Warum gefällt Ihnen der „Tatort“ nicht mehr, Felix Huby?
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Ideen für den „Tatort“: Felix Huby.
© Quelle: SWR/Jürgen Haas
Huby. Herr Huby, was machen Sie sonntagabends um 20.15 Uhr?
Das ist ganz unterschiedlich. Mal bin ich im Kino, mal im Theater. Wobei das natürlich im Moment nicht geht. Aber ich schaue nur noch sehr selten einen „Tatort“.
Warum?
Ich bin der vielen Krimis im Fernsehen müde. Wann immer man das Gerät einschaltet, stolpert man über Krimis. Und im Grunde genommen ist alles schon erzählt, weswegen sich sehr viel wiederholt. So ist mein Interesse nach und nach erloschen.
Finden Sie, der „Tatort“ hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert?
Oh ja! Sogar drastisch. Ich habe mir neulich mal wieder den Münster-„Tatort“ angeschaut und war doch ziemlich verwirrt, was mir da angeboten wurde. Das liegt natürlich auch an der sehr viel schnelleren Erzählweise, die sich durchgesetzt hat.
Huby geht es im „Tatort“ um die Abbildung der Gesellschaft
Sie haben viele Drehbücher für den „Tatort“ geschrieben. Allein 23 über Ihren berühmtesten Kommissar Ernst Bienzle, der von 1992 bis 2007 in Stuttgart ermittelte. Zu sehen waren häufig politisch brisante Themen wie korrupte Politiker oder illegaler Atommüll. Ging es Ihnen immer mehr um den Kommissar und den Fall oder mehr um die Abbildung gesellschaftlicher Missstände und Probleme?
Es ging mir um die Abbildung der Gesellschaft. Man hat früher oft gesagt, dass die neuartigen Krimis, die mit -ky und Friedhelm Werremeier begonnen hatten, der neue deutsche Gesellschaftsroman werden sollten. Als ich dazukam, waren wir sechs Autoren in der berühmten Schwarzen Reihe bei Rowohlt. Irene Rodrian und Michael Molsner gehörten auch dazu. Das waren alles gesellschafts- und zeitkritische Autoren. In der Tradition habe ich mich auch empfunden.
War das berühmte schwedische Krimiautorenduo Sjöwall/Walhöö, die Meister des gesellschaftskritischen Krimis, für Sie ein Vorbild?
Absolut. Ich bin sogar erst über Sjöwall/Walhöö zum Kriminalroman gekommen. Ich habe ihre Romane gelesen und war begeistert. Damals dachte ich, man müsste auch mal versuchen, solche Bücher zu schreiben. Als ich dann an einem Krimi über illegale Atommüllentsorgung arbeitete – Hintergrund war ein realer Fall, den ich für den „Spiegel“ recherchiert hatte –, hatte ich immer Sjöwall/Walhöö im Hinterkopf.
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Kommissar Martin Beck (Peter Haber, l.) aus der ZDF-Krimireihe „Kommissar Beck“ wurden von den schwedischen Krimiautoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö erfunden.
© Quelle: Bodo Marks/dpa
Wir feiern an diesem Wochenende 50 Jahre „Tatort“. Warum lieben die Deutschen diese Serie so sehr?
Der „Tatort“ hat mittlerweile einfach Tradition. Man hat damals Filme geschaffen, die in einer bestimmten Region oder Stadt spielten – also in der Wirklichkeit der Menschen, die sich den „Tatort“ anschauen. Diese Nähe zur Realität, die die Fälle lange Zeit besaßen, hat diese Tradition geprägt.
Sie waren in Ihrem ersten Leben Journalist, vor allem beim „Spiegel“. War das ein Vorteil für Sie beim Drehbuchschreiben?
Ja, natürlich. Ich konnte vor allem in der ersten Zeit auf einen Fundus von eigenem Erlebtem zurückgreifen. Nehmen wir ein Beispiel: Ich habe für den „Spiegel“ eine Titelgeschichte über Undercover-Agenten geschrieben, also über verdeckte Ermittler bei der Polizei. Da verfügte ich über Einblicke, die man sonst als Journalist selten hat, weil ich damals den stellvertretenden Chef des LKA gut kannte und der mich auch zu Ermittlungen mitnahm. Ich war da also sehr informiert. Und daraus habe ich dann meinen ersten Schimanski-„Tatort“ entwickelt. Der beste Freund Schimanskis, gespielt von Günther Maria Halmer, war dann ein solcher verdeckter Ermittler.
Kann man denn sagen, Sie sind der Erfinder von Schimanski?
Nein! Das ist einer dieser Irrtümer, mit denen ich mich schon viele Jahre herumplage. Die „FAZ“ hat mal geschrieben, ich sei der „Vater von Schimanski“. Tatsache ist, dass damals die Verantwortlichen von der Bavaria – darunter der Regisseur Hajo Gies und der Produzent Bernd Schwamm – diese Figur entwickeln wollten. Also haben sie drei Autoren eingeladen. Das waren Horst Vocks und Thomas Wittenburg, die zusammengearbeitet haben, und ich. Wir haben dann zusammengesessen und über die Figur Schimanski geredet, Götz George kam auch dazu. Letztlich haben sowohl Vocks und Wittenberg wie auch ich den Auftrag bekommen, jeweils ein Buch zu schreiben.
Aber dann sind Sie doch einer der Erfinder von Schimanski?
Na ja, einer der vielen Miterfinder. Man kann nicht sagen, wer welchen Anteil an Schimanski genau hatte. Man kann sagen: Ich bin der Vater von Bienzle, und ich bin auch der Vater von Max Palu, dem langjährigen Kommissar in Saarbrücken. Aber ich bin nicht der Vater von Schimanski.
