„Tatort“-Star Ulrich Tukur: „Ich wäre mit 50 sicher ein guter Vater geworden“
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Hans Klettmann (Ulrich Tukur) steht für Ehrgeiz und Disziplin. Ganz im Gegensatz zu seinem Sohn Peter.
© Quelle: ZDF und Walter Wehner
Ulrich Tukur (65) ist vielen als der „Tatort“-Ermittler Felix Murot bekannt. Nun ist der Schauspieler in der siebenteiligen Dramaserie „Gestern waren wir noch Kinder“ zu sehen, die ab dem 30. Dezember in der ZDF-Mediathek abrufbar ist und am Montag, 9., Dienstag, 10., und Mittwoch, 11. Januar, jeweils ab 20.15 Uhr im ZDF läuft.
Der Vater Hans Klettmann, den Sie in „Gestern waren wir noch Kinder“ spielen, ist spießig, cholerisch und emotionskalt. Machen Ihnen solche Figuren mehr Spaß als „gute“?
Widersprüchliche Figuren sind natürlich immer interessanter. Die Komplexität von Hans Klettmann hat vermutlich mit seiner Vergangenheit zu tun. Klettmann ist etwa so alt wie ich. Ich bin mit einem Vater groß geworden, der noch im Zweiten Weltkrieg Soldat war. Wahrscheinlich ist ihm etwas Ähnliches passiert. Es könnte also durchaus sein, dass er einen hoch traumatisierten Vater hatte, der seine Verletzungen und seinen Zorn am eigenen Sohn ausließ. Nicht verarbeiteter Schmerz ist meist sprachlos und wird so lange an nachfolgende Generationen weitergegeben, bis man das Unaussprechliche endlich sagt und verarbeitet.
Ziehen Sie die persönlichen Erfahrungen mit Ihren Eltern auch beim Spielen der Rolle heran?
Natürlich trage ich die Geschichte meiner Familie in mir und damit eine tiefe Vergangenheit, die Leben all der Generationen, die vor mir da waren und mich erst möglich gemacht haben. Bei uns ging es allerdings nicht so zu wie bei den Klettmanns, aber die Verklemmtheit meiner Familie im Umgang mit Gefühlen hat mich wohl am Ende zum Theater getrieben, das den Spieler ja zwingt, sein Innenleben zu veräußern. Man darf nie unterschätzen, wie entscheidend die ersten Jahre in der Entwicklung eines Menschenlebens sind.
Der Sohn Ihrer Figur, Peter Klettmann, hält seinen Vater für einen schlechten Vater und will es mit seinen Kindern besser machen. Kennen Sie diesen Gedanken?
Ja, meine Geschichte ist allerdings sehr speziell. Ich habe mich von meiner damaligen amerikanischen Frau getrennt und damit auch meine beiden Töchter „verloren“. Sie sind in den USA groß geworden, und ich hatte leider wenig Einfluss auf ihre Erziehung. Ich war zum Zeitpunkt meiner Heirat zu jung, stand am Anfang meiner Karriere und habe sicher auch viel falsch gemacht. Vieles, was mir an meinem bürgerlichen Elternhaus zusetzte, hätte ich gerne anders gemacht, nur kam ich nicht dazu. Der atlantische Ozean war zu breit und tief, und ein Vater, der nicht vor Ort und fassbar ist, wird zu einer Traumfigur, die in ihrer Rätselhaftigkeit kaum einen Erziehungswert besitzt.
Hans Klettmann redet seinem Sohn ein, Jura studieren zu müssen. Haben Sie jemals versucht, Ihren Töchtern in ihre Zukunftswünsche reinzureden?
Als ich merkte, dass meine jüngere Tochter Schauspielerin werden wollte, habe ich ihr den Besuch der staatlichen Schauspielschule in Cardiff/Wales ermöglicht. Ich sagte ihr nicht, dass ich glaube, es sei nicht das Richtige für sie. Ich dachte, sie soll sich ausprobieren, ahnte aber gleichzeitig, dass es nicht gutgehen würde. Ich glaube, dass Kinder klare Ansagen, so etwas wie eine Autorität brauchen, an der sie sich orientieren können. Diese Einsicht ist bei den Erziehenden meiner Generation weitgehend kollabiert, aus Idealismus, aber auch aus Bequemlichkeit und Ignoranz. Endloses Appeasement und indifferente Toleranz führen bei Kindern zu einer Freiheit, die toxisch ist und in totale Orientierungslosigkeit mündet.
