Internat für Märchenpersonal

Hogwarts für Arme: Paul Feigs überbordender Teenie-Fantasyfilm „The School for Good and Evil“

Besties, die sich ewige Freundschaft schwören: Sophie (Sophia Anne Caruso, l.) und Aggie (Sofia Wylie) in einer Szene von „The School for Good and Evil“. Foto: Gilles Mingasson/Netflix © 2022

Besties, die sich ewige Freundschaft schwören: Sophie (Sophia Anne Caruso, l.) und Aggie (Sofia Wylie) in einer Szene von „The School for Good and Evil“. Foto: Gilles Mingasson/Netflix © 2022

Es waren einmal, im fernen Gavaldon, zwei Mädchen. Sophie (Sophia Anne Caruso) träumte davon, in gläsernen Schuhen zu einem Ball zu kommen, auf dem sie der Prinz zur Braut wählte und wachte stattdessen in der Dachkammer einer nicht allzu wohlhabenden Familie auf – als deren Aschenputtel. Die andere, Agatha (Sofia Wylie), war die Tochter einer Hexenmutter, deren Liebestränke – etwa für Amouren zugeneigten Witwen – nie funktionierten. Aggie lebte abseits der Gemeinschaft auf einem pittoresken Friedhofshügel. Die Träumerin und der Underdog sind das Gespött der „normalen“ Kinder. Sie fühlen sich zueinander hingezogen. „Ich hasse dieses Dorf“, flucht Sophie. Eine „We gotta get out of this place“-Story.

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Als sicher gilt: Das Böse stet noch einmal auf

In Deauville‘s Storybook Shop erfahren sie von der „Schule für Gut und Böse“, die einst von zwei antipodischen Brüdern gegründet wurde, wie wir im Präludium von Paul Feigs Film „The School for Good and Evil“ erfahren. Ein Duell der beiden im Scherz wird ernst, denn der rotgewandete böse Bruder hat -–Spoilerstart! – mit verbotener Blutmagie gespielt. „Das Böse kooperiert nicht, es teilt auch nicht“, schreit er, gefolgt von einem „har, har, har“, das selbst dem Har-har-Meister, dem Entenhausener Oberschurken Kater Karlo, Schauer über den Rücken jagen würde.

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Dann aber stürzt der Böse ab und bleibt zerschmettert auf einem Felsplateau liegen. Wir wissen sofort, was wirklich passiert ist: Wie zersplittert alle Knochen auch sein mögen – das Böse steht noch einmal auf.

Hat der Skelettvogel die Mädchen falsch abgeworfen?

Niemand weiß, wo diese Schule liegt, in der – so Deauville-Geschäftsinhaberin Leonora – „jedes gute Märchen seinen Anfang nimmt“. Aber nachdem Sophie ihr eskapistisches Verlangen dem örtlichen Wunschbaum anvertraut hat (Gavaldon ist selbst ein – mittelalterlich anmutendes – Märchenland), wird sie von einem ziemlich zerfledderten Riesenadler, der an die Thestrale, die Skelettrösser aus der Harry-Potter-Welt erinnert, entführt.

Und Aggie, die sie zurückhalten will, schnappt sich der Totenvogel gleich mit der anderen Kralle. Aggie wird im Schulflügel „Gut“ abgeworfen, Sophie in „Böse“. Falsch zugestellt?

Das Design der Schule samt See erinnert ebenfalls an das Harry-Potter-Universum. Hogwarts lässt grüßen. Während das Innere des „guten“ Flügels wie eine Disney-Vision von Schönbrunn der Sisi-Zeit wirkt (und dabei schrecklich plastikhaft aussieht), ist das Gebäude von „Böse“ ungleich lebendiger und ziemlich „gothic“. Die Schülerinnen von „Gut“ sind hochnäsige mobbende Bitches, wie man sie aus 1001 Highschooldramen kennt – nur eben in Prinzessinnenroben.

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Während die Mitschülerinnen und Mitschüler von Sophie zwar alles tun, um ihrem Prollgehabe den Nimbus des Bösen zu geben, genauer betrachtet aber das Herz – zunächst – auf dem rechten Fleck zu haben scheinen. Kerry Washington spielt die schnöselige Schulleiterin von „Gut“, Charlize Theron die schlechtgelaunte Chefin von Böse, Laurence Fishburne den geheimnisumflorten Dumbledore dieser Anstalt. Und Cate Blanchett ist im englischsprachigen Original die Off-Erzählerin, die dieser Mär nach dem Buch von Soman Chainani einen raunenden Kommentar nach dem Vorbild von Elbi Galadriels „Herr der Ringe“-Vorrede angedeihen lässt (allerdings des Öfteren als Erklärbärchen für Dinge, die dem Zuschauenden ohnehin klar sind).

