke wirft. Dort wird seit einigen Tagen zum Boykott des Messengers aufgerufen. Wütende Meinungsbeiträge sind zu lesen, auch zum Teil in den Medien. „Ciao Whatsapp! Von Facebook lasse ich mich nicht erpressen“, heißt es beispielsweise in einem Kommentar des Techblogs „Mobile Geeks“. Und sogar Promis wie etwa Tesla-Chef Elon Musk rufen öffentlich zum Messengerumzug auf.

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Grund für die Aufregung ist ein Pop-up-Fenster, das derzeit allen Usern beim Öffnen der App angezeigt wird. Darin bittet Whatsapp, beziehungsweise dessen Mutterkonzern Facebook, darum, den neuen Datenschutzbestimmungen zuzustimmen. Diese sollen es ermöglichen, Daten des Dienstes Whatsapp auch mit anderen Facebook-Unternehmen oder Werbepartnern zu teilen. Ein Schritt, den Facebook bei der Übernahme des Messengers 2014 zunächst ausdrücklich ausgeschlossen hatte – und nun doch einführt.

Das bringt Nutzerinnen und Nutzer derart in Rage, dass die Aufbruchsstimmung auch außerhalb der Techblase zu spüren ist: Wer den Messenger Telegram auf seinem Smartphone installiert hat, dürfe dieser Tage immer wieder Benachrichtigungen von Kontakten erhalten, die sich nun auch auf diesem Dienst angemeldet haben. Und in Gruppen verkünden Kontakte entschlossen: „Ich lösche Whatsapp ab dem 8. Februar, ihr findet mich auf Telegram.“

Die Debatte um den Whatsapp-Boykott ist auf vielerlei Ebenen interessant. Denn sie lässt ein altbekanntes Muster durchblicken, bei dem es am allerwenigsten um den Datenschutz geht. Und tatsächlich dürfte der Umzug von Whatsapp zu Messengern wie Telegram die Sache sogar noch verschlimmern.

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Ein wiederkehrendes Dilemma

Schon seit Anbeginn der Smartphoneära befinden sich User in einem immer wiederkehrenden Dilemma. Neue attraktive Angebote strömen in den Markt, neue Dienste vereinfachten die Kommunikation. Auf der Strecke bleibt dabei jedoch vor allem einer: der Datenschutz. Oder um es drastischer zu formulieren: Nutzer legen vor allem die private Kommunikation offenbar liebend gern in die Hände von hochgradig undurchsichtigen Unternehmen.

Zu beobachten war das zuletzt etwa zu Beginn der Corona-Pandemie: Da erlebte ein bis dato völlig unbekannter Videokonferenzdienst einen ungeheuerlichen Aufwind. Die Rede ist von Zoom. Arbeitskollegen, Schulklassen, Freunde und Familienmitglieder verbanden sich im Lockdown digital über einen Dienst, von dem sie zuvor noch nie gehört hatten, und über den es praktisch auch keine Informationen gab. Von einem Nutzerzuwachs von bis zu 110 Prozent war seinerzeit teilweise die Rede. Platzhirsche wie Teams oder Skype von Microsoft oder Hangouts (heute: Meet) von Google sahen dagegen ziemlich alt aus.

Aus Aspekten der Datensicherheit war der Hype im Nachhinein ein hochgradig riskantes Unterfangen. Denn wenig später wurde bekannt, dass die App Zoom massive Sicherheitslücken aufweist. Das „Zoombombing“ wurde zeitweise zu einer Art Volkssport – Fremde konnten ohne große Fachkenntnisse in jede erdenkliche Videokonferenz hineinplatzen. Diese und andere Sicherheitslücken wurden inzwischen geschlossen, das Unternehmen gelobte zügig Besserung.

Warum Apple und Facebook einander nicht leiden können

Apple und Facebook liegen im Clinch – und der Streit eskaliert gerade so sehr, dass nichts nach Einigung aussieht. Das könnte Folgen für die Nutzer haben.

