Thelen und Lesch streiten bei Lanz: „Wir müssten eigentlich die Currywurst abschaffen“
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Frank Thelen (rechts) setzte seine Hoffnung in Flugtaxis. Harald Lesch wollte diesen Vorschlag nicht ganz ernst nehmen.
© Quelle: ZDF
Hamburg. Seit einer knappen Woche tagen bei der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow Politikerinnen und Politiker aus rund 200 Nationen, um einen Weg für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zu finden. Doch erneut sieht es so aus, als könne die geforderte Begrenzung der menschengemachten Klimaerwärmung auf 1,5 Grad nicht eingehalten werden.
Wie geht es nun weiter? Darüber diskutierte Markus Lanz in seiner gleichnamigen ZDF-Talkshow am Donnerstag. Zu Gast waren die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, der Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher, der aus der „Höhle der Löwen“ bekannte Unternehmer Frank Thelen und der Wissenschaftsjournalist und Astrophysiker Harald Lesch. Vor allem Lesch und Thelen gerieten im Verlauf der Sendung immer wieder aneinander.
Zunächst sollte es über die Ergebnisse der Sondierung zwischen SPD, FDP und Grünen gehen: Diese seien halbherzig, kritisierte Lesch: Er habe erwartet, dass sofort nach der Vereidigung ein Tempolimit eingeführt werde: „Das wäre ein wichtiges Zeichen dafür, dass man verstanden hat, worum es geht.“ Nun aber scheint es nicht soweit zu kommen. „Insgesamt, muss ich sagen, habe ich den Eindruck, dass diese Koalitionäre den Schlag nicht gehört haben“, monierte Lesch. „Es gibt zwar immer wieder Anläufe davon, darüber zu sprechen, wie kritisch die Situation ist, aber die kommende Regierung insgesamt ist für mich eher eine Enttäuschung.“
Lesch: „Wenn wir nicht reagieren, dann wird die Zukunft keine schöne“
Als Naturwissenschaftler könne er nur immer wiederholen: „Da draußen gibt‘s eine Natur. Wir haben sie aufgeheizt. Die aufgeheizte Natur verändert sich. Sie verändert sich nicht so, wie wir es gerne hätten. Es macht nicht nur wirtschaftliche Probleme. Es macht auch massive gesundheitliche Probleme, die auf uns zukommen, schon da sind. Und wenn wir darauf nicht entsprechend reagieren, dann wird die Zukunft keine schöne.“ Frank Thelen sieht die Lage nicht ganz so pessimistisch: Natürlich hoffe auch er, dass die sogenannte Ampelkoalition letztlich mehr zustande bringe, als die vorläufigen Sondierungspapiere erwarten lassen. Allerdings sei es auch eine Leistung, dass die doch sehr konträren Parteien FDP und Bündnis90/Die Grünen überhaupt zusammenfänden.
Deutlich weiter auseinander gingen die Meinungen der beiden, als es um die konkrete Umsetzung von Klimazielen ging: „Ohne eine kluge Symbiose zwischen Staat und Markt wird es nicht gelingen“, prognostizierte der Ökonom Marcel Fratzscher in der ersten Hälfte der Sendung. Das Problem seien nicht die modernen Technologien, sondern viel eher die politischen Rahmenbedingungen: „Der deutsche Staat gibt jedes Jahr 70 Milliarden Euro an Subventionen für fossile Energien aus“, nannte er als Beispiel, was bei Lesch zu einem verbitterten Lachen führte. Fratzscher fuhr fort: „Das sind die Kosten, die wir jedes Jahr bräuchten, um in erneuerbare Energien, in Technologien zu investieren, in energetische Gebäudesanierung und so weiter.“
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Fratzscher: „Der größte Teil der Subventionen kommt nicht den Armen zugute“
Aber es verbänden sich auch soziale Dilemmata an diesen Subventionen, hakte Lanz ein, die Pendlerpauschale zum Beispiel. Fratzscher ließ diesen Einwand nicht gelten: „Der größte Teil der Subventionen kommt nicht den Armen zugute. Er kommt den Vermögenden zugute.“ Es sei widersinnig, die Benzinsteuer zu senken, wie es von Teilen der Union dieser Tage gefordert wurde. Dem stimmte Lanz zu: Union und SPD hätten den höheren CO₂-Preis in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen. Und nun, da ein Teil von ihnen in der Opposition sitzt, seien sie plötzlich dagegen. „Diese Dialektik versteh ich nicht mehr“, sagte Lanz.
