„Sender in die Grütze gefahren“: Hugo Egon Balder nimmt Abschied von Sat.1
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Hugo Egon Balder in seiner Show „Genial daneben“.
© Quelle: SAT.1 / Willi Weber
Hamburg. Das Privatfernsehen ist im Umbruch: RTL startet mit Imagepflege und Gesichtern wie Jan Hofer und Pinar Atalay einen Frontalangriff auf die Öffentlich-Rechtlichen. Pro Sieben überrascht mit immer neuen TV-Experimenten – etwa einer stundenlangen Pflegereportage oder Interviewformaten mit Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten.
Sat.1, der dritte große Privatsender im Bunde, könnte solche Positivschlagzeilen derzeit gut gebrauchen. Stattdessen zeigt sich ein anderes Bild: Immer wieder sorgen Vorfälle im Reality-TV für handfeste Skandale. Die Sendung „Promis unter Palmen“ wurde nach einem Mobbingeklat 2020 und einer homophoben Hasstirade eines Kandidaten im Frühjahr endgültig abgesetzt. In der Sendung „Plötzlich arm, plötzlich reich“ soll die Produktionsfirma nach Vorwürfen des Schlagersängers Ikke Hüftgold mit schwer traumatisierten Kindern gedreht haben – der Fall sorgte für ein tagelanges Medienecho.
Auch mit anderen Formaten hat der Sender wenig Glück. „Das große Promi-Flaschendrehen“, „Claudias House of Love“, „5 Gold Rings“ – nur drei der vielen abgesetzten Sendungen der vergangenen Monate. Im Mai wurde bekannt, dass Pro-Sieben-Chef Daniel Rosemann zusätzlich die Leitung von Sat.1 übernehmen und den Sender offenbar aus der Misere führen soll.
Hugo Egon Balder ist langjähriges Gesicht des Senders Sat.1. Zunächst bei RTL mit Formaten wie „Tutti Frutti“ erfolgreich, wechselte Balder Anfang der 2000er-Jahre zum Sender mit dem Ball und präsentierte dort jahrelang die Comedyratesendung „Genial daneben“ sowie zahlreiche Musikformate. Heute blickt der 71-Jährige mit Wehmut auf diese Zeit zurück – und zieht Konsequenzen, die auch der Sender am Freitagmorgen bestätigte.
Herr Balder, man kennt Sie als langjähriges Sat.1-Gesicht. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation des Senders?
Mich macht das traurig und fassungslos. Ich bin Anfang der 2000er-Jahre mit „Genial daneben“ zu Sat.1 gekommen, da war die Situation noch eine ganz andere. Matthias Alberti war Unterhaltungschef und später Geschäftsführer, der hatte Mut und hat immer wieder neue Formate ausprobiert. Da ging es mit dem Sender aufwärts. Sat.1 saß noch in Berlin, es herrschte eine Riesenstimmung. Natürlich hat nicht alles funktioniert, was produziert wurde – aber viele Formate waren erfolgreich und die Quoten in den meisten Fällen richtig gut.
Was ist heute noch davon übrig?
Nichts. All das kippte bereits 2009, als Matthias Alberti Sat.1 verließ. Seitdem wechselt ständig der Geschäftsführer, und der Laden wird permanent in die Grütze gefahren.
Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Ja, an meiner eigenen Show zum Beispiel. Wir haben 2017 nach sechsjähriger Pause wieder mit „Genial daneben“ angefangen. Kurz darauf hat sich der Sender ein tägliches Format gewünscht, das unter dem Titel „Genial daneben – das Quiz“ lief. Ich habe vor dem Titel der Sendung gewarnt, weil sich die Zuschauerinnen und Zuschauer etwas völlig anderes unter „Genial daneben“ vorgestellt haben. Letztendlich habe ich recht behalten – die Quoten gingen nach der ersten Sendung sofort in den Keller. Aber da kann man als Einzelner so viel warnen, wie man will, da hat man keine Chance.
Und das ist kein Einzelfall. Es werden immer wieder Sendungen produziert, wo man zumindest das Gefühl hat, das könnte in die Hose gehen. Und es wird dann trotzdem gemacht. Und das größte Problem ist, dass diese Sendungen auch noch ein Schweinegeld kosten.
Woran liegt das?