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Whatsapp, die Briefkastenfirma

Die Anfänge von Zoom erinnern heute allerdings stark an die Anfänge von Whatsapp. Denn als die App Anfang der 2010er-Jahre Einzug auf die ersten Smartphones hielt, war der Messengerdienst nicht minder unseriös. Er war wortwörtlich eine Briefkastenfirma. Über die Whatsapp-Betreiber war jahrelang praktisch gar nichts bekannt, der angebliche Firmensitz in Santa Clara (Kalifornien) führte zu einem Sushi-Laden. Und nicht nur das: Auch eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die das Ausspähen von Chats verhindert, fehlte bei Whatsapp noch bis ins Jahr 2016.

Gestört hat Nutzer das seinerzeit wenig. Im Gegenteil: Whatsapp war Anfang der 2010er-Jahre zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als SMS-Ersatz wurde die App unter Freunden herumgereicht, die Nutzerzahlen schossen von Monat zu Monat in die Höhe. Sichere Alternativen wurden aufgrund des Hypes praktisch nicht beachtet.

Erst als Facebook die Übernahme von Whatsapp 2014 verkündete, wurden erste Proteste laut. Auch damals gab es Boykottaufrufe – und das, obwohl sich die Situation von da an für Nutzer eher verbesserte. Facebook war nämlich ein Unternehmen, das durchaus eine Firmenadresse besaß – und auch das Unternehmen, das 2016 die sichere Verschlüsselung beim Messenger einführte. Seither ist Whatsapp mindestens genauso sicher wie manch anderer Messenger, vielleicht sogar sicherer.

Ausgerechnet Telegram

Allerdings ist Facebook augenscheinlich ein Unternehmen, dem seine Nutzer massiv misstrauen. Und zwar so sehr, dass sie ihre Daten paradoxerweise lieber in die Hände von völlig undurchschaubaren Entwicklern legen als in die Hände eines bekannten Milliardenkonzerns.

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Dieses Muster lässt sich auch heute wieder beobachten. Denn der beliebteste Zufluchtsort nach dem aktuellen Whatsapp-Boykott scheint nicht die europäische und erwiesenermaßen sichere Alternative Threema zu sein, oder das von Elon Musk beworbene US-Pendant Signal – sondern ausgerechnet der Messenger Telegram. Eine Plattform, die zuletzt vor allem als Zufluchtsort von rechtsextremen Verschwörungstheoretikern bekannt geworden war.

Warum die Plattform auch außerhalb der Verschwörungsszene an Beliebtheit gewinnt, ist praktisch unerklärbar. Denn nicht einmal der Standort des Unternehmens ist bekannt. Das Entwicklungsteam befindet sich nach eigenen Angaben in Dubai, bei den Gründern handelt es sich um zwei russische Entwickler. Wo genau die Server stehen, ist weitestgehend unklar.

Telegram, ein Datenschutz-Albtraum

Zudem gilt Telegram laut Recherchen des Portals „heise.de“ aus dem November 2020 als „Datenschutz-Albtraum“. Warum genau, belegt das Portal mit einem ausführlichen Test.

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Telegram selbst erklärt in seinen FAQ zwar, alle Nachrichten seien „immer sicher verschlüsselt. Nachrichten in geheimen Chats verwenden die Client-Client-Verschlüsselung, während Cloud Chats die Client-Server/Server-Client-Verschlüsselung verwenden und in der Telegram-Cloud verschlüsselt gespeichert sind“, heißt es dort.

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Die Techexperten von „heise“ hingegen kritisieren: Bei der Nutzung des Dienstes mache sich der Nutzer „komplett nackig“. Praktisch alles, was man hier tippe, werde umgehend über die Telegram-Server geschickt, noch bevor man es überhaupt abgeschickt habe. Alles werde bei Telegram zentral gespeichert und bei Bedarf ausgeliefert. Eine Sicherheit böten nur die sogenannten geheimen Chats innerhalb des Messengers. Diese seien allerdings so gut versteckt, dass sie praktisch niemand nutzen dürfte, vermutet das Techportal. Fast alle Telegram-Chats liefen daher über die normalen, „für Telegram mitlesbaren Kanäle“.

