„Physical“ – Rose Byrne befreit sich in der Apple TV+-Serie via Aerobic

Spielt die Hauptrolle in „Physical“: Die australische Schauspielerin Rose Byrne.

Spielt die Hauptrolle in „Physical“: Die australische Schauspielerin Rose Byrne.

„Let’s get physical“ – den Song kennen viele. Im Herbst 1981, es war die Zeit, als Frisuren sich aufplusterten, als bestünden sie aus drei Schöpfen zugleich, sang die zuvor brave Countrychanteuse Olivia Newton John plötzlich erotisch angehauchte Zeilen wie „Lights out … follow the noise“ und machte das anrüchige Stück Tanzpop zum erfolgreichsten Song des Jahres 1981 weltweit (und – laut Alleswisser Wikipedia – sogar zur erfolgreichsten US-Nummer eins der gesamten Achtzigerjahre).

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Die brave Sandy aus „Grease“ wurde damit sexy, aber selbstbewusst, nicht mehr als Kerlbeute unterwegs wie im Jahr zuvor in dem Filmmusical. Wer 1981 zu jung oder noch nicht auf der Welt war war, kennt vielleicht die Coverversion von Dua Lipa aus dem Vorjahr (oder die enervierende Parodie „Let’s get digital“ aus der Bankenwerbung). Annie Weisman jedenfalls hat ihre neue Serie nach dem Popklassiker benannt. Denn es geht in „Physical“ körperlich zu, aber nicht etwa „zur Sache“. Sondern zur weiblichen Selbstermächtigung. Erzählt wird, wie Sheila Rubin aus Kalifornien eine Geschäftsidee hat, die sie selbst befreit – und anderen Frauen einen Raum verschafft, der nur ihnen gehört.

Heldin Sheila ist gestraft mit einem egozentrischen Gatten

Als wir Sheila kennenlernen, ist sie eigentlich eine Frau wie aus einem ganz anderen Song. Aus Dr. Hooks und Marianne Faithfulls trauriger „Ballad of Lucy Jordan“. Sie ist Mutter einer Tochter, Ehe- und Hausfrau, Anfang 30, schön, erschöpft gescheitert, gekettet an Ehemann Danny, der von einer „grünen“ politischen Laufbahn im kalifornischen Unterhaus träumt, der aber versagt, sobald es etwas zu versagen gibt.

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Selbst sieht er sich als Kern der Familie – mit Koteletten, die groß wie Koteletts aus seinen Wangen wuchern, wirkt er, als hätte er das Ende der Hippie-Ära verpasst. Und alle Probleme vermag er sich auch zwölf Jahre nach Woodstock noch mit Joint und Trank bei einer Strandparty vom Leib zu schaffen.

Sheila, in der es gärt, springt nun nicht etwa vom Dach wie die Lucy Jordan besagten Lieds, sie fährt vielmehr täglich ins Drive-in, ordert dort Burger und Fritten satt, setzt sich zu Hause bei zugezogenen Vorhängen nackt aufs Bett und verschlingt das ganze Junkfood. Als Nächstes hört man die erwarteten Kotzgeräusche. „Es ist das letzte Mal“, schwört sie danach – ein ums andere Mal.

So hat sie das Ersparte „verbraten“, Geld, das der „Save our Wave“-Prophet Danny eigentlich in seine Wahl stecken möchte. Sheila soll beim State-Assembly-Rennen die aparte Frau an der Seite des großen Mannes spielen, die charmante Lächlerin, die Stimmen und Spenden eintreibt, dienstbar, sichtbar – Politikers Lebend-Accessoire.

Sheilas Fluchtort: Aerobic - ein Raum zum Aufstampfen und Freitanzen

Nicht Sheilas Ding, so lässt sich schon in der ersten Episode vermuten. Ihr „Fluchtort“ wird Aerobic, damit ist sie 1981 nicht die Erste. In der Playa del Vista Mall von San Diego bietet die Libanesin Bunny bereits Kurse für körperbewusste Twens an. Sheila erkämpft sich mit einiger Mühe Bunnys Vertrauen, zieht in der ersten Workout-Welle einen eigenen Kurs für 30+-Ladys auf.

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Und in der Zeit, als – wie die Buggles sungen – Video den Radiostar ermordete, kommt ihr dann die Geschäftsidee, Aerobic-Videos für all die Geschlechtsgenossinnen aufzunehmen, die nicht live in den Gymnastikgruppen mitschwitzen können. Denn Aerobic ist ein Raum zum Aufstampfen und Freitanzen, in dem man sich schwitzend größer fühlen kann als im kleinen Alltag. Nun muss Sheila nur noch die Kamera aus dem Haus der reichen Greta stehlen, deren Freundin zu sein sie vorgibt. Nein, ganz schnürlgerade läuft diese Geschichte nicht ab, auch wenn man einige Male das Gefühl hat, sie trete ein wenig auf der Stelle.

