Serie „The Responder“ zeigt ein schlimmes Liverpool – Martin Freeman will „ein guter Bobby“ sein
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Liverpool – auf die harte Tour: Chris Carson (Martin Freeman) ist der Protagonist der BBC-One-Serie „The Responder“, die ab 28. März bei Magenta TV zu sehen ist.
© Quelle: Magenta TV
Liverpool. Da dachte man immer, dieses hübsche Brit-Manhattan mit den prächtigen Liverbirds am Royal Liver Building im Hafen sei das geheime Yellow Submarine. Liverpool ist die Stadt der Beatles, wo man hübsche Beatles-Tassen und seltene Paul-McCartney-Platten bekommt. Wo einem im „Magical Mystery Tour“-Touristenbus auf der Penny Lane praktisch immer ein blitzsauberes Feuerwehrauto begegnet, eine „clean machine“, wie es in dem Song heißt.
„Responder“ zeigt die Beatles-Stadt als Ort der Gewalt
Wie unterschiedlich von dieser popmärchenhaften Vorstellung ist doch die Großstadt, die man in der Serie „The Responder“ sieht. Es ist eine Metropole wie alle anderen. Laut und brutal, die Polizei hat hier alle Hände voll zu tun – ein Job, der eigentlich keinen Platz für Illusionen über das Gute im Menschen lässt. Die Zeitgenossen des Streifenpolizisten Chris Carson (Martin Freeman) sind entweder kalkuliert kriminell, ausweglos kleinkriminell oder kurz vorm Durchdrehen, weil das Leben einfach unlebbar erscheint. „Ich will sprechen“, hört man Carson mit zitternder Stimme sagen. „Ich kann es fühlen. Ich werde zerbrechen.“ Und dann, auf die Frage seiner Therapeutin, was er sein will: „Ich möchte ein guter Bobby sein.“
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Das ist er. Und ist er nicht. Carson ist vor allem ein pragmatischer Bobby. Eher klein von Statur, weiß er seine Körperkraft auch gegen Riesen einzusetzen. Er traut sich was, und wenn er seinem Gegner mit Ernst in der Stimme versichert, er werde ihn beim nächsten Vorfall töten, glaubt man ihm das unbesehen, obwohl klar sein sollte, dass die Jungs von der Wache derlei nicht dürfen. Chris Carson kennt sein Revier und er kennt seine Klientel. Er ist willens, gut mit ihnen umzugehen, ein noch nicht ganz zerbrochener Mann mit einem noch nicht ganz verschütteten Herzen.
So versucht er, den blödsinnigen allnächtlichen Nachbarschaftsstreit um einen Yorkshire Terrier zu schlichten, er ist bei schweren Unfällen vor Ort, er überprüft den Tod einer alten Dame. Einen natürlichen Tod starb sie – so etwas kommt auch vor in Krimis.
Ja, ein Krimi ist die BBC-One-Serie „The Responder“, das erste Serienprojekt des ehemaligen Liverpooler Polizisten Tony Schumacher, das sich streckenweise anfühlt wie eine Reportage, bei der man einen Copper zu seinen Einsätzen begleitet, der ein wenig aussieht wie Martin Freeman – nur mit einem Bart, einem nicht allzu einladenden Gesicht, einem hörbaren Belastungsatmen und einer zupackenden Art, die man von seinen weicheren Kultrollen wie der des Watson in „Sherlock“ und der des jungen Bilbo Beutlin in den „Hobbit“-Filmen nicht kennt.
Freemans Chris Carson ist auch der liebende Vater von Tilly (Romy Hyland-Rylands) und der liebende Ehemann von Kate („Ripper Street“- und „Witcher“-Star MyAnna Buring). Aber er kann auch anders. Und an diesem „anders“ droht seine Familie zu zerbrechen.
Eine Kleinkriminelle hat den Ernst der Situation unterschätzt
Der Krimi in der Pseudodoku gehört dem Kleindealer Marco, vor allem aber seiner Freundin Casey (gespielt von den herausragenden Newcomern Josh Finan und Emily Fairn). Casey hat von dem von einem Friseur falsch beratenen Drogenbaron Carl Sweeney – die Einwohnerbezeichnung Liverpudlian bekommt angesichts seiner Haartracht eine neue Dimension – einen dicken Brocken Kokain abgezweigt. Und Chris, der, so scheint es, irgendeine alte Schuld bei Sweeney abzutragen hat, soll ihm Casey finden und „vorbeibringen“.
