„Downton Abbey“ in New York: Julian Fellowes üppige Historienserie „The Gilded Age“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/BJVLQYG4PREQLKFJUAYEBZ7CHU.jpg)
Diese Tanten haben „Downton Abbey"-Kaliber: Agnes (Christine Baranski, links) und Ada (Cynthia Nixon) gehören in der Serie „The Gilded Age“ zum snobistischen New Yorker Stadtadel.
© Quelle: Die Verwendung ist nur bei redaktioneller Berichterstattung im Rahmen einer Programmankündigung ab 2 Monate vor der ersten Auss
Vier Fuhrwerke rattern zu Beginn in Kolonne durch den New Yorker Central Park. Sie bringen teure Importwaren und Kunstwerke in das neue Haus gegenüber dem der Brook-Schwestern. In den imposanten Steinbau ziehen die Russells ein, nicht wirklich vornehme Leute, die ihr Geld mit der Eisenbahn gemacht haben. Viel Geld, wir schreiben das Jahr 1882, wir blicken ins „Gilded Age“, das „vergoldete Zeitalter“, wie die Serie heißt, die am 22. April bei Sky startet.
Marian Brook muss als Bittstellerin zu ihren Tanten Agnes und Ada reisen. Denn das Haus ihres Vaters, eines Generals, war nur gemietet, was sie nicht wusste, und das ihr hinterlassene Bankvermögen beläuft sich nur auf 30 Dollar. Marian ist arm und wird am Bahnhof in einer gespielten Rauferei auch noch ihres Kleinvermögens samt der Fahrkarten beraubt. Peggy Scott, eine junge schwarze Frau aus Brooklyn, steht der Verzweifelnden bei. Und weil Peggy mit ihrer Familie über Kreuz liegt, quartiert Marian ihre Nothelferin gleich auch noch mit bei den exzentrischen Damen ein.
Julian Fellowes ist ein Meister prächtiger Gesellschaftsgemälde
Serienschöpfer Julian Fellowes kann Gesellschaft. Das hat er mit der Serie „Downton Abbey“ (2010 bis 2015) hinreichend bewiesen, deren erste Staffel gleich mit sechs Emmys gekürt wurde. Was waren diese Brit-Ränke schön: Mit dem Untergang der „Titanic“ veränderte sich die Erbfolge des Earl of Grantham in Downton, ein Familienuntergang drohte. Das Anwesen und das Vermögen mussten gerettet werden, aber der Patriarch hatte Skrupel, den bestehenden Erbvertrag anzufechten, der einen aristokratieskeptischen Anwalt aus der Mittelklasse zum Nachfolger bestellen würde.
„Downton Abbey“ war eine realistische Serie aus der Spätzeit von Dünkel und Klassengesellschaft, die auch die strenge Bedienstetenhierarchie vom Chefbutler bis zum Dienstmädchen (ohne Zugang zum Speisesaal) zeigte – und die bis heute zieht. Gerade läuft der zweite Kinofilm.
Es reicht nicht, den Schreibtisch eines bayerischen Königs zu besitzen
Die Serie „The Gilded Age“ (das vergoldete Zeitalter) aus dem „Game of Thrones“-Haus HBO geht 30 Jahre weiter zurück in der Zeit und über den großen Teich. Der alte Stadtadel trifft auf den neuen Geldadel. Und die Unternehmersfrau Bertha (Carrie Coon aus „The Leftovers“) erlebt mit ihrer Soirée ein Desaster. Ihr französischer Koch hat alles gegeben, die Tafel gleicht einem Gemälde und biegt sich von der Last der Köstlichkeiten, und der Kronleuchter in der Eingangshalle ist so groß, dass man ihn gefühlt mit 20 Mann besetzen könnte. Alles Prunk und Glitzer. Und niemand kommt.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/XNVGSQZFZ5EDPAVKLFPO3VXP64.jpg)
Armes Kind bei reichen Tanten: Marian (Louisa Jacobson) will sich in New York freischwimmen.
