Lena Meyer-Landrut: “Noch mal beim ESC anzutreten war ein Fehler”
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Freut sich über ihre neue Kollektion: Die Sängerin Lena Meyer-Landrut.
© Quelle: Thomas Schulze/dpa
Berlin. Ein weißer Studiozweckbau in Berlin-Adlershof. Hier residierte einst das DDR-Fernsehen, heute entstehen hier reihenweise TV-Produktionen für Private und Öffentlich-Rechtliche, darunter “Hart aber fair” mit Frank Plasberg, “Anne Will”, “Late Night Berlin” mit Klaas Heufer-Umlauf und auch “The Voice” und “The Voice Kids” für Sat.1.
Zum sechsten Mal ist Lena Meyer-Landrut in diesem Jahr als Jurorin dabei. Fast lautlos betritt sie den Raum, lächelt, wirkt entspannt. Es ist ihr Jubiläumsjahr. Der Sieg beim Eurovision Song Contest, der die damals 18-jährige Schülerin aus Hannover erst zu den Sternen katapultierte, dann unsanft auf dem Boden der Medienrealitäten landen und wieder zum Popstar werden ließ, liegt genau eine Dekade zurück. Jetzt ist sie 28 Jahre alt. Zeit für ein Gespräch über damals und heute, über Hass im Netz, Überforderung und das Suchen und Finden der eigenen Identität.
Frau Meyer-Landrut, zehn Jahre liegt Ihr erster Fernsehauftritt zurück, der dann in den Sieg beim Eurovision Song Contest 2010 in Oslo mündete. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie sich an diese Zeit erinnern?
Ich kann es bis heute nicht richtig begreifen, was mir da passiert ist. Ich fühle mich überfordert, immer noch. Es ist natürlich cool und toll, ich freue mich darüber, und ich bin dankbar. Aber manchmal sehe ich diese Bilder und denke: Das kann nicht ich gewesen sein. Es fühlt sich an wie ein anderes Leben.
Gibt es etwas, was Sie der 18-jährigen Lena von damals raten würden, wenn Sie könnten?
Der 18-jährigen Lena nicht, aber der 20-jährigen. Dieser Lena würde ich raten: „Geh zum Therapeuten. Und fahre öfter mal nach Hause. Lass dich nicht so verbiegen und unter Druck setzen von der Öffentlichkeit und bei allem, was auf dich einprasselt. Bleib bei deinem Ja und bei deinem Nein. Ziehe dich mehr zurück und bleib bei dir.“ Im Nachhinein würde ich sagen: Ich hätte mich damals öfter selbst rausnehmen sollen, um nachdenken und klarkommen zu können. Mit 20 wusste ich noch nicht, dass man das darf.
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"Ein bisschen weniger von allem wäre bestimmt ganz schlau gewesen": Lena Meyer-Landrut am 29. Mai 2010 nach ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest in Oslo.
© Quelle: Jörg Carstensen/dpa
Sie haben mal gesagt, Sie hatten damals das Gefühl, alle um Sie herum würden “eine andere Sprache sprechen”. Das gilt heute nicht mehr?
Nein. Ich beherrsche diese Sprache inzwischen auch sehr gut, habe aber auch nicht mehr das Gefühl, mich dadurch unter Druck setzen zu müssen. Ich habe parallel immer meine eigene Sprache, in der ich mit meiner Familie, meinen Freunden und mir selbst spreche. Inzwischen beherrsche ich sozusagen verschiedene Dialekte und bin Herrin der Lage.
Seit wann haben Sie dieses Gefühl?
Seit zwei Jahren etwa. Seit ich die Kontrolle übernommen und mir klar gesagt habe: Jetzt entscheide ich.
Glauben Sie, dass Stefan Raab Sie als Neuling im Geschäft damals überfordert hat?
Ja, auf jeden Fall. Aber das soll keine Schuldzuweisung sein, denn ich bin fest davon überzeugt, dass jeder die Verantwortung für sich selber trägt. Und mit Sicherheit habe ich damals signalisiert, dass das alles okay ist.
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"Überfordert? Ja, auf jeden Fall. Aber das soll keine Schuldzuweisung sein": Lena Meyer-Landrut und Stefan Raab nach dem Finale von "Unser Song für Deutschland" im Februar 2011.
© Quelle: picture-alliance / Geisler-Fotop
Glauben Sie im Nachhinein, Sie hätten 2011 nicht noch einmal beim ESC antreten sollen?
