Nach Twitter-Übernahme: Elon Musks verwirrender Kurs bei der Kontrolle von Inhalten
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Gehen oder bleiben? Nachdem Elon Musk Twitter gekauft hat, wenden sich viele Nutzerinnen und Nutzer vom Netzwerk ab.
© Quelle: Collage (mit dpa-Bildern von Karl-Josef Hildenbrand und Patrick Pleul)
New York. Neonazi Andrew Anglin ist zurück auf Twitter, und er will, dass jemand die Regeln dort erklärt. Das Konto des Gründers einer berüchtigten Neonazi-Webseite war - wie viele andere zuvor gesperrte Accounts - kürzlich wieder freigeschaltet worden, dank einer vom neuen Twitter-Eigentümer Elon Musk gewährten Generalamnestie. Dann, am vergangenen Freitag, verbannte der CEO den Rapper Ye, früher bekannt als Kanye West, nachdem dieser ein Hakenkreuz samt Davidstern darin gepostet hatte.
„Das ist cool“, twitterte Anglin. „Ich meine, was immer die Regeln sind, die Leute werden sie befolgen. Wir müssen nur wissen, was die Regeln sind.“
Frag Musk. Seit der reichste Mann der Welt Twitter für 44 Milliarden Dollar gekauft hat, strampelt sich der Kurzmitteilungsdienst damit ab, seine Regeln für Desinformation und Hassrede zu definieren. Es gab zwiespältige und widersprüchliche Durchsagen. Wie der „chief twit“ jetzt vielleicht lernt, bedarf es mehr als guter Algorithmen, um eine globale Plattform mit fast 240 Millionen aktiven täglichen Nutzern zu betreiben, erfordert es häufig schwierige Entscheidungen, die letztendlich ein Mensch treffen muss - und die mit Sicherheit jemandem nicht gefallen.
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Einst verbannte Leute wieder auf Twitter – auch Ex-Präsident Trump
Musk, der sich als einen „Absolutisten der Meinungsfreiheit“ bezeichnet, hat erklärt, dass er Twitter zu einem globalen digitalen Stadtplatz machen wolle. Aber er sagte zugleich, dass er keine größeren Entscheidungen in Sachen Inhalte oder der Freischaltung gesperrter Konten treffen werde, bis ein „Content-Moderationsrat“ mit verschiedenen Sichtweisen geschaffen worden sei.
Doch schon wenig später - nach einer Umfrage unter Nutzern auf Twitter - änderte er seine Meinung und ließ eine ganze Reihe zuvor verbannter Leute wieder zu, darunter Ye, Anglin und Ex-Präsident Donald Trump.
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© Quelle: dpa
Und deuteten Musks eigene Tweets auch darauf hin, dass er jeglichen gesetzlich zulässigen Content auf der Plattform erlauben werde, ist das nicht durchgehend der Fall, wie die erneute Verbannung von Ye zeigt. Die vom Rapper gepostete Swastika-Abbildung fällt in die Kategorie „legal, aber furchtbar“, mit der sich Content-Moderatoren oft abquälen, wie der Technologie-Rechtsexperte Eric Goldman sagt. Er weist daraufhin, dass die lockeren Regulierungen in den USA es Musk gestatteten, Twitter so zu betreiben, wie er es wolle - auch wenn sein Ansatz nicht stimmig sei.
Die EU verpflichtet dagegen Social-Media-Plattformen gesetzlich dazu, Regeln zum Schutz vor Desinformation und Hassrede zu schaffen. Und das könnte Musk zum Handeln zwingen, um sicherzustellen, dass Twitter nicht gegen das neue EU-Gesetz verstößt, das nächstes Jahr in Kraft tritt. Erst kürzlich hatte der für digitale Dienste zuständige EU-Kommissar Thierry Breton den Tech-Milliardär gewarnt, dass Twitter seine Anstrengungen zum Schutz vor schädlichen Inhalten auf seiner Plattform verstärken müsse, Verstöße könnten hohe Bußgelder nach sich ziehen.
