Medienethikerin zu Eriksen-Berichterstattung: „Bilder dienten der Sensationalisierung“

Medienethikerin Petra Grimm analysiert die Berichterstattung über den Zusammenbruch des Fußballers Christian Eriksen.

Medienethikerin Petra Grimm analysiert die Berichterstattung über den Zusammenbruch des Fußballers Christian Eriksen.

Die Berichterstattung über den Zusammenbruch des dänischen Fußballers Christian Eriksen während eines EM-Spiels hat auch Fragen darüber aufgeworfen, was gezeigt werden sollte und unter die Dokumentationspflicht fällt, und bei was für Szenen lieber weggeblendet werden sollte, weil es eher unter Voyeurismus fällt. So hatte beispielsweise der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) das Zeigen der Reanimation, wenn auch aus der Distanz, stark kritisiert. Das ZDF sowie der TV-Regisseur der internationalen Fernsehbilder hingegen verteidigten das Vorgehen. Ein einordnendes Gespräch mit Medienforscherin Prof. Dr. Petra Grimm von der Hochschule der Medien in Stuttgart:

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Die Berichterstattung über den Zusammenbruch des Fußballers Christian Eriksen hat die Frage aufgeworfen, was Berichterstattung in Katastrophenfällen darf und was nicht. Es gab Kritik an den Fernsehbildern, andere wiederum haben das Gezeigte verteidigt. Die eine Seite argumentiert mit der Dokumentationspflicht, die andere kritisiert Voyeurismus. Wie lässt sich da eine Grenze ziehen?

Die Frage bei der Ausstrahlung solch grenzwertiger Bilder ist immer, inwieweit sie noch einen Informationsgehalt und -wert haben. Was wird an zusätzlicher Information vermittelt, indem man ewig lang auf diesen Vorfall draufhält? Einen zusätzlichen Informationswert gab es nicht, weil das Ereignis, der Zusammenbruch, ja schon stattgefunden hatte. Die Frage, die sich hier eher stellt, ist: Was macht das mit den Zuschauerinnen und Zuschauern, wenn sie die unter Schock stehenden Fußballer sehen? Das Ganze erhält den Charakter des Spektakulären. Und was macht es auch mit dem Opfer, wenn es danach immer wieder mit diesen Bildern konfrontiert werden kann? Die Grenze besteht also in Bezug auf das, was an Darstellbarkeit geboten ist. Das heißt, es sollte eine Überforderung des Zuschauers vermieden werden, aber auch die Menschenwürde des Opfers gewahrt werden. Das Opfer ist ja nicht in der normalen Rolle des Fußballers, der eine öffentliche Person darstellt, sondern er ist in der Rolle eines mit dem Tode Ringenden. Wir kennen diese Debatten seit dem Reality-TV: Inwieweit müssen Medien Verantwortung tragen hinsichtlich dessen, was sie an Bildern zeigen? Wir sollten auch im Bereich der Nachrichten nicht dem Zuschauer sehr grausame oder emotionalisierende Bilder zeigen und ihn damit vor den Kopf stoßen und emotional überfordern.

Also würden Sie sich der Kritik an der Eriksen-Berichterstattung anschließen?

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Ja, denn was bringen diese Bilder an Information und zusätzlicher Aufklärung? Ich glaube, es ist relativ klar gewesen, was da gerade passiert. Die Bilder dienten nicht mehr der Information, sondern der Emotionalisierung und Sensationalisierung.

Es wurden auch weinende, verzweifelte Mitspieler gezeigt. Der TV-Regisseur hat das gerechtfertigt mit der Aussage: „Uns wurde gesagt, dass wir keine Nahaufnahme von ihm und auch keine Herzmassage zeigen sollten. Aber dass es kein Problem sei, Emotionen zu zeigen.“ Was sagen Sie dazu? Solche Bilder spielen sicherlich auch in dieses Spektakuläre, emotional Aufgeladene hinein, oder?

Genau. Auch die Mitspieler sind in einer Situation, auf die sie nicht vorbereitet waren. Sie sind nicht mehr in der Rolle des Fußballers, sondern in der Rolle eines Menschen, der sich in einem schockartigen Zustand befindet, weil er mitbekommt, dass der Mitspieler gerade mit dem Tode ringt. Da geht es nicht mehr um Dokumentationspflicht, sondern hier wird deren Schock, Angst und Verzweiflung lange im Fernsehen gezeigt. Da kann man auch wegblenden.

Es wäre also Ihrer Meinung nach besser gewesen, wenn die Bilder nicht gezeigt und stattdessen zum Beispiel einfach ein Reporter aus dem Studio berichtet hätte, was genau passiert ist?

Ja, genau. In manchen Fällen sind Texte angebrachter als Bilder. Es war in diesem Fall nicht nötig, die Bilder zu zeigen. Das kann man kurz machen, aber dann sollte man ausblenden. Wir wissen dann, um was es geht.

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Nun gab es am Dienstag im Deutschlandspiel noch eine misslungene Greenpeace-Protestaktion, bei der relativ schnell weggeschaltet wurde. Viele werfen den Fernsehmachern eine gewisse Doppelmoral vor, weil sie wenige Tage zuvor bei Eriksen noch „draufgehalten“ hätten. Kann man das vergleichen?