„Es ist auch nicht mehr zu verstehen“, schaltete sich Lesch sichtlich genervt ein: „Wenn wir jemanden sehen würden, der an der Tür steht und am Griff zieht, um die Tür aufzumachen, und gleichzeitig die Tür zuhält, dann würde man sagen: ‚Das ist doch jetzt ein Fall, da müssen wir mal jemanden holen, der den armen Mann davon befreit.“ Diese Analogie zur widersprüchlichen deutschen Klimapolitik sorgte für allgemeines Gelächter in der Runde.
Dabei wäre die CO₂-Steuer eigentlich eine gute Sache, erläuterte Lesch: Endlich könnte man Geld von der Ober- auf die Unterschicht umverteilen. Weniger optimistisch äußerte er sich zu den Potenzialen des technologischen Fortschritts. Egal, welche neuen Technologien es gebe, sagte Lesch: „Den Sonnenschein kann man in Deutschland nicht vergrößern.“ Die entscheidende Frage sei: „Wer bringt uns in Zukunft die Energie? Und ich bin fest davon überzeugt, dass eine Energiewende in Deutschland nur gelingen kann, wenn sie in Bürgerhänden ist. Dass die Leute, wenn sie solche Windräder in ihrer Nähe haben, selber davon profitieren.“
Thelen: „Irgendeinen Tod müssen wir sterben“
Gegen Ende der Sendung kam man schließlich auf den stetig steigenden Energiebedarf der Gesellschaft zu sprechen. Nicht nur Lesch erkennt hier ein gravierendes Problem: Gerade einmal 15 Prozent der gesamten Energiemenge in Deutschland sei derzeit erneuerbar. Wie also könne man auf 100 Prozent kommen?
Mit Windkraft allein könne man diesen Bedarf nicht decken, meinte Thelen. Stattdessen führte der Unternehmer die sogenannte „neue Atomkraft“ als Übergangslösung auf: Diese „Atomkraft der vierten Generation“ sei zum einen „wirklich sehr sicher“ und zum anderen gebe es ein Projekt, das auf Atommüll laufe: „Und ich bin auch sogar positiv, dass wir eine gute Lösung für Atommüll finden werden, weil wir den intelligenter, besser abbauen werden können in der Zukunft“, sagte Thelen.
Überhaupt käme das größte Energieproblem aus der Fleisch- und Fischindustrie: „Wir müssten eigentlich die Currywurst abschaffen“, überlegte Thelen. „Das finden viele unschön, ich selber auch. Aber irgendeinen Tod müssen wir sterben.“ Diese aus einem Munde durchaus überraschende Bemerkung blieb von der Runde unkommentiert. Auf den Vorschlag, zurück zur Atomkraft zu gehen, erntete Thelen allerdings heftigen Gegenwind: Atomkraft sei schlicht zu teuer, argumentierte der Ökonom Fratzscher. Lesch zweifelte an der Umsetzbarkeit, auch in der Kürze der Zeit: „Es gibt keine Kernspaltung 4.0. Alle diese Reaktoren, von denen er spricht, sind Konzeptreaktoren“, sagte er. Außerdem sei der derzeitige Anteil von Atomkraft in der weltweiten Energiegewinnung gering: „Wenn wir das jetzt nennenswert auf Kernenergie umdrehen wollten, dann müssten wir in Deutschland über 100 Kernkraftwerke bauen.“
Lesch: „Auch Elon Musk kann die Naturgesetze nicht ändern“
Es werde bereits seit 50 Jahren versucht, die Kraft der Sonne auf der Erde zu imitieren, fuhr Lesch fort. Aber bis heute gebe es große physikalische Probleme. „Man darf nicht denken, nur weil man sich was denken kann, dass es auch passiert. Einen fliegenden Elefanten können wir uns alle denken. Aber fliegende Elefanten werden abstürzen, und zwar immer.“ Es sei eine Frage der Investitionen, hielt Thelen dagegen. „Großartige Investoren können die Naturgesetze auch nicht ändern“, erwiderte Lesch. Selbst Elon Musk könne das nicht.
Beim Flugtaxi hätten anfangs auch alle gelacht, entgegnete Thelen trotzig. Am Ende habe das Innovationsteam aber Recht behalten. „Wann wird das kommen?“, fragte Lanz. Sehr bald, antwortete Thelen. Doch Lesch reagierte gereizt: „Sind Flugtaxis wirklich das, was wir brauchen?“ – „Ja, es ist ein Baustein“, antwortete Thelen. Das meiste CO₂ werde durch Straßen und Gebäude emittiert. Elektro-Flugtaxis des Unternehmens Lilium könnten den Straßenbau auf lange Sicht minimieren. „Und Lilium wird aus Baströhrchen gebaut?“, entgegnete Lesch sarkastisch. Wenn es danach ginge, argumentierte Thelen, dürfe man auch keine Autos oder Züge mehr bauen.
RND/Teleschau