Langjähriger Sportreporter Werner Hansch: Anfeindungen gegen Claudia Neumann sind unerträglich
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Der Sportmoderator Werner Hansch beim 25. RTL Spendenmarathon.
© Quelle: picture alliance/dpa
Essen. Fußballkommentatorinnen und -kommentatoren stehen dieser Tage mächtig im Kreuzfeuer. Dem ARD-Reporter Tom Bartels wurde zuletzt vorgeworfen, bei der EM-Partie Dänemark–Russland nicht neutral genug berichtet zu haben. Seiner ZDF-Kollegin Claudia Neumann schlagen im Netz frauenfeindliche Kommentare entgegen.
Werner Hansch (82) war jahrzehntelang selbst am Mikrofon als Fußballkommentator tätig. Er bezeichnet die Anfeindungen gegenüber Neumann als „unerträglich“. Und auch zur Leistung von Tom Bartels hat er eine Meinung, wie er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt.
Herr Hansch, Fußballkommentatorinnen und -kommentatoren werden dieser Tage heftig kritisiert und teilweise massiv beschimpft. Ist das ein neues Phänomen oder war das zu Ihrer Zeit auch schon so?
Tatsächlich hat es das zu meiner Zeit auch schon gegeben. Ein Fußballkommentator geht in eine Küche, in der es sehr heiß ist. Und wenn er das nicht aushält, darf er da gar nicht reingehen. Kommentatorinnen und Kommentatoren werden immer mit bewertet. Und wenn die deutsche Mannschaft verliert, dann hat der Reporter auch verloren – so war es schon immer.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrer eigenen Karriere nennen?
Reporterinnen und Reporter liegen immer in Klischeeschubladen, da kann man sich gar nicht gegen wehren. Marcel Reif galt immer als der „Bayern-Reporter“, was sicherlich nicht stimmt. Ich war damals für Dortmunder Fans immer der „Schalke-Reporter“, wohingegen die Schalker mir stets vorwarfen, ich würde zu positiv über den BVB berichten. Das war natürlich beides Blödsinn. Wir Reporter wurden damals durch die gesamte Republik gescheucht und waren niemals verbunden mit einem der Vereine.
Und natürlich gab es auch bei Länderspielen derartige Situationen. Mein letzter Einsatz war bei der Weltmeisterschaft in Japan und Korea 2002. Da hat die deutsche Mannschaft grottenschlecht gespielt, ist aber trotzdem ins Finale gekommen, wo sie schlussendlich verloren hat. Danach hagelte es auch massive Kritik gegen uns Kommentatoren.
Eine Kollegin, die aktuell massive Kritik und heftigste Anfeindungen erfährt, ist Claudia Neumann. Wie erklären Sie sich das?
Es gibt da einen Punkt, der bei der Diskussion und auch bei der Ausbildung von Sportreporterinnen und -reportern häufig vernachlässigt wird, und das ist die Stimme. Kommentierende, die eine hohe Stimmlage haben, werden von Zuschauerinnen und Zuschauern als nervös, weniger verträglich, fast schon als neurotische Typen wahrgenommen. Da spielt es gar keine Rolle, ob das eine Frau oder ein Mann ist. Wer hingegen mit einer tieferen Stimme spricht, wird eher als dominant und kompetent wahrgenommen.
All das ist in Wirklichkeit natürlich Quatsch. Ich kann mir aber vorstellen, dass das bei Claudia Neumann eine Rolle spielt – und dass insbesondere Frauenstimmen im Fußball auf einer schiefen Ebene wahrgenommen werden. Der Fußball ist von Männlichkeit geprägt, und viele männliche Zuschauer verbinden den Sport mit einer tieferen Stimmlage.
Die Angriffe gegen die wunderbare Reporterin Claudia Neumann halte ich übrigens für unerträglich. Sie ist eine absolut fußballkompetente Frau, die ihren männlichen Kollegen in nichts nachsteht.
Fußballkommentatoren im Kreuzfeuer: Wie berechtigt ist die Kritik?
Fußballkommentatoren bekommen den Frust der Fans aus verschiedenen Gründen zu spüren. Bei „Auf dem Schirm“ geht Matthias Schwarzer der Kritik auf den Grund.