Das ist eine andere Situation. Ich glaube, bei der Greenpeace-Aktion könnte auch die Sorge bestanden haben, dass es zu Nachahmungen kommen könnte. Deshalb war die Entscheidung umso richtiger, hier wegzuschalten.

Also im Sinne der Dokumentationspflicht reicht es auch hier, kurz darüber zu berichten, aber keine detaillierten Bilder zu zeigen?

Man kann es natürlich kurz zeigen in dem Moment, wo der Flieger auf dem Spielfeld ist. Aber dann reicht es auch, wenn man darüber redet und es nicht noch mal visuell hervorhebt. Wir leben aktuell in einer absolut bilderdominanten Welt und werden von Bildern so in den Bann gezogen, dass wir uns letztendlich immer an ihnen orientieren. Die Bilder machen emotional etwas mit uns und beeinflussen auch unsere Einschätzung und Relevanz einer Sache. Wenn man den gleichen Sachverhalt durch Kommentare oder Sprache vermittelt, nimmt man oft das Sensationelle, Spektakuläre und Skandalisierende heraus. Wir brauchen im Informationsbereich keine Affekte, sondern mehr Rationalität.

Bei der Greenpeace-Aktion hat der Sender Ihrer Meinung nach also richtig gehandelt und beim Eriksen-Zusammenbruch hätte er genauso schnell wegschalten sollen?

Das finde ich schon. Da hätte er früher wegblenden sollen.

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Haben Sie Beispiele aus den letzten Jahren, wo Berichterstattung in Katastrophenfällen ebenfalls Thema in der Öffentlichkeit waren?

Wir haben oftmals eher eine Debatte über die „Livebilder“ von Zeugen in den sozialen Medien. Spontan fällt mir da auch der Vergleich mit den Unfallvideos auf Autobahnen ein, wo dann einige Voyeure ihre Handys zücken. Ich glaube, dass wir allerdings mittlerweile sensibler als früher geworden sind, weil wir die Problematik aus den sozialen Medien kennen, wo haufenweise solcher Unfallvideos zu sehen sind, die ja mittlerweile auch einen Straftatbestand erfüllen. Wir sind aber mittlerweile auch im Großen und Ganzen sensibler geworden bezüglich dessen, was als Tabu gilt oder nicht. Livebilder von Unfallsituationen werden weitgehend nicht mehr toleriert. Das ist eine positive Entwicklung.

Das Thema, was man bei Katastrophenfällen zeigt und was nicht, ist kein ganz Neues. Auch die Frage, ob man Tote zeigen darf oder nicht, wurde und wird immer wieder diskutiert. Sind wir in der Hinsicht auch sensibler geworden?

Ich denke, dass die Frage, was gezeigt werden darf oder nicht, sich immer an der Frage orientieren muss, ob es ein berechtigtes öffentliches Interesse an den Bildern gibt und inwieweit die Würde des Opfers gewahrt werden muss. Mittlerweile sind wir hier, so meine Einschätzung, durchaus reflektierter als früher. In Bezug auf die klassischen Massenmedien ist diese Sensibilität vor allem durch die Diskussion über das Reality-TV stark geprägt worden. Da muss man unterscheiden zwischen dem Dargestellten selbst, also ob es Tote oder Verletzte gibt, und deren Darstellung. So kann auch durch die Darstellung die Würde des Menschen verletzt werden. Das führt dann im schlimmsten Fall dazu, dass das Opfer auf zweifacher Ebene verletzt wird: einmal in Form der tatsächlichen Verletzung und dann dadurch, dass dies auch noch mit drastischen Bildern gezeigt wird.

Wie sie berichten, müssen die Zuständigen in solchen Katastrophenfällen innerhalb von Sekunden entscheiden. Wie können Journalistinnen und Journalisten richtig darauf vorbereitet werden?

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Solche berufsethischen Fragestellungen sollten schon in der Ausbildung behandelt werden. Journalistinnen und Journalisten sollten darauf vorbereitet werden, wie man in solchen Situationen reagiert. Aber die Ausbildung der Medien- und Digitalkompetenz vom Publikum ist genauso wichtig. Natürlich könnte ich als Zuschauerin auch sagen: „Da schaue ich jetzt nicht mehr hin.“ Aber diese reflektierte Entscheidung kann ich nur treffen, wenn ich mir dieser Situation bewusst bin, in der ich gerade bin. Wenn ich mir über die Wirkung von Bildern noch nie Gedanken gemacht habe, kann ich im Sog der Bilder auch untergehen. Dabei könnte ich als kompetente Zuschauerin auch sagen: Warum zeigt mir der Sender diese Bilder? Die Kritikfähigkeit des Publikums ist wichtig.

… die Kritik kam ja von manchen auch nach der Eriksen-Berichterstattung.

Ja, das stimmt. Wir sind allerdings im Bereich der klassischen Medien sehr viel sensibler sind als im Bereich der sozialen Medien, wo wir uns schon daran gewöhnt haben, dass solche Bilder kursieren. Es wäre auch nötig, dass wir gerade im Bereich der Sozialen Medien viel stärker darauf achten, solche Bilder und Videos nicht weiterzugeben und zu teilen. Da haben wir als Nutzende eine hohe Verantwortung. Aber auch die Internetplattformen, die durch die Algorithmen solchen Bildern noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen.

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