„Verbrechen von nebenan“: So ist der True-Crime-Podcast zum Anschauen
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Moderator Philipp Fleiters von "Verbrechen von nebenan".
© Quelle: Die Verwendung ist nur bei redaktioneller Berichterstattung im Rahmen einer Programmankündigung ab 2 Monate vor der ersten Auss
Warum alle Welt wie von Sinnen Podcasts hört, bedarf noch der Abschlussanalyse, aber eines der Geheimnisse hat definitiv mit Reizreduktion zu tun. Im Sturm abertausender Superheldenfilme und abertausender Fernsehserien findet der nimmermüde Alltagslärm auf dem Sofa seine Fortsetzung. Dies fördert bei manchen Fluchtimpulse: Ohren auf, Augen zu. So wirken selbst Hörspiele über Mord und Totschlag beruhigend, entspannend, einschläfernd, ohne ermüdend zu sein. Doch was passiert mit einem Podcast, wenn er nicht mehr nur hörend, sondern in einer Serie plötzlich wieder sehend wahrgenommen werden kann?
Philipp Fleiter versucht sich an einer Erklärung. Ab dem 19. Juli wechseln sein Podcast „Verbrechen von nebenan“ zu Sky. Dabei wird das akustische Signal der 58 Rekonstruktionen spektakulärer Nachbarschaftsdelikte in fünf Folgen 45 Minuten visuell aufgemöbelt. Ein gefilmter Podcast also: klingt angesichts der Ursprungsbedeutung „Audioblogging“ widersprüchlich. Der Moderator jedoch sei „stolz, als erster deutscher True-Crime-Podcaster ein eigenes TV-Format zu bekommen“, wie Fleiter vorm Sendestart „eine großartige Sendung“ lobt, „die es so noch nie im Fernsehen zu sehen gab“.
Kluge Fachleute - aufwendige Präsentation
Mag sein. Aber war das nicht auch besser so, könnten Hörspielfans hier fragen? Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach. Denn natürlich fesselt der Fall, den er sich für die Premiere ausgesucht hat, genug für sichtbare Begleitung am Bildschirm. Es geht ums „Horrorhaus von Höxter“, wie die Boulevardpresse 2016 jenen Tatort taufte, an dem ein Paar Frauen wie Tiere hielt und verhungern ließ. Davon berichtet uns der smarte Journalist und hat dafür wie online üblich Fachleute geladen.
Die Rechtspsychologin Natalie Oesterlein sitzt zwischen dem Rechtsgelehrten Roland Weber und ihrem Gastgeber im altenglischen Ledermobiliar eines violett beleuchteten Backsteinstudios und macht das, was sie sonst vermutlich im schlichten Aufnahmestudios täte: reden. Denn genau darin besteht gemeinhin das Erfolgsgeheimnis aller Podcasts. Man lauscht den Stimmen der Sprechenden, ohne von Firlefanz abgelenkt zu werden.
Dummerweise ist in der Sky-Version nahezu alles Firlefanz – was leider auch auf den Moderator abfärbt. Eigentlich ist Fleiter ein Host, dessen warmes Timbre gekonnt die Balance zwischen hart und sanft hält, der gut zwischen Information und Entertainment wechseln kann. Doch driftet der Moderator im Fernsehformat oft in eine boulevardeske Sprache ab, die im Hintergrund durch Schlagzeilen wie „Höxter-Bestie grinst vor Gericht“ dramatisiert wird. So klug die Einordnungen seiner Experten zu Biografie, Psyche, Umfeld der Täter auch sind, so überflüssig ist die optische Untermalung.
Illustration ist überflüssig
So ist es auch bei der Arbeit von Sebastian Lörscher. Er ist ein Illustrator, der das Gesagte nochmals auf einer Glaswand illustriert und dazu betroffen dreinblickt. Das hilft dem Format sogar noch etwas weniger als Fleiters dramatisierende Empathie von „wirklich schwer zu ertragen“ bis „Wahnsinnsfall“, der uns mit Revolverpressevokabular „tief hinab in menschliche Abgründe“ führt. Aber gut: Um sich einerseits vom Audiomedium Podcast zu unterscheiden und andererseits vom Videomedium True Crime, wollen 45 Minuten Krimitalk gefüttert werden. Womit wir beim eigentlichen Problem wären.
Während Dokus zum Hören auch deshalb so beliebt sind, weil sie Raum zur Imagination lassen, und solche zum Sehen, weil sie vor Archivbildern überlaufen, bleibt dieses Hörspiel zum Zusehen, „Verbrechen von nebenan“ weder Fisch noch Fleisch. Das zeigt sich auch, wenn es in den Anschlussfolgen um ein fatales Familiendrama oder den aberwitzigen Raub einer riesigen Goldmünze aus Berlin geht. Anders als die Fälle sind ihre Podcast-Bilder ziemlich laue Lüftchen.