Der Aufstieg und Fall Julian Reichelts
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Von seinen Aufgaben entbunden: „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt.
© Quelle: imago images/Jörg Schüler
Berlin. Tag eins nach dem Sturz Julian Reichelts von der Spitze der größten Boulevardzeitung Deutschlands: Nachdem der „Bild“-Chefredakteur am Montag von seinen Aufgaben entbunden worden war, trat am Dienstag sein Nachfolger bereits in der Redaktion vor die Belegschaft: Johannes Boie (37), ein Zögling von Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner und bislang Chefredakteur der „Welt am Sonntag“.
„Mir ist wichtig, dass wir wieder mehr Schlagzeilen machen, als Schlagzeilen zu sein“, soll Boie gesagt haben. Ein Satz, bei dem vermutlich auch der Wunsch Vater des Gedankens ist; denn ganz so schnell dürfte der Axel-Springer-Konzern mitnichten aus den selbst produzierten Schlagzeilen kommen.
Auch nach dem Reichelt-Aus bleiben Fragen. Wie steht es denn wirklich um die Arbeitsbedingungen bei „Bild“? Welche Vergehen können Reichelt nachgewiesen werden? Und warum reagierte der Verlag eigentlich erst jetzt in dieser Konsequenz?
Ippen prüft Veröffentlichung von Recherchen zu Reichelt
Die Recherche um den bisherigen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt und Vorwürfe des Machtmissbrauchs, wurde von der Ippen-Mediengruppe zunächst zurückgehalten
© Quelle: dpa
Fast 20 Jahre bei „Bild“
Für Reichelt ist sein Rausschmiss ein abrupter Abbruch einer fast 20-jährigen „Bild“-Karriere: Ab 2002 besuchte der 41-Jährige die Journalistenschule des Medienkonzerns. Anschließend berichtete er als Kriegsberichterstatter aus Krisenregionen rund um die Welt. 2007 wurde Reichelt „Bild“-Chefreporter, dann Onlinechef und 2017 schließlich Vorsitzender der Chefredaktionen. Die „Bild“ prägte Reichelt, und Reichelt prägte besonders in den vergangenen Jahren die „Bild“.
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Nun musste er seinen Posten an der „Bild“-Spitze räumen. „Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“, teilte Springer mit. Der Vorstand habe erfahren, „dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat“.
Auch hier bleibt die Frage: Welche Erkenntnisse sind tatsächlich neu – und welche bereits Monate alt?
Im März hatte sich Reichelt unter anderem wegen sexueller Beziehungen zu Mitarbeiterinnen einer Untersuchung durch eine Anwaltskanzlei unterziehen müssen. Vorwürfe des Machtmissbrauchs und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen – die Reichelt bestreitet – waren zuvor laut geworden.
Jetzt gerät auch Springer-Chef Döpfner unter Druck
Für knapp zwei Wochen wurde Reichelt von seiner Arbeit freigestellt, kehrte dann aber auf seinen Posten zurück. Festgestellte Fehler in der Amts- und Personalführung würden eine Abberufung als Chefredakteur nicht rechtfertigen, hieß es.
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Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa
Neben Reichelt gerät nun auch Mathias Döpfner unter Druck, der Springer-Vorstandsvorsitzende und Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Die „New York Times“ und der „Spiegel“ berichteten über eine Nachricht, die Döpfner während des Compliance-Verfahrens an den bis dahin mit ihm befreundeten Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre geschickt hatte.
Julian Reichelt sei „halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt“, schrieb Döpfner darin. Die meisten anderen Journalisten seien zu „Propaganda-Assistenten“ geworden.
Springer-Sprecher äußert sich zu Döpfners Nachricht
Ein Sprecher des Springer-Konzerns bestätigte auf RND-Anfrage die Echtheit der Nachricht. Er bekräftigte jedoch, Döpfner halte die Bundesrepublik selbstverständlich nicht für vergleichbar mit der DDR. „Das wäre komplett absurd und sollte für jeden offenkundig sein, der den publizistischen Äußerungen von Döpfner folgt“, so der Sprecher. In privaten Dialogen gebe es „Mittel der Ironie und bewussten Übertreibung“, und die Nachricht müsse im Kontext gesehen werden.
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Fakt ist: Besonders die Veröffentlichung in der „New York Times“ dürfte zur plötzlichen Absetzung Julian Reichelts beigetragen haben. Seit dem vergangenen Jahr gehört der Springer-Konzern mehrheitlich der US-amerikanischen Investmentfirma KKR. Erst im August kaufte Springer das US-Medium „Politico“ für mehr als eine Milliarde Dollar.
In den USA wird noch kritischer hingeschaut
Verhältnisse, wie sie laut den Medienrecherchen in der „Bild“-Redaktion herrschten, aber auch sexuelle Beziehungen am Arbeitsplatz insgesamt werden in der amerikanischen Unternehmenskultur deutlich kritischer gesehen als in Deutschland.
Der „Spiegel“ berichtete unter anderem von einer weiteren sexuellen Beziehung Reichelts mit einer ihm unterstellten Mitarbeiterin. Die Veröffentlichungen zeichnen das Bild eines Chefredakteurs, der sich wiederholt jungen Kolleginnen annäherte und sie lobte und mit verantwortungsvollen Aufgaben bedachte.
Die Bevorzugung sei jedoch mit einem sexuellen Verhältnis zu den jungen Frauen verbunden gewesen. Um Vorwürfe nicht einvernehmlicher Beziehungen gehe es dabei nicht, aber um solche des Machtmissbrauchs.