Experte oder Litfaßsäule? Warum der Fall Schweinsteiger problematisch ist

Bastian Schweinsteiger als EM-Experte der ARD.

Bastian Schweinsteiger als EM-Experte der ARD.

Köln. Die ARD ermittelt seit inzwischen fünf Tagen in einem möglichen Schleich­werbungs­fall: Der EM-Experte Bastian Schweinsteiger hatte beim Viertelfinale der Engländer gegen die Ukraine am Samstag eine Uhr getragen, für die er dummerweise etwa zur selben Zeit auch auf Twitter einen mutmaßlichen Werbepost veröffentlicht hatte.

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Inzwischen ist der Beitrag gelöscht, Schweinsteiger hat offenbar eine Ermahnung erhalten – der Fall ist aber nach wie vor nicht richtig aufgeklärt. Man stehe mit Schweinsteiger und seinem Management in Kontakt, teilt der für die EM-Bericht­erstattung zuständige Westdeutsche Rundfunk (WDR) praktisch täglich gegenüber Medien mit. Warum genau man dafür fünf Tage braucht und trotzdem nicht zu einem Ergebnis kommt, bleibt unklar. Eine RND-Anfrage beantwortete die Anstalt am Mittwoch nicht. „Inhalt und Ergebnis dieser Gespräche“ werde man „vertraulich behandeln“.

Dabei ist der Fall eigentlich ziemlich eindeutig: Schweinsteiger hat sich verirrt in eine neblige Parallelwelt zwischen Werbetätigkeiten, privatem Modegeschmack und seiner Arbeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in der die Grenzen komplett verschwimmen. Ein Problem, das auch bei anderen Influencerinnen und Influencern zu beobachten ist.

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Werbung für Kartoffelchips und Baumärkte

Der ehemalige Sport­kommentator Werner Hansch beschrieb die Tätigkeit Schweinsteigers vor einigen Wochen in einem RND-Interview so: Bastian Schweinsteiger sei inzwischen nicht nur „Experte für Fußball, sondern offenbar auch für Kartoffelchips und Gartenarbeiten. Und das alles in einer Sendung. Das ist mir alles ein bisschen zu viel.“

Worauf Hansch mit dieser Aussage offenbar anspielt: Neben seinem Expertenjob in der ARD ist Schweinsteiger aktuell auch Werbegesicht für eine Baumarktkette. In einem Fernsehspot sieht man Schweinsteiger mit seiner Freundin Ana Ivanović in Zeitlupe ein Kohlrabibeet pflanzen. In einem aktuellen Spot für eine Chipsmarke steht Schweinsteiger auf einer Gartenparty herum, wo er in eine Snackschale greifen will, jedoch von seinen Freundinnen und Freunden immer wieder davon abgehalten wird.

Auf seinem Instagram-Profil macht Schweinsteiger Werbung für ein E‑Lastenrad, das gerade für ihn „als Familienpapa“ super geeignet sei. Natürlich darf auch Werbung für einen Klamotten­hersteller nicht fehlen. Und für ein PC-Spiel. Und für die bereits bekannte Uhr. Und selbstverständlich bewirbt Schweinsteiger auch noch sein eigenes Buch und seine eigene Doku, das darf bei alldem natürlich auch nicht zu kurz kommen.

Wandelnde Litfaßsäule

Die Liste früherer Werbepartner ist ebenfalls lang: mal ein Kopfhörerhersteller hier, mal ein Duschgel­produzent da und immer wieder Kartoffelchips.

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Keiner der Werbespots wirkt sonderlich authentisch oder wenigstens gut geschauspielert – aber es ist nun mal Schweinsteigers Gesicht, das zählt und zum Kaufen animieren soll.

Schweinsteiger ist in den vergangenen Jahren zur wandelnden Litfaßsäule mutiert. Das Instagram-Profil des EM-Experten gleicht einem bunten Gemischt­warenladen. Natürlich sind nicht alle Schweinsteiger-Posts Werbebeiträge, zumindest sind viele Beiträge nicht als solche gekennzeichnet. Aber genau da fängt das Dilemma ja an.

Undurchsichtige Suppe

Um ein paar Beispiele zu nennen: Auf einem Instagram-Bild sieht man Schweinsteiger und eine Espresso­maschine im Hintergrund. Bei einem süßen Pärchenfoto prangt auf der Mütze seiner Freundin das Logo eines Sportklamotten­herstellers.

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Auf einem Instagram-Bild sieht man unscharf im Hintergrund, jedoch an der türkis Farbe erkennbar, eine bekannte Zahnpasta-Verpackung. Und dann gibt es natürlich gleich mehrere Bilder, auf denen Schweinsteiger eine dicke Uhr am Handgelenk trägt. „Welches Match war euer Favorit?“, fragt Schweinsteiger seine Fans unter einem dieser Fotos.