Ja. Ich glaube nicht, dass das notwendig war. Es hätte einfach nicht sein müssen. Es war nicht schlimm, man kann sicher nicht sagen, dass alles sehr viel besser gewesen wäre, wenn ich darauf verzichtet hätte. Aber hätte es sein müssen? Nein.
Was hätten Sie sich möglicherweise erspart?
Ich hätte weniger Stress und mehr Ruhe gehabt. Ein bisschen weniger von allem wäre bestimmt ganz schlau gewesen. Aber es war, wie es war.
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"Es hätte einfach nicht sein müssen": Lena Meyer-Landrut am 14. Mai 2011 in Düsseldorf bei ihrer zweiten Teilnahme am Eurovision Song Contest. Sie erreichte Platz zehn. Heute sagt sie, es sei ein Fehler gewesen, noch einmal anzutreten.
© Quelle: picture alliance / dpa
Welche positiven Erinnerungen an die Tage des ESC in Oslo haben Sie denn in sich?
So viele! Damals hatte ich das Gefühl, ich muss all diese Eindrücke jetzt erst mal einpacken und neben mich legen, das bearbeite ich später. Mit ein bisschen mehr Ruhe konnte ich einzelne Päckchen dann später auspacken und angucken. Einige habe ich immer noch nicht angeguckt, vielleicht muss man das auch gar nicht. Aber ich habe so viele schöne Szenen im Kopf: den Ausflug auf dem Norwegerschiff mit der Wollmütze und Alexander Rybak oder als wir nach den Proben mit Stefan in diesem Abhörraum die Kameraeinstellungen überprüft haben. Oder meine Garderobe, die ich noch genau vor Augen habe. Manches vermischt sich auch mit dem zweiten ESC. Ich weiß gar nicht, ob ich beim ersten oder beim zweiten ESC währenddessen Geburtstag hatte.
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"Ich habe so viele schöne Szenen im Kopf": Lena Meyer-Landrut 2010 mit Norwegermütze bei einem Pressetermin auf einem Schiff in Oslo.
© Quelle: picture alliance / NTB scanpix
Beim ersten.
Ja. Da kam der Israeli Harel Skaat und hat mir gratuliert. Das fand ich total schön, weil ich ihn so toll fand.
Haben Sie noch Kontakt zu Stefan Raab?
Wenig. Wir sehen uns ab und zu in Köln bei irgendwelchen Produktionen. Aber nicht privat.
Könnten Sie sich vorstellen, noch ein drittes Mal beim ESC anzutreten? Oder ist das Thema abgehakt?
Ich will niemals nie sagen (lacht). Ich weiß nicht, ob es mich mit 50 noch mal packt. Für mich ist es jetzt gerade absolut unvorstellbar und nicht im Bereich des überhaupt Denkbaren. Aber so, wie ich mich kenne, möchte ich es mir auch immer beibehalten, meine Meinung ändern zu können. Ich schließe nichts aus.
Sie engagieren sich seit einiger Zeit gegen Hass im Netz – auch aus der Erfahrung harter persönlicher Anfeindungen. Wie kam es zu der Entscheidung, die Hater nicht mehr zu ignorieren, sondern aktiv dagegen zu kämpfen?
Da hat sich ein innerer Schalter umgelegt – eine Art „Haltungsschalter“. Mut kann man erst entwickeln, wenn man sich seiner selbst sicher ist. Ich interessiere mich für die Zusammenhänge: Was passiert hier? Wie sind die Mechanismen?
Im Video zum Song “Skinny Bitch” reißen Sie sich symbolisch einen Maulkorb ab. Solche Szenen können ja auch wie Öl ins Feuer der Gegner wirken. Hilft das?
Was bleibt einem denn anderes übrig? Das ist ja eine Frage, die ich mir ständig stellen muss: Inwieweit schränke ich mich persönlich ein, um das zu erreichen, was ich gern möchte? Und inwieweit darf ich einfach sein, wer ich bin? Ich denke viel mehr nach als früher, bevor ich etwas tue. Ich will mich nicht einschränken, weiß aber natürlich, dass man Kompromisse eingehen muss und nicht immer das tun kann, was man gerade will. Trotzdem muss man das Spiel der anderen ja nicht immer mitspielen.
Auch als Signal an Jüngere?
Na klar. Es ist richtig gut, eine Person zu sein, an der andere sich ein wenig orientieren können. Und mir geht es eben darum, Cybermobbing nicht einfach hinzunehmen. Mich rührt das zu Tränen, wenn mir Leute erzählen, dass Ihnen etwas, was ich gesagt oder gesungen habe, aus einer schwierigen Situation herausgeholfen hat.