Das Hauptproblem ist wahrscheinlich, dass die Leute ständig wechseln. Und jeder Geschäftsführer will was anderes. Das ist an sich erst mal nichts Problematisches. Wenn ein neuer Intendant ins Theater kommt, hat der auch andere Vorstellungen als sein Vorgänger. Aber es müsste sich dann auch zum Besseren ändern, und nicht immer wieder zum Schlechteren.
Aktuell laufen ja noch neue Folgen von „Genial daneben“. Wie sieht denn die Zukunft Ihres Formats aus?
Es gibt keine Zukunft. Nach dieser Staffel ist Schluss.
Ging diese Entscheidung vom Sender aus? Oder von Ihnen?
Der Sender hat sich noch nicht bei mir gemeldet. Aber ich selbst habe für mich beschlossen, dass ich das nicht mehr will. Es bringt einfach nichts. Sat.1 hat sich in den vergangenen Jahren als ziemlich beratungsresistent erwiesen. Als Moderator hat man dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder man beißt in den sauren Apfel und macht es – oder man sagt: „Ohne mich.“ Und ich bin jetzt an dem Punkt angelangt, wo ich lieber sage: Das war’s. Abgesehen davon glaube ich aber auch, dass das Format mittlerweile überholt ist.
Hat Ihre Entscheidung auch etwas mit den Negativschlagzeilen der vergangenen Wochen und Monate zu tun? Insbesondere in den Reality-Formaten von Sat.1 ist die Lage ja häufig eskaliert. Die Sendung „Plötzlich arm, plötzlich reich“ sorgte für einen riesigen Skandal. Kann man überhaupt noch guten Gewissens mit so einem Sender zusammenarbeiten?
Sat.1 ist ja nicht der einzige Sender, der solche Formate ausstrahlt. Auch RTL hatte mit dem „Sommerhaus der Stars“ im vergangenen Jahr einen Mobbingeklat. Ich habe all diese Formate nicht gesehen, ich habe nur davon gelesen. Die Zeiten haben sich geändert, und die Leute wollen so was ja offenbar sehen. Aber wenn ich Chef eines Senders wäre, würde ich eine klare Grenze ziehen: Bis hier hin und nicht weiter. Aber das passiert hier leider nicht.
War das früher anders?
Ich will hier nicht von alten Zeiten schwärmen, aber ja. Wenn wir früher Fernsehen gemacht haben, dann hatten wir dabei großen Spaß, und zwar jeden Tag. Wenn ich heute sehe, dass Produktionsfirmen Sachen produzieren, einfach nur um Kohle zu verdienen, und sogar selber zugeben, dass es sich dabei um minderwertiges Fernsehen handelt, dann stimmt irgendwas nicht.
Ist Ihr Abschied von Sat.1 auch Ihr Abschied vom Fernsehen?
Ich bin jetzt 71. Ich habe keine Lust, in dem Alter noch Sachen zu moderieren, wo die Leute dann sagen: „Mein Gott, hoffentlich überlebt er die Sendung.“ Ich sehe das ja bei Kollegen. Thomas Gottschalk beispielsweise wird in Medienartikeln heruntergemacht, weil seine Shows angeblich „old fashioned“ oder „aus dem letzten Jahrhundert“ seien. Das finde ich unfair. Was soll Thomas Gottschalk denn sonst machen?
Ich habe Gott sei Dank das große Glück, dass ich seit zehn Jahren permanent Theater spiele. Und das habe ich mir auch so vorgestellt in meinem Alter. Theater spielen kann ich auch noch mit 85, wenn ich das so will.
Ganz anders als bei Sat.1 ist die Situation ja gerade beim Schwestersender Pro Sieben. Dort überrascht man neuerdings mit Politikformaten, neuen Moderatorinnen und immer neuen TV-Experimenten im Rahmen der „15 Minuten“ von Joko und Klaas. Auch RTL ist im Umbruch und feilt offenbar an seinem Image. Wie bewerten Sie das, was da gerade passiert?
Ich finde das richtig gut, weil da Mut gezeigt wird. Ob die Pläne am Ende klappen oder nicht, weiß natürlich niemand. Aber überhaupt mal etwas Ungewöhnliches auszuprobieren, das hab ich in dieser Form seit den alten Zeiten von „Alles Nichts Oder?!“ in den Achtzigerjahren nie wieder erlebt. Ich spreche auch mit vielen Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen, die sich diesen Mut wünschen und viele kreative Ideen haben. Am Ende scheitert es aber meist am Sender.