Ist all das jetzt Werbung oder sieht man die Produkte einfach nur, weil sie zufällig da sind? Niemand weiß das, alles verschwimmt in einer undurchsichtigen Suppe aus Privatem und Kommerz.

Das Misstrauen bleibt

Die Werbericht­linien auf Instagram sehen vor, Kooperationen direkt unter dem Profilnamen mit der Formulierung „Bezahlte Werbe­partnerschaft mit …“ zu kennzeichnen. Auch laut Gesetz müssen Influencerinnen und Influencer Posts mit dem Wort „Werbung“ markieren, sollten sie für den Post eine Gegenleistung erhalten haben.

Wahrscheinlich sind sämtliche von Schweinsteigers Posts völlig regelkonform abgesetzt – aber das Misstrauen bleibt. Und genau das ist das Problem. Die Übergänge sind so fließend, dass eine genaue Beurteilung fast unmöglich wird – und das ist vielleicht auch der Grund, warum der WDR so lange für seine Ermittlungen braucht.

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Laut ARD-Richtlinien sind „nicht kenntlich gemachte Produkt­platzierung“ im Programm grundsätzlich nicht erlaubt. Hat Schweinsteiger im TV die Uhr nun absichtlich getragen, vielleicht sogar Geld dafür erhalten? Oder hatte er einfach 20 Stück davon zu Hause und hat sich gar nichts dabei gedacht? Am Ende ist das eigentlich ganz egal – denn das Misstrauen schwingt selbst dann mit, wenn der EM-Experte gar nichts falsch gemacht hat.

Schweinsteiger ist kein Einzelfall

Mit diesem Problem ist Bastian Schweinsteiger nicht allein. In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder Diskussionen, wie viel Werbung bekannte Gesichter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eigentlich machen sollten. Die „Tagessschau“-Sprecherin Judith Rakers beispielsweise geriet 2015 in die Kritik, weil sie auch für Großkonzerne Firmenevents moderierte, etwa für den Fastfood-Riesen McDonald’s. Laut Medien­berichten soll Rakers’ Arbeitgeber, der NDR, darüber nicht sonderlich begeistert gewesen sein. Erlaubt waren diese Auftritte aber dennoch. Rakers ist freie Mitarbeiterin und darf daher auch für andere Auftraggeber moderieren.

Sogar Tom Buhrow, mittlerweile Intendant des WDR, machte vor etlichen Jahren Schlagzeilen mit seinen Werbe­auftritten. Das Medienmagazin „Zapp“ berichtete damals von Moderations­auftritten bei Unternehmen, einmal interviewte Buhrow bei einer Veranstaltung für einen Sekthersteller gegen ein Honorar den rheinland-pfälzischen Minister­präsidenten. Die ARD verschärfte später die Regeln für ihre Festangestellten. Moderatorin Andrea Kiewel wurde nach einem Schleich­werbungs­vorfall 2007 sogar zeitweise gänzlich vom Bildschirm verbannt.

Doch Werbe­tätigkeiten sind nicht nur bei Gesichtern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Problem, wenn es um die Unabhängigkeit geht. Als Rezo im Frühsommer 2019 sein Erfolgsvideo „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlichte, wurde dem Youtuber vorgeworfen, ohnehin „gekauft“ zu sein. Zuvor hatte Rezo schon für verschiedene Unternehmen sein Gesicht hergehalten. Ein herbeikonstruierter Vorwurf lautete, sein Video sei eine bezahlte Kampagne für die Grünen gewesen. Dies wurde widerlegt.

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Fall Schweinsteiger sollte ein Weckruf sein

Dass solche Vorwürfe aber überhaupt entstehen können, hat auch mit dem teilweise fragwürdigen Ruf solcher Werbegesichter zu tun. Und eben damit, dass die Grenzen zwischen der einen und der anderen Tätigkeit oftmals nicht eindeutig abgesteckt sind.

Der Fall Schweinsteiger wiegt am Ende nicht so schwer wie andere prominente Fälle. Der 36-Jährige moderiert kein Nachrichten­format und zerstört auch nicht die CDU. Das „Uhren-Gate“ sollte für jedes prominente Fernseh- oder Internet­gesicht trotzdem ein Weckruf sein. Ein Weckruf, dass zu viel Werbung und schwammige Mischformen irgendwann an der Glaubwürdigkeit kratzen.

Vielleicht sollte Schweinsteiger am Ende des Tages ohnehin darüber nachdenken, nicht mehr jede erdenkliche Werbe­kooperation anzunehmen. Der 36-Jährige dürfte mit solchen Deals inzwischen so viel Geld gemacht haben, dass nicht einmal sein E‑Lastenrad all das noch nach Hause fahren kann.

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