Richard Gutjahr verlässt den BR – und macht Intendanten schwere Vorwürfe
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BR-Journalist Richard Gutjahr ist seit mehreren Jahren einem rechtsextremen Shitstorm ausgesetzt.
© Quelle: picture alliance / Christian Mül
München. Intendanten haben es nicht leicht dieser Tage: Erst vor wenigen Stunden musste WDR-Chef Tom Buhrow wegen des „Umweltsau“-Satirevideos jede Menge Kritik einstecken – jetzt steht sein Kollege vom Bayerischen Rundfunk massiv in der Kritik.
Der bekannte BR-Journalist Richard Gutjahr hat in einem Blogbeitrag angekündigt, den Sender zu verlassen. In einem offenen Brief macht Gutjahr seinem Chef, Ulrich Wilhelm, schwere Vorwürfe. Die Rede ist unter anderem von fehlender Unterstützung während eines rechtsextremen Shitstorms.
„Unsere Gegner sind uns zwei Schritte voraus“
Bei Rechtsstreits gegen die Angreifer aus dem Netz habe ihn der BR nicht ausreichend unterstützt, behauptet Gutjahr. Seinen Intendanten habe er dabei frühzeitig über die Ereignisse informiert. „Sie hätten uns helfen können, hätten sich aktiv und für alle Welt sichtbar vor Ihren Mitarbeiter stellen können. (…) Stattdessen haben Sie weggeschaut – und das, obwohl Sie als einer der Wenigen schon frühzeitig über alle Details, insbesondere über die antisemitischen Motive unserer Angreifer, bestens informiert waren“, heißt es unter anderem in dem offenen Brief.
Hass gegen Journalisten erfordere Solidarität, fordert Gutjahr: „Wenn wir nicht endlich lernen, eine gemeinsame Stimme in Bezug auf Hass und die Hetze gegen Journalisten und Politiker zu finden, und weiterhin versuchen, eigene Versäumnisse unter den Teppich zu kehren, dürfen wir uns nicht wundern, dass unsere Gegner uns immer zwei Schritte voraus sind. Das ist kein Spiel mehr. Womit wir es hier zu tun haben, ist todernst“, heißt es in dem Text.
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Der Journalist wirft dem Intendanten zudem vor, in nicht öffentlichen Sitzungen mit dem Rundfunkrat gelogen zu haben.
Ein Sprecher des Bayerischen Rundfunks zeigte sich am Abend auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschlands (RND) über den offenen Brief des Journalisten "überrascht". Eine Stellungnahme des Senders solle im Laufe des kommendes Tages folgen.
Update, 16.34 Uhr: Der BR hat auf die Vorwürfe von Richard Gutjahr reagiert und diese zurückgewiesen. Lesen Sie hier die Stellungnahme des Senders.
Verschwörungstheoretiker belästigen Journalisten und seine Familie
Gutjahr, der seit 22 Jahren als sogenannter „fester freier Mitarbeiter“ für den Bayerischen Rundfunk tätig ist, war im Sommer 2016 ins Visier von rechten Verschwörungstheoretikern geraten, nachdem er für den Bayerischen Rundfunk über zwei Tragödien berichtet hatte: den Terroranschlag von Nizza im Juli 2016 und den Anschlag von München nur wenige Tage später. Seither werden der Journalist und seine Familie im Netz verhöhnt, verflucht und verleumdet.
In einem Blogbeitrag hatte Gutjahr den Fall seinerzeit so beschrieben: „In unzähligen Youtube-Videos, Einträgen auf Facebook und auf Twitter wurden meine Frau, meine Tochter und ich aufgrund meiner Berichte (und vielleicht der Tatsache geschuldet, dass meine Frau Jüdin ist) bezichtigt, Teil einer internationalen Verschwörung zu sein, der sogenannten New World Order (NWO). Ziel dieser geheimen Organisation sei es, so wird behauptet, durch inszenierte Terrorakte die Weltherrschaft anzustreben. Haben wir anfangs über diesen Irrsinn noch gelacht, ist meiner Familie und mir das Lachen nach und nach im Hals stecken geblieben.“
In dem Beitrag hatte Gutjahr auch von gewaltigen Gerichts- und Anwaltskosten berichtet, die im Kampf gegen die Gerüchte entstanden seien. „Hinzu kommen die schlaflosen Nächte, die Tränen und die zwischenmenschlichen Konflikte, die nicht nur unser Privatleben, sondern auch das Verhältnis zu meinem Arbeitgeber auf die Probe gestellt haben.“
Sein Arbeitgeber, der BR, habe den Shitstorm seinerzeit überhaupt erst ins Rollen gebracht, schreibt der Journalist in seinem neuesten Blogeintrag: „Sie verbreiteten das Material redaktionell unbearbeitet, das heißt inklusive der Panikrufe meiner Ehefrau und dem Weinen meines Sohnes. Die von Ihnen vorgetragene Entschuldigung gab es nie.“
„Journalisten brauchen unsere Solidarität“
Gutjahrs Beitrag wird in den sozialen Netzwerken bereits rege diskutiert. Der Medienjournalist Ralf Heimann schrieb am Abend: „Richard Gutjahr beschreibt hier, wie der BR ihn alleinlässt, seit er wegen seiner Arbeit für den Sender bedroht wird. Das passt leider gut in das Bild, das auch der WDR in den vergangenen Tagen vermittelt hat.“
Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz schrieb: „Den offenen Brief von Richard Gutjahr an den Intendanten des BR sollte jede/-r lesen. Er zeigt, welchen persönlichen Bedrohungen Journalisten durch Rechtsextremisten ausgesetzt sind – und wie sehr sie unser aller Solidarität brauchen.“
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WDR-Kollege Dennis Horn kommentierte: „Den beschriebenen Umgang mit einem verdienten freien Mitarbeiter halte ich für einen Skandal.“ Alf Frommer schrieb: „Die ÖR-Sender arbeiten immer mehr mit freien Mitarbeitern. Die werden genutzt, um Festangestellte einzusparen. Und wenn es Probleme gibt bei der Arbeit FÜR den Sender, werden sie alleingelassen.“
Kritik am WDR
Erst wenige Stunden zuvor war der WDR für seinen Umgang mit einem freien Mitarbeiter scharf kritisiert worden. Kritiker warfen dem WDR-Intendanten und der Redaktion vor, freie Journalisten wie „Mitarbeiter zweiter Klasse“ zu behandeln.
Nach der Debatte um das „Umweltsau“-Satirevideo und dem sarkastischen Tweet eines freien WDR-Mitarbeiters waren Rechtsextreme vor dessen Haus aufmarschiert. Der WDR distanzierte sich in mehreren Tweets von seinem freien Mitarbeiter, kündigte jedoch erst nach großer Empörung im Netz Polizeischutz für den betroffenen Kollegen an.