Autorin Weisman verarbeitet eigene Erfahrungen

Autorin Annie Weisman verarbeitet in den zehn Episoden der ersten Staffel, die ab 18. Juni bei Apple TV+ zu sehen sind, eigene Erfahrungen mit Bulimie. Und so schafft sie mit der Figur der Sheila ein amüsantes, zugleich aber tragisches Porträt einer desillusionierten Frau in einer bornierten Zeit, einer Frau, die Geist und Charisma hat, auch das, was man „the looks“ nennt, die nach einem Ausweg für sich sucht.

Selbst die Hippies von einst offenbaren ein sexistisches Frauenbild, hatten vielleicht auch nie wirklich einen Drall zu „women’s lib“. Dannys Kampagnenchef Jerry, ein völlig unfähiger Bay-Area-Aktivist aus Dannys Studententagen, hält jedes weibliche „Aber“ für unbotmäßige Bevormundung. Und Danny will von Sheila gefälligst Kaffee und macht ihr die zweifelhaften Komplimente des erfahrenen Solipsisten: „Du bist die Baseline unter der Melodie, nicht zu erkennen, aber wichtig. Ohne dich gibt es keinen Song.“ Ganz klar: Die Melodie ist nach seinem Dafürhalten er selbst.

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Die australische Schauspielerin Rose Byrne („Mrs. America“, derzeit im Gespräch als Darstellerin der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern im geplanten, umstrittenen Christchurch-Drama) führt in der von Weisman (und Regisseurinnen und Regissuren wie Craig Gillespie und Liza Johnson) heraufbeschworenen Welt der knallbunten Leotards ein recht vergnügliches Ensemble an, aus dem Dierdre Friel als füllige, geschwätzige Kindergärtnerin Greta und Rory Scovel als Meere retten wollender Öko-Gernegroß Danny herausragen.

Der Clou der Serie: Sheilas brutale innere Monologe

Groß ist die Kluft zwischen Sheilas anerzogener und gesellschaftlich geforderter weiblichen US-Artigkeit und ihren brutalen inneren Monologen, mit denen sie dem Zuschauer die Wahrheit hinter der Hausfrauenfassade ähnlich krass ausstellt, wie Kevin Spacey dies in der Politsatire „House of Cards“ als Politiker/Präsident Francis Underwood mit seinen publikumsexklusiven Ausführungen tat. Der Furor, der sich – nur für den Zuschauer hörbar – hinter Sheilas Lächelns Bahn bricht, ist dabei erheiternd und schmerzhaft zugleich, wohlfeile Worte und gehässige Gedanken klaffen auseinander wie die Schenkel der Schere vor dem Schnitt.

Aerobic freilich verändert die Frau, die jenseits von Selbsthass und Misanthropie eine ganze Weile kaum fassbar wird. Sheila will nicht mehr devot sein, und der tumbe Jerry ist der Erste, dem ein offenes Wort vergönnt ist. Mit der Zeit mag man Sheila mehr, weil ihre Abscheu gegenüber der Menschheit ein wenig abnimmt.

Wie parallel auch unsere Abneigung gegen die Songs der Achtzigerjahre schwindet. In „Physical“ gibt es von den Hits der Synthpop-Ära so viel zu hören wie sonst nur in der Netflix‘ Teenie-Fantasia „Stranger Things“. War deren Eighties-Trash-Soundtrack in der dritten Staffel in höchstem Maße nervig – erklingen hier nun lange nicht mehr gehörte Synthpop-Juwelen wie „Space-Age Love Song“ von A Flock of Seagulls, „Just Can’t Get Enough“ von Depeche Mode oder „Hungry Like The Wolf“ von Duran Duran.

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Olivia Newton-Johns „Physical“ ist zwar nicht der Titelsong, ja ist bis zur sechsten Episode kein einziges Mal zu hören. Trotzdem hat ihn uns die Serie per TItel als Ohrwurm aufgedrückt. „Who needs to go to sleep, when I got you next to me“, singen wir Olivias Zeilen, die man problemlos auf die zehn halbstündigen Episoden münzen kann. „Physical“ lässt sich prima eine Nacht lang wegbingen.

„Physical“, zehn Episoden, bei Apple TV+, von Annie Weisman, mit Rose Byrne, Rory Scovel, Dierdre Friel (ab 18. Juni)

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