Führt die brutale Netflix-Serie „Squid Game“ zu gewalttätigen Vorfällen an deutschen Schulen?

Poppige Kostüme und brutale Szenen haben die Netflix-Serie "Squid Game" zum viralen Hit gemacht.

Poppige Kostüme und brutale Szenen haben die Netflix-Serie "Squid Game" zum viralen Hit gemacht.

Die fiktionale Serie „Squid Game“ aus Südkorea wird derzeit so häufig bei der Streamingplattform Netflix gestreamt wie keine andere. In neun Folgen treten hoch verschuldete Frauen und Männer bei erst einmal harmlosen Kinderspielen gegeneinander an, um ein Millionenpreisgeld zu gewinnen. Der Unterschied zu Kinderspielen: Wer verliert, wird grausam hingerichtet.

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Laut Medienberichten haben Schüler an einer Schule im belgischen Erquelinnes ihre Version der Serie nachgespielt, wobei die Verlierer regelrecht verprügelt wurden. Die Schulleitung musste sich schließlich per Facebook an die Eltern der Schüler wenden. In Großbritannien ging ebenfalls ein Elternbrief herum, der vor dem Einfluss der Serie warnte.

Kinder schauen „Squid Game“, obwohl sie zu jung sind

Wie sieht es an deutschen Schulen aus? Hierzulande ist die Serie, unter anderem wegen der Gewaltdarstellungen, erst ab 16 Jahren freigegeben. „Wenn Serien so populär sind wie ‚Squid Game‘, dann kann man sich sicher sein, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen, auch derer unter den empfohlenen 16 Jahren, sie gesehen hat. Das geht durch. Es ist offensichtlich, dass solch eine virale Serie die Schülerinnen und Schüler bewegt“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Man solle sich keine Illusionen machen, dass Kinder diese Serie nicht schauen würden, nur weil sie offiziell zu jung dafür seien.

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Doch ein Auslöser für eine Gewaltwelle an deutschen Schulen war die Serie nicht. „Aus den einzelnen Verbänden haben Lehrerinnen und Lehrer noch von keinen Vorfällen berichtet.“ Dennoch bleibt das Problem bestehen, dass Kinder und Jugendliche Zugang zu Serien mit expliziten Gewalt- und Sexualdarstellungen haben. „Jugendschutz gibt es faktisch nicht mehr – egal, welche Einstellungen die Streamingplattformen vorgenommen haben. Die Kinder und Jugendlichen kommen trotzdem an die Produkte“, so der Pädagoge. Doch befürchtet er auch, dass es für die meisten nicht das erste Mal ist, dass sie mit expliziten Gewaltdarstellungen in Berührung gekommen sind. „Sehr viele sind solche Formate leider gewöhnt.“

Meidinger: „Verbote bewirken das Gegenteil“

In Großbritannien rufen Schulen Eltern dazu auf, dass Kinder die Serie nicht sehen sollten, um Nachahmungen gewalttätiger Szenen zu verhindern. Doch Meininger glaubt nicht an Verbote: „Verbote bewirken in der Regel das Gegenteil.“ Das könne die Serie aus Sicht der Schüler nur noch attraktiver machen. Viel mehr müssten sich Schulen der Realität stellen. „Realität ist, dass durch das Internet der fast unbeschränkte Zugang zu Medien mit Gewaltdarstellungen und die Konfrontation mit dieser da ist und sich nicht einfach zurückdrängen lässt.“ Schulen sollten nicht so tun, als ob Schülerinnen und Schüler solche Serien nicht sehen würden, nur weil sie offiziell noch zu jung dafür seien.

Und dies bedeutet: Kommunikation. „Die Schülerinnen und Schüler sollten im Idealfall im Unterricht darüber sprechen, wenn sie die Serie bewegt und nicht nur in den Pausen. Dafür müssen die Lehrkräfte aber auch wissen, was sich die Kinder im Netz anschauen. Viele wissen gar nicht, was da läuft oder gefragt wird“, glaubt Meidinger. Auf ein festes Netz kommt es an, um die Eindrücke aus der Serie zu verarbeiten. „Die meisten Kinder können zwischen Realität und Fiktion klar unterscheiden. Hilfreich ist, wenn diese Kinder Ansprechpartner haben: Freunde, Eltern – und Lehrer. Deswegen ist es wichtig, dass Formate wie ‚Squid Game‘ in der Schule, aber auch im Elternhaus thematisiert werden.“ Anders sei es bei labilen Kinderpsychen.

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Ein festes soziales Netz kann helfen

„Bei zu kleinen oder auch ängstlichen Kindern ohne Unterstützungsangebote kann dies dazu führen, dass sie sich abkapseln und in die eigene Welt zurückziehen. Das ist aber kein spezielles Problem von ‚Squid Game‘, sondern von Medien generell“, warnt der Präsident des Lehrerverbandes. Dies sei aber keine besondere Problematik der Netflix-Serie, sondern von Medien mit Gewaltdarstellungen generell. Gleichzeitig will der Pädagoge Nachahmungen aus der Serie nicht grundsätzlich verteufeln. „Wenn Kinder einfach nur die Kinderspiele aus ‚Squid Game‘ wie Tauziehen oder Ochs am Berg nachspielen, sehe ich kein Problem. Gewalt ist aber – grundsätzlich – fehl am Platz“, stellt Meidinger klar.

Doch ist Gewalt nicht unbedingt nur auf dem Schulhof ein Problem. „Seit etwa zehn Jahren beobachten wir, dass sich verbales Mobbing und physische Gewalt vom Schulhof in die digitalen Medien verlagert hat“, sagt der Pädagoge. Welchen Effekt dabei die Corona-Krise habe, könne er noch nicht abschätzen. „Der verantwortungsbewusste Umgang mit Medien ist in den vergangenen eineinhalb Jahren durch Corona in den Hintergrund geraten. Mit der Pandemie ist eher ein Negativeffekt eingetreten: Teilweise hat der Medienkonsum in den Lockdownphasen völlig unkontrolliert bei den Schülerinnen und Schülern zugenommen.“

Eine Studie gibt ihm Recht. Zu Beginn der Pandemie, im April 2020, waren 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen laut einer DAK-Studie über fünf Stunden oder mehr pro Tag im Netz und nur 10 Prozent unter einer Stunde. Vor dem Corona-Ausbruch waren die Verhältnisse umgekehrt. „Die Länder haben bei der Digitalisierung lange vordergründig nur auf technische Aspekte wie Geräte oder schnelles Internet gesetzt. Doch ist der selbstverantwortliche, kritische Umgang mit digitalen Medien die vielleicht noch größere Herausforderung unserer Zeit.“

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