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Also muss Ihrer Meinung nach ein Zwischenweg zwischen Befehlen und dem Lassen vollkommener Freiheit gefunden werden?
Befehlen soll man nichts, man sollte überzeugen, und das möglichst liebevoll. Aber wenn man merkt, dass ein Kind in die falsche Richtung läuft, sollte man schon „Stopp!“ rufen und vielleicht auf ein Veterinärmedizinstudium bestehen, weil man zum Beispiel schon immer eine große Tierliebe bei seinem Kind beobachtet hat. Man muss als Vater oder Mutter aber da sein, am allerbesten im altbewährten Doppelpack, und das waren wir nicht, weil meine Töchter eben in Amerika groß wurden.
Würden Sie das rückblickend gern anders machen?
Ich hätte Kinder gerne 20 Jahre später bekommen. Wenn man in einer Karriere steckt, kann man sich nicht auch noch um eine Familie kümmern. Da hat man andere Prioritäten. Ich wäre mit 50 sicher ein guter Vater geworden, aber da war der Zug schon abgefahren.
Halten Sie also auch für Männer Familie und Beruf für schwer vereinbar?
Es kommt auf den Beruf an und auf die Einstellung desjenigen, der sich beides zumutet. Es gibt Menschen, die kriegen das großartig hin, aber ich gehöre eben leider nicht dazu. Als jemand, der Karriere machen will und Erfolg hat, will man sich natürlich austoben. Es ist eine gewaltige Dummheit, sich dann zu früh zu binden.
Mal etwas anderes: Stört es Sie, dass viele Sie immer als den „Tatort“-Ermittler Murot sehen, obwohl Sie vorher und auch parallel viel anderes gemacht haben und machen?
Nein. Murot ist eine Figur, die ich mitgestalten durfte. In ihr steckt sehr viel von mir selbst, und die Rolle eines „Tatort“-Kommissars führt natürlich zu einer gewissen Popularität. Was ja auch nicht so schlecht ist, wenn man mal ein Restaurant besuchen will, in dem die Plätze notorisch belegt sind (lacht). Aber ich rufe da natürlich nicht als Hauptkommissar Murot an. Ich denke, mit wenigen Ausnahmen hat unser Wiesbaden-„Tatort“ sehr sehenswerte Filme generiert. Aber endlos werde ich das natürlich nicht weitertreiben; irgendwann schwächelt der Sender, erlahmen die Drehbücher, entzieht sich das Publikum, dürfen alte weiße Männer keine Polizisten mehr spielen – oder ich kann mir meine Sätze nicht mehr merken.
Haben Sie also vor, irgendwann in Pension zu gehen und nicht mehr zu schauspielern?
Ich werde weitermachen, solange ich kann. Es wird dann aber eher die Musik sein, die ich mehr als alle andere liebe. Vielleicht sogar noch ein wenig Theater oder das Schreiben von hoffnungslos altmodischer Literatur. Ein Ziel muss es aber immer geben, und eine unbekannte Landschaft, die darauf wartet, dass man sie betritt und erkundet. Aber herumhocken und weintrinkend auf den Tod warten, das kann ich nicht.
Aber Sie wollen es dann auf das reduzieren, was am meisten Spaß macht?
Das wär’s natürlich. Man legt sich im Laufe seines Lebens viel zu, was man nicht wirklich braucht. Eine Immobilie macht, wie der Name schon sagt, immobil, und irgendwann muss man sich von den Dingen trennen, die dir mehr Energie rauben, als sie dir geben. Wenn du hoch fliegen willst, musst du Gewichte abwerfen, damit du möglichst lange in der Luft bleibst. Das Leben ist wunderschön, ein fantastisches Geschenk, aber es ist auch kurz und zerbrechlich. Das Meisterstück ist der elegante Abgang. Oder man schafft es, das Ende einfach zu ignorieren, wie meine italienischen Freunde es tun.
Können Sie das ganz gut?
Nein (lacht). Da bin ich eher deutsch. Ich bin nur angstfrei, wenn ich auf der Bühne oder vor der Kamera stehe. Dann verschwindet das alltägliche, mühselige Leben, und ich stecke in einer Parallelwelt, in der ich glücklich und unsterblich bin. Ich bin im Film und auf der Bühne schon so oft hingerichtet und erschossen worden, dass der Tod sich für mich alten Hasen vielleicht gar nicht mehr interessiert und mich einfach links liegen lässt. Dann würde ich mit meinen Ur‑Ur‑Urenkeln ein Fass Rotwein leeren und ihnen etwas von der Unsterblichkeit vorschwindeln (lacht).