In der Hochschule Ansbach gibt es jetzt einen Lena-Meyer-Landrut-Hörsaal – als Auszeichnung für Ihre Arbeit gegen Hatespeech. Wann ist Ihnen klar geworden, dass Sie eine Vorbildfunktion haben?
Das war 2017, als ich bei “Sing meinen Song” das Lied über meinen Vater gesungen habe: “If I Wasn’t Your Daughter”. Ich hatte Todesangst vor dieser Veröffentlichung, weil das so ein emotionales Nackigmachen für mich war. Aber die Kontrolle lag bei mir, und es war meine Entscheidung. Also habe ich’s getan. Und was mich danach erreicht hat an Briefen und Mails, war überwältigend. Da habe ich gespürt, dass man sehr viel zurückbekommt, wenn man sich als Künstler freiwillig nackig macht. Was ich auch gelernt habe, ist: Etwas Persönliches preiszugeben und sich in dem Sinne nackig zu machen ist und bleibt die eigene Entscheidung. Und ich finde es schade, wenn Menschen diese Grenze nicht respektieren.
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"Es war einfach ein Lernprozess": Lena Meyer-Landrut 2019 in einem Studio der Hochschule Ansbach. Die Hochschule hat für ein Jahr einen Hörsaal nach ihr benannt und sie für ihr Engagement gegen Cybermobbing ausgezeichnet.
© Quelle: picture alliance/dpa
Gab es eine Zeit, in der Sie dachten, Sie seien Eigentum der deutschen Öffentlichkeit?
Ja. Das gab es. Das war zum Teil sehr schlimm und erniedrigend.
Sie haben anfangs sehr darauf geachtet, Ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Zwischendurch waren Sie etwas offener. Wie kam es zu der Entscheidung, jetzt wieder sehr defensiv mit Privatem umzugehen?
Es war einfach eine Art Lernprozess, so ein “trial and error”. Und da habe ich gemerkt: Error. (lacht) Es ist nicht das, worum es mir geht. Und mich nervt einfach die Wichtigkeit, die Privatem beigemessen wird. Das ist völlig unverhältnismäßig. Deshalb verzichte ich darauf.
Haben Sie manchmal das Gefühl, für die falschen Dinge wahrgenommen zu werden?
Auf jeden Fall. Aber das ist die Geschichte meines Lebens.
Sie haben 3,2 Millionen Follower bei Instagram. Wenn nur jeder tausendste davon ein Spinner ist, sind das schon 3200 potenzielle Spinner. Trotzdem füttern Sie das System regelmäßig mit frischen Bildern. Warum?
Es macht mir einfach Spaß. Und auch das ist ein Lernprozess. Ich probiere mich aus. Und ich poste auch nur, wenn ich Lust darauf habe. Manchmal muss ich aber auch daran erinnert werden, dass ich einen Werbevertrag habe und mal wieder was posten sollte.
Sie sind jetzt zum sechsten Mal bei “The Voice Kids” auf Sat.1 dabei. Neue Kollegen in der Jury sind Lukas Nimschek und Flo Sump von der Kinder-Hip-Hop-Band Deine Freunde. Wie war Ihr Eindruck?
Wir kannten uns gar nicht. Ich wusste nichts über die beiden und über das, was sie machen. Aber wir haben uns sehr lieben gelernt. Die beiden sind total zauberhaft und megasüß mit den Kindern. Die nehmen das sehr ernst und haben großen Spaß. Die sind tolle Vorbilder, hören zu und sind sehr lieb. Ich finde, Deine Freunde sind eine sehr gute Besetzung.
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"Manchmal denke ich: Krass, was ich für einen geilen Job habe": Lena Meyer-Landrut bei einem Konzert auf der Parkbühne Wuhlheide in Berlin im Juni 2019.
© Quelle: imago images / Revierfoto
Was macht Ihnen selbst Freude an “The Voice Kids”?
Für mich ist es eine Mischung aus vielen Gründen. Manchmal sitze ich in der Liveshow und denke: Krass, was ich für einen geilen Job habe. Ich liebe die Arbeit mit den Kids und schaue mir an, was das für eine Generation ist, die da nachwächst. Ich werde ja in diesem Jahr dreißig. Auch wenn ich mich jung halte mit viel Neugierde. Ich denke, ich bin offen für neue Trends und Plattformen wie Tiktok und Co.
Wünschen Sie sich, irgendwann selbst Mutter zu werden?
Natürlich! Auf jeden Fall. Ich würde gern Mama werden. Ich liebe es sehr, für die Kinder da zu sein – musikalisch und auch persönlich.
RND