Privatsender unter Druck: Pro-Sieben-Chef will Joyn zur „Superplattform“ machen
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Pro-Sieben-Sat.1-Chef Bert Habets will den Streamingdienst Joyn weiter ausbauen.
© Quelle: picture alliance / PRO SHOTS
Es kriselt heftig bei den Privatsendern in Deutschland. Auf der einen Seite gehen TV-Publikum sowie Werbeeinnahmen im linearen Angebot immer mehr zurück, während mit den Abrufangeboten nach wie vor noch nicht genügend Geld verdient wird. Die wirtschaftlichen Verwerfungen nach Pandemie und durch Ukraine-Krieg haben die Ausgangslage noch verschärft. Im Fokus steht zurzeit vor allem die Pro-Sieben-Sat.1-Gruppe, die unlängst verkündete, 400 Stellen zu streichen – 10 Prozent der Gesamtbelegschaft.
Das Rezept des Konzernchefs Bert Habets, der unter anderem für die Sender Pro Sieben, Sat.1, Kabel Eins sowie die Videoplattform Joyn zuständig ist: „Kosten senken, Effizienz steigern.“ So teilt er es dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) auf Anfrage mit und ergänzt: „Derzeit richten wir unsere Organisation neu aus und stellen wichtige strategische Weichen, um vor allem in den digitalen Bereichen stärker zu wachsen.“
Habets will Nutzerzahlen von Joyn verdoppeln
Seine Hoffnungen richten sich vor allem auf Joyn, die er zu einer „Superplattform“ machen möchte. Innerhalb von zwei Jahren will Habets die aktuelle Reichweite von vier Millionen Nutzerinnen und Nutzern monatlich verdoppeln, wie er vor einigen Wochen auf einer Pressekonferenz in Frankfurt ankündigte. Die Streamingplattform soll zur zentralen crossmedialen Anlaufstelle für deutschsprachiges Publikum werden. Parallel dazu wirbt der Konzerngeschäftsführer für ein gemeinsames Streamingnetzwerk aller deutschen Fernsehsender, inklusive der Öffentlich-Rechtlichen. Damit soll nicht nur ein schädlicher Wettbewerb zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern eingeschränkt, sondern auch ein machtvolles Korrektiv gegen eine „Flut der Desinformation“ realisiert werden.
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Gerichtet wäre solch eine Initiative aber gleichermaßen gegen eine Handvoll US-Konzerne, die mit ihren Algorithmen und auch mit ihrer Finanzkraft den gesamten Medienmarkt in Deutschland dominieren. Das Interesse dafür scheint bei den anderen deutschen Playern allerdings begrenzt, abgesehen von wettbewerbsrechtlichen Bedenken seitens des Bundeskartellamts, das ähnlichen Vorhaben in der Vergangenheit schon eine klare Absage erteilt hatte.
Ausländische Investoren könnten Sendergruppe übernehmen
Besonders zu schaffen machen den Münchnern – aber nicht nur ihnen – die Rückgänge bei den Werbebuchungen. Schätzungen für den gesamten TV-Netto-Werbemarkt gehen für das Jahr 2023 von einem Rückgang von 18 Prozent aus.
Dass bei Pro Sieben Sat.1 inzwischen ausländische Investoren mit an Bord sind, macht die Situation auch nicht einfacher. Die Firma der Berlusconi-Familie Media For Europe (MFE) ist inzwischen mit rund 30 Prozent der Aktienanteile Anwärter für eine Übernahme der Sendergruppe. Allerdings ist vor einem halben Jahr noch der Prager Finanzinvestor PPF als Großaktionär eingestiegen. Seither hat sich der Konzernverlust im Halbjahr auf 86 Millionen Euro verachtfacht, der Börsenkurs ist um fast 20 Prozent gesunken.
Gegründet wurden die Sender einst vom legendären Medienmogul Leo Kirch. Sein Unternehmen war bis zur Insolvenz und nachfolgenden Zerschlagung im Jahr 2002 der zweitgrößte deutsche Medienkonzern.
Jetzt soll der Niederländer Habets, der zuvor bei RTL tätig war, den Niedergang stoppen. Und dabei hat er bisher die volle Unterstützung der Gesellschafter, die von ihm allerdings so etwas wie einen Quantensprung mit Blick auf die digitalen Angebote verlangen. Etwas Hoffnung verbreitete vor Kurzem eine Umfrage im Auftrag des Medienverbandes Vaunet, der für das Jahr 2023 einen Anstieg der gesamten Branchenumsätze von rund 8 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro in Deutschland prognostizierte. Treiber seien dabei vor allem mit 20,8 Millionen kostenpflichtigen Abos die Streamingplattformen.
Dass Habets sich damit auf dem richtigen Weg sieht, betonte er jetzt auch gegenüber RND: „Unsere digitalen Werbeprodukte sind stark gewachsen, im zweiten Quartal um 5 Prozent, dazu gehört neben unserem Audiogeschäft auch unsere Streamingplattform Joyn.“