Zahl der Tweets mit toxischen Inhalten nimmt zu
Musks verwirrender Kurs spiegelte sich auch Ende November in Twitters Mitteilung wider, dass das Verbot der Verbreitung von falschen Behauptungen über Covid-19 aufgehoben werde. Tage später hieß es in einem neuen Post, es habe sich „nichts an unseren Regeln geändert“.
„Unmögliche, unschöne und weiche Entscheidungen“ seien unvermeidbar, meint Yoel Roth, Twitters früherer Leiter des Bereiches „Vertrauen und Sicherheit“, der ein paar Wochen nach Musks Übernahme der Plattform zurückgetreten war. Auch das alte Twitter sei bei weitem nicht perfekt gewesen, aber es habe sich um Transparenz gegenüber Nutzern und Beständigkeit bei der Durchsetzung von Regeln bemüht, sagt Roth. Das habe sich unter Musk geändert.
Hat sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Twitters Vorgehen in den USA konzentriert, wirkt sich der Abbau des Mitarbeiterstabes für die Moderation unter Musk auch in anderen Teilen der Welt aus, wie Aktivisten der Kampagne #StopToxicTwitter schildern. „Wir sprechen nicht davon, dass Leute nicht belastbar sind, Dinge zu hören, die Gefühle verletzen“, sagt Thenmozhi Soundararajan, Direktorin von Equity Labs, das gegen auf Kasten beruhende Diskriminierung in Südasien kämpft. „Wir sprechen von der Verhinderung gefährlicher völkermörderischer Hassrede, die zu Massengräueltaten führen kann.“
Soundararajans Organisation ist in Twitters Rat für Vertrauen und Sicherheit vertreten, der seit Musks Übernahme der Plattform nicht zusammengetreten ist. Millionen Inder hätten Angst davor, wessen Konten wieder freigeschaltet würden, und Twitter habe aufgehört, auf die Sorgen der Organisation zu reagieren. „Was passiert also, wenn es einen anderen Aufruf zur Gewalt gibt? Muss ich etwa Elon Musk taggen und hoffen, dass er gegen den Pogrom angeht?“
Seit dem Twitter-Kauf haben sich rassistische Inhalte und andere Arten von Hassrede auf der Plattform gehäuft, Nutzer testeten, wie weit sie unter dem neuen Eigentümer gehen können. Die Zahl der Tweets mit toxischen Inhalten nimmt weiter zu, wie das Center for Countering Digital Hate am vergangenen Freitag berichtete. Die Gruppe verfolgt derartige Vorkommnisse online.
Musk zufolge hat die Plattform die Verbreitung von Hassrede reduziert, es schwerer gemacht, sie zu finden, es sei denn, ein Nutzer sucht gezielt danach. Aber das hat den CEO der Organisation, Imram Ahmed, nicht zufrieden gestellt: Er nannte die Zunahme von Hassrede ein „klares Versagen, seinen eigenen selbsterklärten Standards zu entsprechen“.
Jesse Littlewood von der Organisation Common Course hat sich kürzlich wegen eines Tweets der weit rechts stehenden US-Abgeordneten Marjorie Taylor Greene über angeblichen Wahlbetrug in Arizona mit der Plattform in Verbindung gesetzt. Musk hatte sie wieder auf Twitter zugelassen, nachdem ihr Konto zuvor wegen Verbreitung von Covid-19-Desinformation gesperrt worden war. Twitter antwortete, dass der Tweet zu Arizona gegen keine Regeln verstoße - obwohl die Plattform das Markieren oder Entfernen von Inhalten mit falschen Behauptungen über Wahlergebnisse vorschreibt.
Twitter erklärte nicht, warum es seine eigenen Regeln nicht folgt. Littlewood findet das alles „sehr verwirrend“.
RND/AP