Job, Kindergarten, Bundestag: TV-Doku zeigt, wo Deutschland sexistisch ist

Sind Frauen weniger lustig? Podcasterin Laura Larsson sorgte für einen Skandal beim Deutschen Comedypreis 2020. Versteckter Sexismus findet sich immer noch in vielen Teilbereichen der Gesellschaft, sagt die ZDF-Doku.

Sind Frauen weniger lustig? Podcasterin Laura Larsson sorgte für einen Skandal beim Deutschen Comedypreis 2020. Versteckter Sexismus findet sich immer noch in vielen Teilbereichen der Gesellschaft, sagt die ZDF-Doku.

Gut, wenn man sich gleich zu Beginn an die eigene Nase fasst. Stichwort: Sexismus in den Medien. Die Fernsehschaffenden Teresia Minjoli und Gabriel Stoukalov stellen mithilfe einer Watson-Studie von 2020 fest, dass die TV-Primetime um 20.15 Uhr fest in männlicher Hand ist. Tatsächlich, denkt man. Wo sind die weiblichen Pilawas, Pflaumes, Jauchs oder Hirschhausens?

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Der Deutsche Comedypreis 2020 erntete einen Shitstorm, weil er in der Kategorie „Podcast” offenbar übersehen hatte, dass es auch lustige Frauen gibt. Als dies vonseiten der Comedians moniert wurde, schuf man kurzfristig die Kategorie „Beste Comedy-Podcasterin”, was die Sache nicht besser machte, denn warum sollen Frauen in Sachen Humor eine Sonderkategorie bespielen? Deshalb kann sich Laura Larsson in der ZDFInfo-Doku „Wie sexistisch ist Deutschland? - Frauenbild, Klischee und #metoo” auch nicht so recht über ihren Preis freuen, den die Podcasterin schließlich mit ein wenig Genderdebatten-„Geschmäckle” überreicht bekam. Der Film, der am Mittwochabend ausgestrahlt wurde, ist ab sofort auch in der Mediathek zu finden - und das Einschalten lohnt sich.

Experiment zeigt: Geschlechterrollen schon im Kindergartenalter ausgeprägt

In einer „dritten Welle” des Feminismus nach den Anfängen im frühen 20. Jahrhundert sowie in den 70-ern ist es mitunter schwierig geworden, das Richtige zu tun. Fangen wir von vorne an - bei der Frage, was Sexismus überhaupt definiert. „Sexismus ist, wenn wir erwarten, dass sich Menschen gemäß ihrer Geschlechterrolle verhalten”, erklärt es Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal. Bemerkenswert ist aber: Geschlechterrollen sind schon im Kindergarten stark ausgeprägt, während sie bei Krabbelkindern noch so gut wie gar nicht vorkommen.

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In einem Experiment erzählt man den Kleinen eine Geschichte von einem Kind, das mit starken Armen eine steile Spielplatzwand erklimmt, um sich danach in den dunklen Schlund einer Rutsche zu trauen. Danach konnten Kinder wählen, ob dies ein abgebildeter Junge oder ein Mädchen gewesen sein könnte. Gerade die Jungs in der Runde sind sich sicher: Das war ein Geschlechtsgenosse. „Mädchen haben nur Pudding in den Armen”, sagt einer von ihnen.

Bundesministerin: Lautere Zwischenrufe bei Rednerinnen

Auch Werbetreibende bekommen ihr Fett weg. „Werbung trägt Verantwortung und sollte deshalb auch nicht sexistisch sein”, sagt Gender-Forscherin Stevie Schmiedel. Oft wird dort auf einem schmalen Grat zwischen Ironie und Frauenverachtung gewandelt, heißt es im Film. Schwierig wird es, wenn sich eine Celebrity wie Sophia Thomalla unter dem Slogan „#Männertage” in einer Elektromarkt-Werbung sexistisch ablichten und mit den Worten „An diesen Tagen streichelt er einfach alles, was Knöpfe hat” zitieren lässt - denn das fällt dann unter Meinungsfreiheit. In vielen europäischen Ländern wie Spanien, Frankreich und Großbritannien ist sexistische Werbung übrigens verboten. In Deutschland existiert hingegen keine Regelung.

Auch Politikerinnen wie Renate Künast (Die Grünen) oder Julia Klöckner (CDU) erzählen vom Sexismus ihrer „Branche”. „Wo man das schon merkt, ist bei der Rede im Parlament”, sagt die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. „Gar nicht zur Hauptredezeit, sondern wenn es abends etwas ausfranst. Wenn dann eine Frau zum Rednerpult geht, wird die Lautstärke etwas stärker laut als bei einem Mann - oder auch die Zwischenrufe. Frauen werden auch angetestet von Zwischenrufern, ob sie sich aus der Fassung bringen lassen.”

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Es sind aber auch handfeste Daten, die dafür sprechen, dass Frauen immer noch benachteiligt werden. 21,41 Euro verdienen sie im Durchschnitt pro Stunde in Deutschland. Sechs Prozent weniger als Männer bei gleichem Job und gleicher Qualifikation. Rechnet man alle Werktätigen zusammen, verdienen Frauen sogar 18 Prozent weniger. Dafür wird alle 45 Minuten eine von ihnen in Deutschland Opfer von Gewalt, meistens durch ihren Partner. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.

„Flirt-Coach” Pütz: „Die Lebensrealität sieht ganz, ganz anders aus”

„Flirt-Coach” Maximilian Pütz ist einer der wenigen Meinungsführer vom „alten Schlag”, die sich in der Doku äußern. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der „Dynamik zwischen den Geschlechtern”, wie er sagt. „Achtet auf ihre Signale, aber geht einfühlsam immer einen Schritt nach vorne”, empfiehlt er eindeutig zweideutig in einem seiner Tutorialvideos.

Vor der Kamera analysiert er dann: „Zu mir kommen ja gerade diese angepassten, lieben Männer, die diese ganzen feministischen - ich muss sagen - Lügen gefressen haben -, man darf eine Frau nicht berühren, man muss bei jeder Sache fragen. Die Lebensrealität, die Dating-Realität sieht ganz, ganz anders aus.”

Geschlechterrollen gehören zu den frühsten Kategorien, die kleine Kinder für sich entdecken, ist sich Geschlechter-Forscher Rolf Pohl sicher. Er findet sogar, dass bei Geschlechterzuschreibungen heute wieder „trennschärfer” gearbeitet wird als früher. „Niemals zuvor war soviel rosa und hellblau in den Stores mit Kinderausstattung”, sagt Pohl.

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Forscherin: Wer Machos ausgrenzt, erzieht sich welche

Sexismus funktioniert aber auch umgekehrt der gängigen Muster. „Die größten Verlierer unseres Bildungssystems sind migrantisch markierte Jungs”, stellt Forscherin Mithu Sanyal fest. „Weil auch Lehrer und Lehrerinnen die Vorstellung haben: Das sind frauenfeindliche Macho-Jungs, und denen müssen wir jetzt mal zeigen, wo die Grenzen sind. Abgesehen davon, dass das unfair ist - je mehr wir Menschen ausgrenzen und sagen, du bist ein Macho, desto mehr werden sie das auch sein.”

RND/Teleschau

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