Das Zeug einfach zurückzugeben geht nicht – angeblich wurde es auch Casey gestohlen. Die beiden Kleindealer nehmen das Ganze auf die leichte Schulter. Aber als Sweeney und seine Männer an Caseys Übergabeort mit Zimmermannshämmern auftauchen, beschließt Chris, „der gute Bobby“ zu sein und das dumme Mädchen vor seinen Mördern zu retten.
Chris Carson gefährdet auch das Leben seiner Familie
Womit er nicht nur seine Existenz gefährdet, sondern auch die seiner Familie. Ian Hart, den man als Vater Beocca, den freundlichen Mönch und Weggefährten Uhtreds von Bebbanburg aus „The Last Kingdom“ kennt, spielt einen Gangster, der auftreten kann wie der netteste Freund von allen, dem man aber zutraut, ohne Wimpernzucken Frauen und Kinder zu töten.
Alle Liebesmüh ist vergebens. Casey nimmt das Fluchtgeld von Chris, denkt aber gar nicht an einen Szenenwechsel. Sie ist wie eine dieser blauäugigen Teenager, die in billigen Horrorfilmen immer genau in die Ecke marschieren, in der das Monster lauert. Und es ist ihr – vorläufiges – Glück, dass Sweeneys Häscher, als sie sie schließlich einfangen, die Hämmer zu Hause gelassen haben.
Eine junge Polizistin wird ihrer Illusionen beraubt
„The Responder“ ist auch die Geschichte von Ehre und Straße. Die junge Polizeibeamtin Rachel Hargreaves (Adelayo Adedayo) verachtet Kollegen wie Chris, die auch mal auf Vorschriften pfeifen, wenn ein Resultat schnell erzielt werden muss. Recht und Gesetz sind ihr alles und sie offenbart dem Zuschauer oder der Zuschauerin, dass Chris ein gefallener Polizist ist, wenn sie ihn darauf hinweist, dass er „nicht mehr Inspektor“ ist. Aber ihr Beschützer-Freund-und-Helfer-Idealismus wird auf die Probe gestellt, als sie aus heiterem Himmel angegriffen wird und Prügel einstecken muss. Mehrfach ist es Chris, der sie rettet.
Adedayo spielt die Traumatisierung durch die unverhofft und schockartig auf sie eingestürmte Gewalt superb. Rachel zittert, es ist das Zittern, von dem man immer in der Zeitung liest, wenn ein Polizist nach einem Vorfall einstweilen seinen Dienst nicht mehr ausüben kann. Die Dankbarkeit für den Dienst an der Allgemeinheit, der Respekt vor den Aufrechterhaltern der Ordnung geht immer mehr verloren – das war zuletzt auch bei den brutalen Übergriffen bei „Spaziergängen“ der Querdenker-Bewegung zu erkennen. Der Mob schlägt auch auf die Träger des Sterns ein.
Scouse ist ein Brausen in den Ohren - auch Freeman kann den Dialekt
Gebürtige Liverpooler wie der Schauspieler Ian Hart gestalten auch die Sprache authentisch. So viel Scouse ohne Untertitel, da kann man zuweilen nur ahnen, was gerade gesagt wurde. Aber auch Freeman (aus Hampshire) und Buring (eine gebürtige Schwedin) haben sich den Zungenschlag des englischen Nordens erfolgreich draufgeschafft. Alles sieht nicht nur furchtbar echt aus, es klingt auch so. Zwei von fünf Folgen gab‘s nur zur Ansicht, aber an deren Ende ist man so getriggert, dass man, ohne zu wissen, ob das Serienfigurenschicksal es am Ende gut meint mit dem „guten Bobby“, sofort für eine Fortsetzung plädiert.
Auch wenn wir insgeheim natürlich wissen, dass dieses schlimme Paralleluniversums-Liverpool nichts mit der Stadt von John, Paul, George und Ringo zu tun hat. Das echte Liverpool ist die Stadt, wo die Liebe nie schläft, und woher die zentrale Botschaft für die bessere Welt von morgen stammt: „All You Need Is Love“.
„The Responder“, Serie, fünf Episoden, von Tony Schumacher, mit Martin Freeman, Ian Hart, MyAnnaBuring, Adelayo Adedayo (streambar ab 28. März bei Magenta TV)