Regisseur Feig liefert Binsenweisheiten über Gut und Böse

Paul Feig, Regisseur von Filmen wie „Brautalarm“ (2011) und „Taffe Mädels“ (2013), ist zwar nicht zum ersten Mal im Reich des Fantastischen unterwegs. Aber schon mit den weiblichen „Ghostbusters“ hatte er 2016 bewiesen, dass die Feig-übliche Überdosis „laut trifft schrill“ auch eine Horror-Sci-Fi-Komödie ruinieren kann. Nach „Oje, du Fröhliche“ (2006) und „Last Christmas“ (2019) ist „The School for Good and Evil“ sein dritter Jahresendzeitfilm. Auch die Geschichte darüber, dass sich Gut und Böse weder an Äußerlichkeiten noch an Gesellschaftsstand festmachen lassen, geht im Getöse einfallsarmer Actionszenen, comichaft überdrehter Mimik und aufgeblasener Dialoge unter.

Dass die Arbeit beider Häuser einem moralischen Kompass der Menschen dienen soll, wirkt unausgegoren, lässt den „Evil“-Flügel des Hauses als Zuarbeiter von „Good“ erscheinen. Für die sich im jeweils falschen Haus wähnenden Freundinnen erwähnt der Schulleiter als Lösung, den Kuss der wahren Liebe – nur der könne die wahre Schulhauszuordnung von Sophie und Agatha offenbaren. Das Böse freilich, dass sich in den Mauern des Instituts versteckt, erstrebt mit diesem Kuss nichts weniger als eine Art Weltherrschaft. Das Alte soll in Trümmer sinken, ein neues, verderbliches Reich entstehen. Dieser Kuss, auf den in Märchen alles hinausläuft, darf also nie geküsst werden.

Zweieinhalb Stunden dauert die Reise dorthin, und nein, weder vermeintlicher Verrat unter Besties noch lebende Vogelscheuchen, weder Pfingstrosen mit Vampirgebissen noch Aggro-Feen in weißen Fließgewändern können einen an diese endlos mäandernde Geschichte binden – von einem flammenden Schwert Excalibur in den Händen von König Artus‘ Sohn ganz zu schweigen. Vielleicht hätte man mal Joanne K. Rowling bitten sollen, die ganzen Ungereimtheiten dieser Potter-für-Arme-Story aus dem Drehbuch zu klopfen.

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Die Story kann dürftig sein, wenn nur die Spezialeffekte spektakulär und auf der Höhe der Zeit sind – diese ungeschriebene Regel des fantastischen Kinos zog schon die Generation der Großväter in der Vorweihnachtszeit von 1958 ins Stop-Motion-Wunder „Sindbads siebente Reise“. Die Computertrickeffekte in „The School for Good and Evil“ nun sind von unterschiedlicher Qualität. Die Knochenvögel sind cool, die Wachleute der Schule aber, Wölfe in Rüstungen, könnten glatt aus der Welt von „Shrek“ (2001) – einer weit unterhaltsameren Geschichte über die wahre Liebe – herübergewechselt sein. In Sachen CGI ist hier noch Luft nach oben.

Eine Fortsetzung wird angedeutet

Als die beiden Heldinnen sich nach einigem Hin und Her einig sind, welche Art von Happy End nun stattfinden soll (gähn!), deutet die Erzählerin an, dass die „School“-Saga gerade erst begonnen habe. Fortsetzung folgt. Sollte es bis zu ihrer Fertigstellung genauso lange dauern wie bei diesem Film, der zehn Jahre in der Projektpipeline verbrachte, würde man sie nicht wirklich vermissen. Oder um die klassische Märchenende-Formel zu variieren: Und wenn sie dann gestorben sein sollten, kämen wir damit klar.

„The School for Good and Evil“, Film, 148 Minuten, Regie: Paul Feig, mit Sophia Anne Caruso, Sofia Wylie, Charlize Theron, Kerry Washington, Kit Young, Laurence Fishburne (streambar bei Netflix)

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