Kampf um Informationshoheit: Pekings erfundene Journalistin

Eine chinesische TV-Reporterin vor der Großen Halle des Volkes in Peking.

Eine chinesische TV-Reporterin vor der Großen Halle des Volkes in Peking.

Peking. Wenn ausländische Journalisten Chinas Menschenrechtsverbrechen kritisieren, dann streitet die Regierung sämtliche Berichte mit dem immer selben Verweis ab: Man verbitte sich eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Doch als die französischsprachige Kollegin Laurène Beaumond ihren leidenschaftlichen Leitartikel „Mein Xinjiang“ verfasste, wurde dieser letzten Sonntag mit Handkuss vom staatlichen Propagandasender CGTN publiziert. Darin beschreibt Beaumond ihre Erfahrungen in der muslimisch geprägten Provinz, wo sie „ein Gefühl der völligen Harmonie, des Respekts voreinander und vor allem der Verbundenheit mit der Natur“ erfährt.

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Viele Leser dürften bei der vollständigen Übernahme des chinesischen Propaganda-Narratives ins Stocken geraten. Schließlich ereignet sich im westchinesischen Xinjiang eines der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen der Gegenwart: Hunderttausende ethnische Uiguren werden dort in einem Lagersystem eingesperrt, wo sie ideologisch umerzogen werden sollen. Beaumond hingegen will davon keinerlei Anzeichen bemerkt haben: Alle Straßenschilder in Xinjiang seien schließlich zweisprachig verfasst, die öffentlichen Kantinen böten Halal-Gerichte an, und jeden Morgen werde sie vom Muezzin von der nahe liegenden Moschee geweckt.

So steht es in ihrem Text geschrieben, und tatsächlich muss es Laurène Beaumond wohl am besten wissen: Sie hat schließlich Familienangehörige in Xinjiang und sieben Jahre lang in Peking gelebt. Zuvor arbeitete sie in mehreren Pariser Redaktionen und studierte Kunstgeschichte an der renommierten Sorbonne. Eine ganz schön kredible Journalistin also.

Laurène Beaumond existiert gar nicht

Doch wie sich nun herausstellt, existiert Laurène Beaumond gar nicht. Die französische Tageszeitung „Le monde“ versuchte ihren Namen vergeblich in der Datenbank des Journalistenverbandes zu finden. Und auch in Peking hat unter den Kollegen noch niemand von der mysteriösen Reporterin gehört. Ihr Twitter-Account, der Ende 2020 wie aus dem Nichts auftaucht, strotzt nur so vor Pekinger Regierungspropaganda – von den Themen Taiwan bis Hongkong.

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Bedient sich etwa Pekings Staatsfernsehen eines fiktiven Charakters, um sein Narrativ scheinbar glaubwürdig unter die Leute zu bringen? Möglicherweise hat die Lügerei ein bitterböses Nachspiel, denn ausgerechnet in Frankreich hat der chinesische Sender CGTN seine Ausstrahlungslizenz für Europa erhalten.

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Beim medialen Kampf um Informationshoheit mischen Chinas Propagandaorgane immer aggressiver mit. Noch im letzten Frühjahr schickte der Staat seine Propagandajournalisten nach Wuhan, um positive Nachrichten aus dem damaligen Corona-Epizentrum mitzubringen. Dieser Tage hingegen sind die PR-Leute der Regierung in der kontroversen Provinz Xinjiang unterwegs, um das Bild von glücklichen Uiguren zu zeichnen – und Genozidvorwürfe zu entkräften.

„Sehen Sie irgendwelche Anzeichen von Genozid? Ich nicht!“, postet etwa Fernsehjournalistin Liu Xin auf ihrem Twitter-Account – unter einem beliebigen Handyschnappschuss eines uigurischen Restaurants in der Provinzhauptstadt Urumuqi.

BBC-Korrespondent verlässt China aus Sorge um Sicherheit

Doch im Land hat die autoritäre Regierung ihren Propagandasieg bereits längst gewonnen. Mit der neuen Jugend wächst eine Generation heran, die unter der Herrschaft Xi Jinpings sozialisiert wurde und mit einem Narrativ groß geworden ist, in dem ausländische Journalisten potenzielle Spione sind und Chinesen, die mit ihnen reden, Volksverräter.

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John Sudworth, preisgekrönter Korrespondent der BBC, hat die Gängelung der Sicherheitsbehörden und die gezielten Hetzkampagnen nicht mehr ausgehalten. Vor wenigen Tagen ist er mit seiner Frau und zwei Kindern nach Taipei gezogen, im von China als abtrünnige Provinz betrachteten Taiwan.

Sudworth, der sich um seine investigativen Reportagen aus Xinjiang verdient gemacht hat, wurde seit Jahren von den Behörden gegängelt, bei grundsätzlich jeder Recherche von Sicherheitsbeamten verfolgt und nun sogar rechtlich verklagt. Selbst auf dem Weg zum Flughafen wurden er und seine Familie von Polizisten in Zivil bis zum Check-in verfolgt.

„Johns Arbeit hat Wahrheiten enthüllt, von denen die chinesischen Behörden nicht wollten, dass die Welt sie erfährt“, hieß es in der Stellungnahme der BBC. Künftig wird er dies aus der Ferne in Taiwan tun müssen – und nicht mehr aus erster Hand.

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