Man kann kein halber Gangster sein – Nichts toppt Scorseses Mafiaserie „Boardwalk Empire“

Zwei Preise gab es 2012 bei den 18th Annual Screen Actors Guild Awards für ihn: Steve Buscemi wurde für seine Rolle des Nucky Thompson in „Boardwalk Empire“ als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet und als Mitglied des besten Serienensembles/Drama.

Zwei Preise gab es 2012 bei den 18th Annual Screen Actors Guild Awards für ihn: Steve Buscemi wurde für seine Rolle des Nucky Thompson in „Boardwalk Empire“ als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet und als Mitglied des besten Serienensembles/Drama.

Die Musik tippt und frippt, die Trompeten quäken, der Beat ist wiggelig. Leute zappeln dazu hurtig und quietschfidel über die Tanzfläche. Kesse Sohle, schrilles Gelächter, denn man lebt, hurra! Und man hat das Gefühl, jeden Tag mit dem Leben einer ganzen Woche füllen zu müssen. Der Erste Weltkrieg ist vergessen, Amerika ist jung und groß und wunderschön und Atlantic City ist sein wildester, verruchtester Ort – mit Sex, Foxtrott, Casinos und wilden Trinkgelagen. Auf der Feiermeile an Amerikas Ostküste stürzen sich Tausende in den Jahreswechsel 1920.

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Stadtkämmerer Thompson zieht die Whiskystrippen

Alles wäre wunderbar, wären da nicht diese ländlichen Protestanten, die Leute von der Anti-Saloon-Liga, die keinen Sinn haben für die Bedürfnisse der Städter. Ab 16. Januar 1920 ist der Alkohol in den USA verboten – per 18. Zusatz zur amerikanischen Verfassung.

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Enoch „Nucky” Thompson, der Stadtkämmerer von Atlantic City, hält öffentlich Reden gegen den braunen Teufel in der Flasche. Aber er zieht schon vorab hinter den Kulissen die Fäden illegaler Schnapsherstellung und -verteilung, wird der König der „Speakeasys” werden, der Flüsterkneipen, in denen es leise zugehen muss, damit die Cops draußen nichts davon mitkriegen.

Nuckys Atlantic City liegt nur einen Katzensprung von New York weg, Chicago ist in Reichweite. Das ganz große Geld wartet hier auf alle Verwegenen, seien es Iren oder Italiener, Juden oder Schwarze.

Die fünf Staffeln „Boardwalk Empire“ hielten die Qualität

Martin Scorsese, seit dem Film „Hexenkessel“ von 1973 ein Meister des Gangster- und Mafiafilms, hatte 2010 den 20 Millionen Dollar teuren Pilotfilm der Serie „Boardwalk Empire” inszeniert, ist mit Mark Wahlberg „Executive Producer” der Serie geblieben, und war damit ein weiterer großer Hollywoodname in den aufblühenden amerikanischen TV-Betrieben der Zehnerjahre.

Sieben Millionen Zuschauer zog „Boardwalk Empire” vom Start weg im Bezahlfernsehen der USA. Die Gemeinde blieb treu, weil die Serie mit jeder Staffel ihre Qualität hielt. Und weil es einfach fantastisch unterhaltsam war, sich die – so Scorsese – „dunkle Seite des amerikanischen Traums“ zu beschauen.

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„Boardwalk Empire” – alle Staffeln gibt zum Streamen im Portfolio von Sky sowie altmodisch auf DVD – ist atmosphärisch dicht, schwelgerisch ausgestattet und grandios gespielt bis in die Nebenrollen: Die Schicksale der bestechlichen Politiker und Cops, der Showgirls, Huren, Whiskybrenner und Whiskyschmuggler entwickeln einen gewaltigen Sog.

Da ist Richard Harrow (Jack Huston), ein Mann, dessen Gesicht im Weltkrieg zerschossen wurde, und der einen eigenen, freudlosen Weg geht, bis ihn in Staffel drei die Liebe trifft. Da ist James Darmody (Michael Pitt), Sohn einer jungen, sinnlichen Mutter, die ihm allzu sinnlich zugetan ist und ein Ziehsohn Nuckys, der sich seinem Förderer tödlich in den Weg zu stellen droht.

Und da ist Nelson van Alden (Michael Shannon), ein tief religiöser Agent im Prohibitionsbüro, der die Unmoralischen mit Leidenschaft jagt, privat wie beruflich tief fällt und sich bald schon als Vertreter für Bügeleisen durchschlagen muss.

Buscemis Figur hat ein historisches Vorbild

Und da sind all die formidablen Gangster und Gauner: die blasierten, die cholerischen, die sadistischen und: Nucky – der Gangster als tragischer Held. Die Figur beruht auf dem tatsächlichen Schatzmeister von Atlantic City, Nucky Johnson, der die Pierstadt von 1911 bis zu seiner Verhaftung 1941 kontrollierte.

