Fernsehen

Till Reiners über Comedy im Krieg: „Menschen brauchen Ablenkung – und das ist völlig in Ordnung“

Moderator und Comedian Till Reiners.

Moderator und Comedian Till Reiners.

März 2022 dürfte der bislang erfolgreichste Monat in der Karriere des Comedians Till Reiners sein. In der Kategorie „Stand-up-Comedy“ erhielt der 37-Jähige gerade den renommierten Deutschen Kleinkunstpreis. Dazu startet am Sonntag, 20. März (20.15 Uhr), auf 3sat „Till Reiners‘ Happy Hour“, die Nachfolgeshow des zu „TV total“ abgewanderten Sebastian Pufpaff, den Reiners als Host einer satirischen Mixshow ablöst.

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Zehn Sendungen sind für das Krisenjahr 2022 noch geplant. Doch wie gehen Comedians selbst mit der schwierigen Situation um?

Wie wird die Comedyszene auf den Krieg in der Ukraine regieren?

Ich glaube, wir Comedians werden – genau wie alle anderen Menschen – verschiedene Phasen durchleben. Im Moment ist einem noch nicht nach Lachen zumute, zumindest nicht über den Krieg. Trotzdem merke ich, dass die Menschen jetzt schon Ablenkung brauchen. Comedy kann das sein, und das ist völlig in Ordnung. Niemand ist geholfen, wenn man sich zwölf Stunden pro Tag mit Nachrichten zuballert. Es kann die eigene Kraft stärken, wenn man sagt: Heute Abend gehe ich zu einem Comedyprogramm – und werde einfach lachen.

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Ab wann darf man Witze über den Krieg machen?

Der Moment wird kommen, dass man darüber nachdenkt, wie man das Geschehen humoristisch verarbeitet. Als absolutes No-Go wird bleiben, die Opfer zu verhöhnen. Aber unsere Aufgabe als Humorschaffende ist auch, zu schauen: Was ist eigentlich das Absurde an der Situation? Natürlich wird man sich über Putin lustig machen, vielleicht auch über die Frage: Woher kommen eigentlich diese 100 Milliarden, die plötzlich für die Bundeswehr da sind? Und muss so eine Entscheidung in zwei, drei Tagen durchgedrückt werden? Ich sehe viele Ansätze für satirisches Nachhaken.

„Humor ist immer nur ein Angebot“

Ist es ein Comedianreflex, egal wie schlimm es ist, was auf der Welt passiert, dass man nach Möglichkeiten sucht, Witze darüber zu machen?

Ja. Keiner von uns ist Comedian geworden, weil das Arbeitsamt es uns geraten hat. Wir sind es, weil unsere Persönlichkeitsstruktur so funktioniert. Unser Abwehrmechanismus ist Humor. Ich merke bei vielen Dingen: Am Anfang versuche ich mir eine gewisse Distanz zu „er-gagen“, auch weil mir viele Dinge sehr nahegehen. Ich fühle mich in diesem Moment ein bisschen weiter weg vom Krieg. So kann ich sie ertragen und dann auch wieder leichter an mich ranholen.

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Ist das Publikum schon bereit für Gags über die neue Megakrise?

Es ist unser Job, mit Humor an diese Frage heranzugehen. Ich fände es furchtbar, wenn wir in einen Wettstreit darüber geraten, wer von uns am meisten betroffen ist. Das ist etwas sehr Persönliches. Ich möchte niemandem seine Trauer oder Fassungslosigkeit nehmen. Beides hat seinen Platz und seine Zeit. Ich will aber auch nicht dafür angeklagt werden, wenn ich einen anderen Umgang damit habe. Humor ist immer nur ein Angebot.

Comedians konnten wegen der Corona-Maßnahmen lange Zeit nicht auftreten. Nun gibt es wieder neue Programme, aber die sind sozusagen veraltet, weil es im Augenblick nur noch ein großes Thema gibt. Ein Wahnsinn für Ihre Branche, oder?

Ich sehe es nicht ganz so katastrophal. Es wird auch bald wieder andere Themen geben. Und die Menschen werden dankbar sein, wenn sie mal wieder über andere Dinge zuhören, nachdenken und sprechen können. Ich habe ein Programm zum Thema Corona gemacht, da musste man beim Publikum erst mal gegen Widerstände ankämpfen, damit die sich überhaupt darauf eingelassen haben. Mittlerweile geht es (lacht). Doch der innere Widerstand bei Menschen, die ein Unterhaltungsprogramm besuchen, mit einer allgegenwärtigen großen Krise konfrontiert zu werden, ist durchaus da.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

„Die Menschen möchten jetzt wieder zusammen sein“

Also wollen die Leute eigentlich beim Lachen in eine andere Welt entkommen?