Sie sagten, Götz George war dabei, als die Figur Schimanski entwickelt wurde. Hat er denn viele Ideen eingebracht?
Ja, unheimlich viele. Die Diskussionen mit ihm waren sehr lebendig. Er hatte anfangs die Idee, dass Schimanski schwul sein sollte. Und er sollte unter Klaustrophobie leiden: also in keinen Aufzug steigen, in keinen Tunnel fahren. Das hätte die Ermittlungen natürlich erschwert. Die Klaustrophobie haben wir anfangs in die Drehbücher noch eingebaut, aber das ist mit der Zeit verloren gegangen.
Sind Sie schuld daran, dass Schimanski immer „Scheiße“ gesagt hat?
Nein. (lacht) Ich müsste das alte Drehbuch von damals noch einmal lesen, ob das Wort bei mir überhaupt vorkommt. Aber kreative Schauspieler wie Götz George oder später Manfred Krug, mit dem ich auch viel zusammengearbeitet habe, haben sich die Charaktere selbst mundgerecht zurechtgelegt. Ich habe das mit dem „Scheiße“ nicht forciert.
Felix Hubys aktueller Kommissar heißt Peter Heiland
Ihr Kommissar in Ihrer neuen Romanreihe heißt Peter Heiland. Er ermittelt in Berlin, wohin Sie vor vielen Jahren gezogen sind. Welche Rolle spielt die jeweilige Stadt in Ihren Krimis?
Eine große. Als ich anfing, „Tatort“-Drehbücher zu schreiben, hat man uns immer gesagt: Der zweite Hauptdarsteller neben dem Kommissar ist die jeweilige Landschaft oder die Stadt. Das hat man uns so vorgegeben. Man hat dann als Autor ganz bewusst auch über die Landschaft und die Stadt erzählt. Das ist heute fast alles verschwunden. Die Kommissare und ihre Orte sind fast alle austauschbar, nahezu jeder „Tatort“ könnte auch in einer anderen Stadt spielen.
Was unterscheidet denn den Darsteller Berlin vom Darsteller Stuttgart?
Sehr viel! Berlin ist sehr viel hektischer, viel direkter, auch in der Sprache, es ist zum großen Teil auch rüder. Der Stuttgarter geht immer Umwege, während der Berliner den direkten Weg sucht. Bei mir werden diese beiden Regionen sowie die Menschen, die Stuttgarter und die Berliner, immer wieder miteinander konfrontiert. Sie geraten in meinen Romanen aneinander. Das ist etwas, was ich als Schwabe in Berlin auch erlebe. Wobei ich in all den Jahren hier nicht gelitten habe.
Seine Figuren haben ihn beim Schreiben in der Hand
Sie haben unzählige Bücher, Drehbücher, Theaterstücke und vieles mehr verfasst. Was fasziniert Sie am Schreiben?
Es ist mein Leben. Wenn ich schreibe, tauche ich vollkommen in die jeweilige Geschichte ein. Ich sitze gerade wieder an einem Roman, und ich lebe dann mit den Figuren. Sie entwickeln ihre eigene Dynamik, machen Dinge, mit denen der Autor absolut nicht gerechnet hat. Das heißt, ich gehe oft einfach schon deshalb an den Schreibtisch zurück, um zu erfahren, wie es weitergeht.
Das heißt, nicht Sie haben die Figuren in der Hand, sondern die Figuren Sie?
So ist es.
Wird Felix Huby noch einmal einen „Tatort“ schreiben?
Schreiben Sie vielleicht doch noch einmal einen „Tatort“?
Nein, das ist ausgeschlossen. Es ist ausgeschlossen, dass ich überhaupt noch einmal ein Drehbuch schreibe. Schauen Sie: Ich habe eine Trilogie geschrieben über mein Leben, die sehr erfolgreich war, „Heimatjahre“, „Lehrjahre“ und „Spiegeljahre“. Es gibt Anfragen, ob man daraus nicht eine Serie machen könnte oder zwei, drei Einzelfilme. Da sage ich: Sehr gern, aber ich möchte die Drehbücher nicht mehr schreiben.
Warum nicht?
Ich möchte mich nicht mehr mit Redakteuren, Dramaturgen und Regisseuren auseinandersetzen müssen und bis zu sieben, acht Fassungen schreiben, wenn ich ab der dritten Fassung nicht mehr damit einverstanden bin, was da passieren soll.
Sie haben Bienzle 2012 in den Ruhestand geschickt. Wie ist das bei Ihnen? Schreiben Sie weiter?
Ich schreibe weiter, bis mir jemand sagt, das taugt nichts mehr. Aber bislang werden meine Bücher noch angenommen. Oder ich höre auf, wenn ich merke, ich habe nicht mehr die Kraft. Ich werde im Dezember 82 Jahre alt. Aber noch ist das nicht der Fall. Und es ist ein großes Glück, wenn man in dem Beruf, den man liebt, noch arbeiten kann.
Drehbuchautor und Schriftsteller
Felix Huby heißt eigentlich Eberhard Hungerbühler. Bis 1979 arbeitete er beim „Spiegel“. Dort führte er 1978 das berühmte Interview mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten und ehemaligen NS-Marinerichter Hans Filbinger, das zu dessen Rücktritt führte. Dann begann seine zweite Karriere als Drehbuchautor und Schriftsteller. Der 81-Jährige hat nicht nur 33 Drehbücher für den „Tatort“ verfasst, sondern auch Skripte unter anderem für „Oh Gott, Herr Pfarrer“, „Ein Bayer auf Rügen“ und „Großstadtrevier“. Dazu kommen Romane, Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine aktuelle Kriminalreihe mit Kommissar Peter Heiland in der Hauptrolle erscheint im Gmeiner-Verlag.
RND