Bessere Benimmregeln, mehr Kontrolle: So will die ARD aus dem Tief kommen
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„Wir sind halt kein Konzern“: Kai Gniffke (links), SWR-Intendant und zukünftiger ARD-Vorsitzender, und Tom Buhrow, aktueller ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant, stehen nach einem Pressegespräch nebeneinander.
© Quelle: Henning Kaiser/dpa
Das muss man auch erst mal schaffen: Da sitzen die wichtigsten ARD-Chefs am Donnerstag in einem Kölner Studio und sprechen fast zwei Stunden über die tiefe Krise der bis ins Mark erschütterten ARD-Familie – und es fällt nicht ein einziges Mal der Name „Schlesinger“. Von „persönlichem Versagen“ ist die Rede, von „kulturellen Fragen“ und von „Vorgängen in einzelnen Anstalten“. Aber weder WDR-Intendant Tom Buhrow noch Programmchefin Christine Strobel oder der SWR-Intendant und designierte ARD-Vorsitzende Kai Gniffke nennt die in Ungnade gefallene Ex‑RBB-Intendantin Patricia Schlesinger beim Namen. Es ist, als sei sie der Lord Voldemort der ARD.
Man ist bemüht, angemessene Zerknirschung auszustrahlen. „Wir müssen da jetzt durch“, sagt Strobl. „Wir müssen die Lage stabilisieren“, sagt Buhrow. Das „Epizentrum“ der Erregung aber sei der RBB gewesen. Nicht die gesamte ARD. Das soll die Botschaft sein in dieser Pressekonferenz. Das Problem dabei ist nur: Das stimmt so nicht. Auch beim NDR brodelt es. Überall lodern Feuer. Auch der WDR-Chef muss sich fragen lassen, warum er mehr als 400.000 Euro im Jahr kassiert (wenngleich er nach eigenen Angaben wegen komplizierter Vertragsregeln jedes Jahr „einen hohen fünfstelligen Betrag“ an den Sender zurückzahlt).
„Wir müssen uns der Zukunft stellen“
Doch so richtig empfänglich für die anschwellende Kritik wirkt die ARD-Führung nicht. Wo Entscheidungen getroffen würden, „kommt es eben zu Skandalen“, sagt Gniffke fast lapidar auf die Frage, warum die aktuellen ARD-Affären so häufig das Führungspersonal beträfen. Nur Programmdirektorin Strobl spricht Tacheles. „Wir müssen uns der Zukunft stellen“, sagt sie. Die große Aufgabe der ARD in den nächsten Jahren sei es, „wirklich alle zu erreichen“. Dabei schwingt mit, was jeder im Raum weiß: Das wird mit dem Prinzip „Weiter so“ kaum gelingen.
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„Im Moment ruhen die Scheinwerferkegel auf jeder Kleinigkeit": Tom Buhrow (von links nach rechts), aktueller ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant, Christine Strobl, ARD-Programmdirektorin, Yvette Gerner, Intendantin von Radio Bremen, und Kai Gniffke, SWR-Intendant und zukünftiger ARD-Vorsitzender bei einem Pressegespräch in Köln.
© Quelle: Henning Kaiser/dpa
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Beobachtung. Oder wie Buhrow sagt: „Im Moment ruhen die Scheinwerferkegel auf jeder Kleinigkeit.“ Raffgier, Hochmut, Chefallüren, Machtmissbrauch – es sind Schlagworte, die als „Kleinigkeiten“ zu bezeichnen schon eine gewisse Chuzpe erfordert. Als Erstmaßnahme wollen die neun ARD-Anstalten nun einheitliche Standards bei den Compliance-Regeln erarbeiten. Bis November sollen die Justiziariate die Regeln zur Bekämpfung von Korruption homogenisieren. Als vorbildlich gilt hier der MDR, der sich freilich nach dem Kika-Skandal und der Affäre um den früheren Unterhaltungschef Udo Foht – aktuell wegen Betrugs vor Gericht – neue Benimmregeln verpassen musste.
Zwei neue Arbeitsgruppen sollen helfen
Zweitens sollen die Büros der Aufsichtsgremien besser ausgestattet werden und professioneller arbeiten. Drittens will man viel stärker „priorisieren“, was wirklich wichtig ist im ARD-Verbund – wohin die 6 .058.600.240,32 Euro Rundfunkbeitrag im Jahr also fließen. Und viertens sollen (einmal mehr) die Synergien verbessert werden. Dafür wurden – Überraschung! – zwei neue Arbeitsgruppen gegründet: die „AG Umschichtung“ und die „AG Digitale förderale ARD“.
Doch die Krise reicht tiefer. Im Zentrum steht nicht nur die Frage, wer wie viel verdient, wer wann Privat- und Dienstinteressen vermischt hat und ob es unbedingt italienisches Parkett im Chefbüro sein musste. Im Haus – das räumt auch Buhrow ein – ist der Frust der Mitarbeiter über Arbeitsverdichtung, Budgetknappheit, Unsicherheit und das schwerfällige Umsteuern des Supertankers ARD seit Jahren groß. „Wir sind halt kein Konzern“, sagt Buhrow. Die vergleichsweise radikale Idee von Gniffke, die dritten Programme zusammenzulegen und nur noch „regionale Fenster“ anzubieten, stand nicht auf der Tagesordnung der Intendantensitzung. Immerhin, sagt Gniffke, habe er bei den Kollegen und Kolleginnen „eine gewisse Aufgeschlossenheit“ gespürt. Im Januar übernimmt er den ARD-Vorsitz, ein Jahr früher als geplant.
„58 Redakteure – diese Zahl kommt einem erst mal hoch vor“
Gesellschaft und Politik, forderte Buhrow, müssten jetzt die Debatte über Auftrag und Struktur von ARD und ZDF führen. Die ARD-Skandale hätten diese Fragen „eruptiv nach oben gespült“. Es sei nicht Aufgabe der Sender, den eigenen Auftrag zu definieren. In der Tat ist das der Job der Bundesländer. Und die lassen sich bei der aktuellen Neugestaltung des Staatsvertrags allzu gern von frischen Stimmungen, Sympathien und Symbolen leiten.
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„Wir müssen die Lage stabilisieren“: Tom Buhrow, aktueller ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant, spricht während eines Pressegesprächs in Köln.
© Quelle: Henning Kaiser/dpa
Da passt es kaum, dass allein die ARD zum Bundesparteitag der CDU am Wochenende in Hannover nicht weniger als 58 Redakteure schickte – plus knapp 140 Techniker. „Die Zahl kommt einem erst mal hoch vor“, gibt Buhrow zu. Man müsse aber auch die Menge an Programm sehen, die dort entstehe. Die ARD-Chefredakteure sollen künftig vorher koordinieren, ob das Heer der ARD-Berichterstatter wirklich so groß sein muss. Gniffke freilich hält die Truppenstärke für „angemessen“.
Immerhin seien 16 Bundesländer vor Ort vertreten. Und die Menschen hätten „einen Anspruch darauf, auch zu erfahren, was ihr regionaler Abgeordneter denkt“. Warum dieser Anspruch nicht auch mit 30 Redakteuren und 60 Technikern zu erfüllen sein sollte, ließ er offen.