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Sie wollen auf jeden Fall ihrem Alltag ein Stück weit entfliehen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem ein Comedyprogramm wandelt. Man muss ein Stück weit die Realität verlassen, darf aber trotzdem nicht verleugnen oder auslassen, was in der Welt da draußen gerade passiert, sonst wirkt man wie ein psychopathischer Clown, der sein Programm abspult.

Klimawandel, Corona, jetzt der Krieg. Wie viel Druck halten wir Menschen aus?

Ich denke schon, dass all diese Dinge nicht ohne Reaktion bleiben werden. Eine wird sein, dass man sich von der nachrichtlichen Realität abkehrt. Es gibt ja jetzt schon eine gewisse Flucht ins Private bei vielen Menschen. Das sind Leute, die keine Nachrichten, Talkshows oder Berichte mehr konsumieren, weil sie merken: Das vergiftet mich jetzt. Es sind Pendelbewegungen, die jeder einzelne Mensch ausführt. Wir haben heute einfach die ganze Zeit Medien zur Verfügung und werden von Nachrichten quasi überrollt. So etwas gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie zuvor. Jetzt müssen wir unseren Umgang damit finden. Das gilt natürlich besonders für Zeiten der Krise, in denen vielen Nachrichten schlecht sind.

Zur Corona-Krise passte der Rückzug in Private ja, denn er passte zum Gebot des Social Distancing. Wie wird sich das in Zeiten des Krieges oder der Kriegsgefahr entwickeln?

Ich glaube, anders als bei Corona. Die Menschen möchten jetzt wieder zusammen sein. Das sehen wir ja auch in unserer Reaktion auf den Krieg und die Flüchtenden. Es gibt eine große Welle der Solidarität, Demonstrationen und Hilfsbereitschaft. Auch das Zusammenstehen der Welt gegen die Aggression. Alles Dinge, die mit Gemeinschaft zu tun haben. Wahrscheinlich wird Putin sein Verhalten nicht ändern, nur weil Tausende Menschen überall auf der Welt auf die Straße gehen. Aber diese Menschen spüren dabei: Wir sind mit unserer Angst, unserer Trauer nicht alleine. Das kann ein großer Trost sein.

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„Das ist eine andere Art von Applaus als früher“

Überträgt sich dieser Trost auch in Ihren Liveprogrammen?

Nicht nur bei meinen Shows stelle ich das fest, sondern auch, wenn ich als Konsument ins Theater oder zu anderen Bühnenprogrammen gehe. Man spürt nach den langen Lockdowns eine große Dankbarkeit für das Erleben der Gemeinschaft. Ich hatte in meinen ersten Shows nach der Corona-Pause echte Gänsehaut, als der Auftrittsapplaus einsetzte. Ich merkte, das ist eine andere Art von Applaus als früher. So nach dem Motto: Toll, dass du da bist (lacht). Und ich dachte für mich: Ach wie toll, dass ihr da seid.

Kommen wir zum Abschluss auf das Format „Happy Hour“, das sie nun von Sebastian Pufpaff übernehmen. Werden Sie als neuer Host der Show etwas verändern?

In der Struktur der Sendung wird sich wenig ändern. Ich war ein großer Fan von „Happy Hour“, und bin sehr stolz, das Format übernehmen zu dürfen. Ich werde die Sendung jedoch etwas anders „füllen“, sage ich mal. Jeder Mensch bringt in der Rolle des Gastgebers natürlich einen eigenen Stil mit.

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Wird es andere Gäste geben?

Ich werde bei den Gästen darauf achten, noch mehr Gesichter zu zeigen, die man vielleicht zuvor noch nicht kannte. Newcomer aus der Stand-up-Szene liegen mir sehr am Herzen. Filiz Tasdan zum Beispiel finde ich super. Der Redakteur lädt die Gäste zwar ein, aber er weiß natürlich, welche Leute ich gerne sehen würde (lacht).

Gibt es für Sie einen neuen Stil Comedy, der am Kommen ist?

Für mich als Comedian ist die Aussage fast schon abgenutzt, aber die Mode kommt jetzt erst im Mainstream an: Für mich ist es der amerikanische Stand-up-Stil, der die Begriffe Kabarett und Comedy auflöst. Stand-up ist immer eine gespielte Privatheit, das hat man bei Kabarett nicht. Da tritt man hinter einen Text oder ein Anliegen zurück. Für mich ist es eher eine Formfrage, keine inhaltliche. Das war vielleicht auch der große Humorirrtum in Deutschland: Hier dachte man immer, der Inhalt sei das entscheidende, dabei ist es die Form. Ich kann privat über Politik erzählen und aus meinem privaten Leben daraus schöpfen – das wäre Stand-up. Oder ich gehe von außen ran, dann wäre es klassisches Kabarett. Ich stehe für Ersteres.

RND/Teleschau

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