Signal und Threema als bessere Alternativen

Das vermeintlich „böse Whatsapp“ hingegen sei diesbezüglich um einiges sicherer unterwegs, analysiert das Portal. Dort gebe es keine zentralen Datenbanken mit allen Chats der Nutzer, die man anzapfen könne. Whatsapp verschlüssele alle Nachrichten so, dass nur der echte Empfänger sie lesen kann (die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung). Die Chats lägen nur auf dem jeweiligen Smartphone, nicht auf den Servern des Betreibers. Und bei der aktuellen Diskussion um die Datenweitergabe, etwa an Werbetreibende, schiebt die europäische DSGVO dem Messenger einen massiven Riegel vor die Tür. Mit anderen Worten: Wer wegen des Datenschutzes von Whatsapp zu Telegram wechselt, läuft direkt ins offene Messer.

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Als bessere Alternative empfiehlt das Portal stattdessen den Messenger Signal. Dieser biete eine ebenso sichere Verschlüsselung, sei aber gleichzeitig auch Open-Source. Während bei Whatsapp niemand in den Code schauen könne, könne man bei Signal jederzeit überprüfen, was hinter den Kulissen tatsächlich geschehe.

Auch Threema aus der Schweiz liefert einen solchen öffentlichen Code. „Um volle Transparenz zu gewährleisten, sind die Threema-Apps quelloffen“, heißt es vom Unternehmen selbst. Als ebenfalls sichere Whatsapp-Alternative gilt die Nachrichten-App von Apple (iMessage). Diese ist allerdings nicht quelloffen und für viele Nutzer praktisch unbenutzbar, da sie ausschließlich auf Apple-Geräten angeboten wird.

Verbreitung geht über Datenschutz

Und damit wären wir auch schon beim Knackpunkt des Problems. Denn warum entscheidet sich ein Nutzer am Ende für ausgerechnet für das unseriöseste Kommunikationsmittel und nicht für das sicherste? Weil der Datenschutz am Ende augenscheinlich doch eine deutlich geringere Rolle spielt als die tatsächliche Verbreitung des Dienstes.

Wer garantiert jemanden per Videochat erreichen will, der setzt – trotz Sicherheitslücken – auf Zoom. Wer garantiert jemanden per Chat erreichen will, nutzt Whatsapp – oder jetzt eben Telegram. Der Messenger zählte bereits im Jahr 2019 7,8 Millionen deutsche Nutzer. Aktuelle Zahlen sind nicht bekannt – durch die Pandemie dürften sich die Zahlen von Telegram hierzulande wie auch im Rest der Welt massiv erhöht haben.

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Dienste wie Threema und Signal dürften zwar in der Techblase boomen – in der Welt von Arbeitskollegen, Nachbarn, Schul- und Kindergartengruppen dürfte jetzt jedoch ausgerechnet ein Messenger zur Alternative herangezogen werden, der die geringste Sicherheit überhaupt bietet. Nämlich Telegram.

Auch die Konzerne tragen Schuld

Fraglich bleibt am Ende, wer das Dilemma eigentlich zu verschulden hat. Möglicherweise sind es die Nutzerinnen und Nutzer, die sich doch weniger um ihre Daten scheren, als sie eigentlich zugeben.

Vielleicht sind es aber auch die Techkonzerne selbst. Denn Giganten wie Google und Apple ist es bislang nicht gelungen, sichere und für alle nutzbare Alternativen auf den Markt zu bringen. Auch europäische Konzerne haben es in all den Jahren nicht geschafft, attraktive Angebote zu schaffen. Als größter Reinfall dürfte wohl der 2014 vorgestellte Messenger Simsme der Deutschen Post gewesen sein, der 2019 endgültig eingestellt wurde.

Konzerne wie Facebook, die aktuell eine Art Monopolstellung besitzen, verspielen derweil das Vertrauen ihrer Nutzer mit neuen Datenschutzbestimmungen. Dass User also immer wieder den unseriösesten Betreibern in die Arme laufen, ist somit ein vorprogrammierter Teufelskreis – und wahrscheinlich unvermeidbar.

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RND

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