Was, glauben Sie, bezwecken die Sender nun mit diesem Wandel?
Ich weiß nicht, ob sie damit zwangsläufig neue Zuschauer gewinnen. Zumindest keine jüngeren. Ein 20-Jähriger, der seit Jahren Streamingdienste nutzt, wird jetzt auch nicht mehr zum Fernsehen zurückkehren. Abgesehen von Sportsendungen gucken nur noch die Älteren lineares Fernsehen.
Aber bei den Älteren hat man natürlich noch eine Chance. RTL hat sich wohl absichtlich entschieden, nicht mehr so frech, böse und unter der Gürtellinie zu sein. Es scheint mir so, als wollte man hier eher den Öffentlich-Rechtlichen Konkurrenz machen. Vermutlich kein ganz falscher Schritt: Zuletzt war die Devise bei den Sendern immer „Wir müssen verjüngen“. Das ist aus meiner Sicht aber ein Trugschluss. Von den Jungen kommt keiner mehr zurück. Wer seinen Sender verjüngt, hat irgendwann gar keine Zuschauerinnen und Zuschauer mehr.
Die Privaten haben mit Joyn und TV Now ja auch eigene Streamingdienste, investieren nun stark in fiktionale Eigenproduktionen. Bei „Joyn“ ist das beispielsweise die Serie „Check Check“ mit Klaas Heufer-Umlauf oder „Frau Jordan stellt gleich“ mit Katrin Bauerfeind. Haben die Sender damit eine langfristige Chance gegen Netflix und Co.?
Es ist auf jeden Fall gut und mutig, dass sie es überhaupt machen. Wir bewegen uns mit der Fiktion in Deutschland seit Jahren auf dem immer gleichen Level – völlig unabhängig, ob die Produktionen bei den Privaten oder Öffentlich-Rechtlichen laufen. Alle Serien, die gemacht werden, sind immer heile Welt. „In aller Freundschaft“, „Notruf Hafenkante“, „Watzmann ermittelt“ – Hauptsache, die Bilder sind schön. Irgendwann wird das langweilig. Es wird also dringend Zeit, dass jemand kommt und was anderes macht.
In unseren Nachbarländern ist das ganz anders. In Österreich beispielsweise ist man sehr viel mutiger, da werden immer wieder ungewöhnliche Formate ausprobiert. In Deutschland gibt es Serien wie „Pastewka“, die Sat.1 einfach fallen lässt. Amazon hat die Serie schließlich weitergeführt. Das ist für mich völlig unverständlich.
Und wie bewerten Sie die Arbeit der Öffentlich-Rechtlichen?
Die erschlagen sich gegenseitig mit Talkshows. Das habe ich vor allem im Lockdown gemerkt, als ich vier Monate zu Hause rumsaß und viel ferngesehen habe. Am Ende kommt bei diesen Sendungen aber nicht viel rum. Auch die Gäste wiederholen sich irgendwann. Das war früher auch noch anders. Wenn ich mir alte Aufnahmen etwa von der NDR-Talkshow angucke, dann haben die Leute da geraucht und getrunken, auch die Diskussionskultur war eine ganz andere. Es ging richtig zur Sache. Heute stellt jeder sein Buch vor und das war‘s dann. Auch die Politikerinnen und Politiker sind so geschult, dass der Moderator selbst nach viermaliger Nachfrage keine richtige Antwort bekommt. Die wissen genau, was sie sagen wollen und was sie nicht sagen wollen. Das ist mir alles ein bisschen zu langweilig.
Gibt es denn auch etwas, das Ihnen an der Fernsehlandschaft zuletzt gefallen hat?
Es gibt vier Leute, die mir richtig gut gefallen, die ich auch immer wieder gerne im Fernsehen sehen würde. Weil es einfach ein bisschen was anderes ist. Das sind Dieter Nuhr, Torsten Sträter, Sebastian Pufpaff und Jan Böhmermann. Alles unterschiedliche Charaktere, die unterschiedliche Wege gehen, auch politisch. Aber genau diese Vielfalt ist toll. Ansonsten haut mich im Fernsehen ehrlich gesagt wenig vom Hocker.