Wie überhaupt viele Charaktere in der HBO-Serie reale Vorbilder haben und manche auch unter ihrem realen Namen erscheinen – Lucky Luciano etwa (Vincent Piazza), Arnold „The Brain” Rothstein (Michael Stuhlbarg), jüdischer New Yorker Mobster der Kosher Nostra, oder „Scarface” Al Capone (Stephen Graham), der aufstrebende Chauffeur des Paten von Chicago.

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Buscemis vampirisches Trauerlächeln ist unübertroffen

Niemand in Hollywood hat ein vampirisches Trauerflor-Lächeln wie Steve Buscemi, der als Stand-up-Comedian begann und im Kino ein Favorit von Quentin Tarantino war, der ihn in „Reservoir Dogs” und „Pulp Fiction” besetzte. Für die Coen-Brüder spielte er unter anderem in „Fargo”, „Hudsucker” und dem Kultstück „The Big Lebowski” mit. Nucky Thompson aber ist die Rolle, auf die Buscemi 30 Jahre warten musste.

Und er spielt die Maskerade eines Kriminellen, der offiziell ein hoch geachtetes Mitglied der Gesellschaft ist, perfekt. Immer wieder findet er den guten Menschen in sich wieder, den Nothelfer und Verteidiger der Familie. Seine Frau Margaret (Kelly Macdonald) hat er – freilich mit Blutzoll an der richtigen Stelle – samt ihrer Kinder von ihrem Ehemann, einem Schläger, weggeholt. Seinem Bruder Eli (Shea Whigham) gegenüber bleibt er loyal, selbst nach einem unverzeihlichen Verrat.

Er muss erst noch ein ganzer Gangster werden, denn „You can’t be half a gangster”, das bescheidet ihm Jimmy Darmody am jähen Ende seines noch jungen Lebens. Ja, auch in „Boardwalk Empire” sterben wichtige Charaktere so unverhofft wie in HBOs Fantasy-Serienepos „Game of Thrones”, das im Jahr darauf startete.

In der dritten Staffel beginnt ein Gangsterkrieg

Ab der dritten Staffel wächst sich der Zwist mit seinem Gegenspieler, dem unberechenbaren Gyp Rosetti (Bobby Cannavale), zu einem Gangsterkrieg aus, in dem neue Allianzen geschlossen werden, in dem Kinder sterben und Sheriffs brennen. Rosetti bringt das Städtchen Tabor Heights in seine Gewalt und sperrt damit die einzige eisfreie Alkoholroute zwischen Atlantic City und New York, über die Nuckys Whiskylaster auch im Winter ihre Transporte durchziehen können.

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Der Antiheld wird zurückgeworfen auf seine bloße Existenz. Alle Folgen enden mit einem Cliffhanger, der das Publikum in die jeweils nächste zieht. Binger, die bei den fünf Staffeln dieser Serie nicht auf die Uhr sehen, hängen im Morgengrauen immer noch in Atlantic City herum. Und haben einen müden Tag vor sich.

Der Schurke wird dem Zuschauer überaus sympathisch

Zeige den Schurken bei Tisch, zeige ihn mit seinen Kindern, zeige, wie er Böses tut, um noch Schlimmeres zu verhindern, zeige ihn verantwortungsbewusst und liebend, zeige, wie er weint – und er wird allen ans Herz wachsen. Es ist derselbe Effekt, der einen an Buscemis Thompson kettet – ganz ähnlich wie bei Marlon Brandos im 1972 gespielten „Paten” Don Vito Corleone. Der ganze Gangster ist komplett sympathisch. Ja man mag sogar einige der schlimmsten Galgenvögel in „Boardwalk Empire”. Selbst Al Capone hat seine Momente, wenn er etwa ein weinendes Kind in den Arm nimmt und tröstet.

Am Ende der dritten Staffel warf Nucky seine Nelke weg, die Friedhofsblume, die sein Emblem ist. „Es ist vorbei”, sagt er zu Bruder Eli. „Wir konnten nicht aufhören.” Freilich war er da noch zwei Staffeln vom Ende einer Serie entfernt, die Fans bis zum St. Nimmerleinstag hätten sehen wollen und von der auch ein zweiter und dritter Durchgang lohnt.

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Lang leben die Roaring Twentys (Wir sind schon in den nächsten, und sie sind auf andere Weise wieder turbulent). Lang lebe Amerikas Wilder Osten.

„Boardwalk Empire”, fünf Staffeln, von Terence Winter, produziert (u. a.) von Martin Scorsese, Mark Wahlberg, mit Steve Buscemi, Kelly Macdonald, Michael Shannon, Michael Pitt, Gretchen Mol, Bobby Cannavale (bei Sky, auf DVD und BluRay)

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