© Quelle: RND
Ich zitiere mal einen Kommentar aus den sozialen Netzwerken. Auf Twitter schrieb jemand, er wolle beim „Bierchenzischen mit Kumpels“ grundsätzlich keine „Frauenstimme quatschen hören“, und verweist auf Claudia Neumann. Für mich klingt das weniger nach Stimmkritik, sondern klar sexistisch. Ist die Fußball-Community vielleicht einfach ein bisschen rückständig?
Das ist sicherlich so. Frauenfeindliche Sprüche waren schon immer gang und gäbe. Der Schauspieler Lars Eidinger bezeichnete Frauenfußball mal als einen „Fall für die Paralympics“. Auch Rudi Assauer, mit dem ich eng verbunden war, hat solche Sprüche losgelassen. All das schwingt auch heute noch mit. Dieses Denken muss dringend ausgerottet werden.
Aber gegen solche Vorurteile anzukämpfen ist außerordentlich schwierig. Und gegen die sozialen Medien anzukämpfen ist noch schwieriger. Ich ziehe den Hut vor dem ZDF, dass die sich so tapfer hinter Claudia Neumann stellen.
Tom Bartels wurde nicht wegen seines Geschlechts kritisiert, sondern weil er sich beim Spiel Dänemark–Russland aus Sicht der Fans zu sehr für die Dänen gefreut hatte. Stimmen Sie der Kritik zu?
Für mich zählt Tom Bartels zu den besten Fußballreportern. Er hat aber sicherlich auch schon bessere Sprachbilder benutzt. Die eigene Emotion so hochschießen zu lassen ist für meinen Geschmack schon etwas grenzwertig, wobei man aufgrund der Vorgeschichte vielleicht auch etwas nachsichtig sein muss.
Ich hätte das so nicht gemacht, und das habe ich in der Vergangenheit auch oft gezeigt. Die Arme hochreißen und sich für den Gewinner freuen, das kann ja jeder. Gewinnen muss man mit Demut und verlieren mit Anstand. Das imponiert mir viel mehr. Dennoch bleibt Tom ein Guter.
Ist so ein euphorischer Kommentar überhaupt erlaubt? Sollten sich Fußballkommentatorinnen und -kommentatoren nicht generell zur größtmöglichen Neutralität verpflichten?
Es gibt keine fest vorgeschriebenen Regeln, zumindest ist mir so was nie vorgelegt worden. Ganz neutral kann man auch nicht sein. Ich bin ganz ehrlich: Ich habe zu meiner Zeit gerne der schwächeren Mannschaft die Daumen gedrückt und mich gefreut, wenn der Kleinere dem Größeren ein Bein gestellt hat. Das habe ich durchaus auch in der Kommentierung mal so ausgedrückt. Das kann ich auch nicht abstellen. Natürlich sollte man aber grundsätzlich ausgewogen berichten und sich nicht mit einer Sache gemein machen.
Diese Regel endet aber doch spätestens dann, wenn die deutsche Mannschaft spielt, oder nicht? Da fiebert doch der Kommentator für sein eigenes Land.
Ja, und das ist meiner Ansicht nach auch legitim. Aber auch das darf nicht dazu führen, dass man Einschätzungen verdreht, etwa bei Elf-Meter-Entscheidungen oder so. Eine gewisse Anteilnahme am Spiel der deutschen Mannschaft ist erlaubt, das darf aber nicht die fachliche Einordnung überschatten.
Wie bewerten Sie die aktuelle Fußballberichterstattung generell?
Ich finde es schlimm, dass die Reporterinnen und Reporter heute umzingelt sind von Experten. Diese Entwicklung geht mir völlig auf die Nerven. Die Reporter haben ja gar nicht mehr die Hoheit.
Und dann sind diese Experten nicht nur im Studio zu sehen, sondern auch in den Werbepausen. Bastian Schweinsteiger, den ich übrigens sehr schätze, ist beispielsweise nicht nur Experte für Fußball, sondern offenbar auch für Kartoffelchips und Gartenarbeiten. Und das alles in einer Sendung. Das ist mir alles ein bisschen zu viel.