Eine Kommissarin hört auf ihr Herz – der neue „Tatort“ aus Franken

Wer hat das kleine Kind ermordet? Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) sind bestürzt über die aktuellen Entwicklungen des Falls.

Wer hat das kleine Kind ermordet? Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) sind bestürzt über die aktuellen Entwicklungen des Falls.

Tief in den Keller steigt der „Tatort“ nur, wenn er dem Publikum auch einen Therapeuten an die Hand gibt, jemanden, der Trauerarbeit leisten kann und schon durch seinen milden Blick in das Metier „Vertrauenslehrer“ fällt. In Franken gibt es nun seit sieben Folgen Felix Voss. Gespielt wird dieser mildtätige, oft intuitive Kommissar von Fabian Hinrichs und mit diesem Mann im Fokus lässt sich auch ein Genre stemmen, das dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen sonst nicht schmeckt: die Geschichte vom toten Kind.

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Kommissar Hinrichs überzeugt durch intensive Menschlichkeit

Denn es liegt meist eine hoffnungslose Trauer über solchen Filmen, die einem Sender sonntagabends nicht gedankt wird. Wo Hinrichs als Kommissar ermittelt, da gibt es indes eine Form von Menschlichkeit, die religiös wirkt, aber im Diesseits ihren Anker wirft. Ermittler Voss erinnert an den „Bergdoktor“ im ZDF, gütig und auch weit nach Feierabend ansprechbar, nur mit besserem Drehbuch. Auch die neue Folge „Wo ist Mike?“ ist ein starker Film, der nicht Gefahr läuft, in den bodenlosen Horror abzurutschen.

Obwohl der kleine Mike, fünf Jahre alt, tot aufgefunden wird. Zunächst aber erzählt der Film von Titus (Simon Frühwirth). Wenn der Ermittler Voss meist wie ein Träumer wirkt, wie wirkt dann dieser Titus, ein junger Mann kurz vorm Erwachsenwerden? Das Träumen steigert er in eine Form des Alles-durcheinander-Denkens. Titus ist die Galionsfigur des Films, er „will raus“, vor allem aus sich selbst. Raus aber auch aus Bamberg, wo die Folge spielt und sich durch ein Terrain beißt, das erst trostlos wirkt. Doch wenn man sich nicht wehrt, sieht alles plötzlich ganz gediegen aus.

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Diese Doppelbödigkeit verkörpert Titus nahezu in Reinkultur. Titus leidet unter einer Psychose, er fährt nach Amsterdam, sieht glücklich aus, doch kehrt dann heim nach Bamberg. Dort liegt er nackt vorm Dom. Fortan steigt er wie ein Patient durch diesen Film, in weiße Räume, im weißen Pulli, flankiert von weißen Kitteln, die ihn untersuchen. Die Bilder saufen ab in diesem Weiß, sie finden keinen Rahmen. Und fransen aus. Wie generell auch die Persönlichkeit von Titus, der wie ein Comic-Männchen durch den Krimi hüpft.

Ein toter Junge liegt im Kellerschrank

Was will er überhaupt in diesem Film? Lange ist das unklar, denn der zweite, starke Faden dieses Stücks führt uns auf Umwegen zu Mike, einen fünf Jahre alten Jungen, der vermisst wird. Die Eltern sind getrennt, jeder glaubt, der Junge sei beim anderen Elternteil. Und dann wird er gefunden. Tot im Kellerschrank beim vormaligen Lehrer Rolf Glawogger (Sylvester Groth). Glawogger ist nicht irgendwer: Zwei Schüler haben ihn beschuldigt, sie sexuell belästigt zu haben. Und er ist der neue Liebhaber von Kommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), der Kollegin von Voss.

Ringelhahn kennt Glawogger freilich erst ein paar Nächte. Er ist ein Mann mit Sorgenfalten, der viel Talent für Zärtlichkeiten hat. Glawogger – ein Kindermörder? Die Beweise sind erdrückend. Paula Ringelhahn will das nicht glauben, sie stemmt sich als Privatperson gegen die allgemeine Stimmung, gegen die Indizien und auch gegen die beiden Schüler, die ihn des Übergriffs bezichtigen. Sie tut das trotzig, unprofessionell und hochgradig verknallt.

Eine Kommissarin hört auf ihr Herz statt auf Indizien

Voss ruft sie zur Räson. Sie möge auf Indizien hören, nicht nur auf ihren Herzschlag. Spannend wird es an der Schnittstelle, an der sich die Tragödie um Mike und die Psychose dieses langen, freundlichen, doch sehr verhuschten Titus‘ treffen. Wie nimmt der Film den jungen, psychisch kranken Mann in sein Visier, der irgendwann als verdächtig gilt, auch deshalb, weil die Kommissarin Ringelhahn zunächst beteuert, sie habe Rolf nahtlos im Blick gehabt, der Geliebte könne nicht der Mörder sein.

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Dass letztlich Felix Voss die Dinge und die seelischen Verrenkungen mit ruhigen Fingern ordnet, gerade er, der gerne so zerstreut durch seine eigenen Gedanken läuft, ist fast ein kleines und doch anrührendes Wunder, das man Regie (Andreas Kleinert) und Drehbuch (Thomas Wendrich) verdankt. Ja, man muss danken für den Film, weil er die vielen Ebenen so souverän bespielt. Und weil er sein Ensemble so präzise in die Spur setzt. Das ist mehr als bloßes Handwerk, in diesem „Tatort“ steckt viel Menschenkenntnis.

„Tatort: Wo ist Mike“, Regie: Andreas Kleinert, Drehbuch: Thomas Wendrich, mit Fabian Hinrichs, Dagmar Manzel, Simon Frühwirth, Sylvester Groth, Sonntag, 16. Mai, 20.15 Uhr, ARD

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