© Quelle: Die Verwendung ist nur bei redaktioneller Berichterstattung im Rahmen einer Programmankündigung ab 2 Monate vor der ersten Auss
Wohl mag in ihrem Haus der Schreibtisch von König Ludwig von Bayern stehen (auf den ihr Gatte George fröhlich ungehobelt die beschuhten Füße legt). Aber das bedeutet noch lange nicht, dass die alten Patrizierfamilien für Parvenus ein Willkommen übrig hätten. Ein Freund der Russells bringt es auf den Punkt: „Sie hatten seit Ankunft der Mayflower das Sagen. Und Sie sind die Zukunft. Wenn aber Sie die Zukunft sind, sind sie selbst die Vergangenheit. Und das macht ihnen Angst.“
Die Juwelen im Figurenpool sind zwei ältliche Tanten
„The Gilded Age“ ist die große Show der Gründerzeit. Amerika ist dank der Eisenbahn mobil geworden, das elektrische Licht blitzt allerorten auf, die Industriegesellschaft blüht und der amerikanische Traum wird für manche Wirklichkeit. Fellowes liefert gewohnt üppig Ausstattung und Ambiente und blättert sein Drama in wohltuender Gemächlichkeit auf. Selbst Gewitter und Wolkenbruch sind unter seinen Fittichen malerisch und viele seiner neuen Figuren sind ungemein vielversprechend: Louisa Jacobson – Meryl Streeps Tochter – spielt die junge Marian Brook, die so frei wie möglich leben möchte und sich mit Russell-Spross Larry (Harry Richardson) befreundet, der ebenfalls von Freiheit träumt, jedenfalls von anderem als von Daddys Gleisen und Lokomotiven. Und auch Larrys kleine Schwester Gladys (Taissa Farmiga) übt sich in erster Aufsässigkeit.
Die Juwelen im Personenpool der Serie aber sind Marians dialogstarke Tanten, die schnippische Agnes (Christine Baranski – „Good Wife“, „Cybill“) und die altjüngferlich-gutherzige Ada (Cynthia Nixon – „Sex and the City“). Beide könnte man problemlos ins Schloss der Granthams verfrachten, wo sie sich vorzüglich mit Maggie Smiths Lady Violet kabbeln würden.
Es gilt, Familiengeheimnisse zu lüften
Auch in die Gewölbe der Bediensteten wird man in bester „Downton“-Manier geführt. Wo ein gutmütiger Butler auf eine grimmige Hausdame stößt, die sich über die Aufnahme der (aus gutbürgerlichem Hause stammenden) Peggy (Denée Benton) stört und die somit die Stimme des Rassismus im liberalen New York ist.
Peggy will Essays, Kurzgeschichten und irgendwann einen Roman schreiben. Einem fraglos düsteren Familiengeheimnis, in das ihr Vater verstrickt ist, will man als Zuschauer im Verlauf der ersten Staffel ebenso auf die Spur kommen wie den Abgründen in der Chronik der Brooks. Einst hat, so muss Marian erfahren, ihr Vater die Familienfarm verkauft und das Geld verprasst. Weil auf den alten Henry kein Verlass war, so erzählt ihr Ada, musste Agnes heiraten. Und: „Van Rhijn war kein Mann, mit dem man gern allein sein wollte.“
New Yorks Straßensand ist anfangs wie frischer Katzenstreu
Am Anfang sehen die Straßen der vergoldeten Stadt noch ein wenig aus, als seien sie frisch angelegt für diese Serie. Der Sand, über den die Kutschen rollen, ist gelb und unberührt wie frischer Katzenstreu. Später ist er von trübem Braun, es finden sich pittoresk verstreut die nötigen Pfützen und Pferdeäpfel. Und am Ende ist New York die Stadt, die zwar noch ein bisschen schläft, in der aber schon mal jeder anders zu Bett geht. Peggy holt noch einen Stift und ein Blatt Papier aus der Schreibtruhe. Marians Cousin Oscar (Blake Ritson) wirft sich mit einem Geliebten aufs Bett – hier liegt noch einiges Dramapotenzial. Und die gedemütigte Bertha Russell schwört sich am Ende der ersten, fast spielfilmlangen Episode – während in einer Parallelmontage ihre Einladung im Kamin der hochnoblen Roosevelts Feuer fängt – nicht aufzugeben. „Das wird denen eines Tages noch leidtun!“
Hoffentlich! Jedenfalls zweifeln wir keine Sekunde daran. Julian Fellowes hat uns ganz und gar am Haken.
„The Gilded Age“, erste Staffel, neun Episoden, mit Christine Baanski, Louisa Jacobson, Cynthia Nixon, Carrie Coon, Denée Benton (streambar bei Sky)