„Haus des Geldes“: Darum ist die spanische Netflix-Serie so erfolgreich geworden
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Die Masken mit dem Gesicht des Künstlers Salvador Dalí sind zum Symbol von „Haus des Geldes“ geworden – und auch für Demonstrantinnen und Demonstranten weltweit.
© Quelle: Netflix/dpa
Im schönsten Sozialistenrot gekleidet haben sich die Verbrecherinnen und Verbrecher in „Haus des Geldes“ gerade ihre Maschinengewehre umgeschwungen, tragen Salvador-Dalí-Masken und sind voneinander nicht zu unterscheiden. Aber ebenso wenig wie von ihren Opfern, den Geiseln, die sie bei ihren Überfällen nehmen. Und so von ihren menschlichen Schilden geschützt, überleben die kriminellen Heldinnen und Helden Episode um Episode, während sie durch aberwitzige minutiöse Pläne voller Finten irgendwelche zentralen Geldhäuser Spaniens ausrauben, die Polizei auf den Plan rufen, Medien und Volk für sich gewinnen und zu geliebten Staatsfeinden Nummer eins werden.
Ab Freitag, 3. September, startet die finale, die letzte fünfte Staffel, in der die Bande mit den Städtenamen ihre Haut retten muss. Doch warum ist die spanische Serie, die ursprünglich einfach nur im TV laufen sollte, zur meistgesehenen nicht englischsprachigen Serie beim Streaminggiganten Netflix avanciert?
Eigentlich war „Haus des Geldes“ fürs spanische TV gedacht
Wie so oft gibt es dafür nicht den einen, alles erklärenden Grund. Denn „Haus des Geldes“, das in Spanien unter dem Namen „Casa del Papel“ und international als „Money Heist“ läuft, ist eigentlich eine ganz klassische Banküberfallgeschichte wie der George-Clooney-Klassiker „Oceans Eleven“ eben auch. Und bei Netflix in dem Genre nicht sonderlich einsam. Ein kriminelles Mastermind, eben der Professor (Álvaro Morte), plant minutiös einen hochaufwendigen Überfall, jede Bewegung muss sitzen, sonst geht alles schief und die lieb gewonnenen Heldinnen und Helden wandern jahrelang hinter Gitter.
Doch hat Serienschöpfer Álex Pina der klassischen Geschichte ein paar Elemente hinzugefügt, die offenbar den Zeitgeist treffen. Immer wieder sprechen der Professor, Tokio (Úrsula Corberó), Berlin (Pedro Alonso), Rio (Miguel Herrán) oder Nairobi (Alba Flores) davon, das System anzugreifen. Schon ihre Überfallkluft ist symbolisch. In ihrem Rebellenrot fallen sie in die heiligen Hallen des Kapitalismus ein: eine Gelddruckzentrale und die Geldreserve von Spanien. Konkrete Feinde sind natürlich auch schnell ausgemacht: die Politik, die nur die eigenen Interessen im Blick hat und nicht die Verlierer des Systems, aus denen sich die Ganovenbande zusammensetzt, und natürlich die Polizei, die immer wieder mit Großaufgebot angebraust kommt und sich gern selbst übers Gesetz erhebt.
Nieder mit dem System
Um das Bild der kleinen Menschen gegen das böse, übermächtige System zu untermauern, bedient sich Pina recht direkt aus Literatur und Musikgeschichte. Die Serie hat dem italienischen Partisanenlied „Bella Ciao” 2018 zu einem erneuten Charterfolg verholfen, immer wieder klingt es als Symbol für Freiheit an. In Staffel vier lässt er den Professor samt Komplizen als Don Quixote mit Knappen mit Motorrädern durch eine altertümliche Windmühlenkulisse brettern. Ebenso dient das Motiv des Rattenfängers von Hameln, die Bande als gerechte Rächer darzustellen, die Böses tun, um verübtes Unrecht zu vergelten.
Doch rebellieren der Professor und Konsorten nicht nur gegen das System – sie geben auch zurück. Als opulentes Ablenkungsmanöver lassen sie 140 Millionen Euro aus Zeppelinen auf die Madrider Bevölkerung herabregnen. Für einen kurzen, süßen Moment herrscht Anarchie in der Stadt, bis sich die Polizei in Stellung gebracht hat. Mit dieser Robin-Hood-Manier ziehen sie nicht nur das Volk auf ihre Seite, sondern natürlich auch Streamerinnen und Streamer.
„Haus des Geldes“ bleibt in der Schwebe
Grundsätzlich schafft es „Haus des Geldes“, in der Schwebe zu bleiben: Den Figuren wird genug Tiefe verliehen, um sie glaubhaft zu machen, jedoch ohne mit ernst gemeinten Charakterstudien von der Action abzulenken. Die Kriminellen sind grundsätzlich die Guten, doch immer wieder übertreten sie die Linie zum moralisch Fragwürdigen – um natürlich danach auf die richtige Seite zurückzukehren. Und wenn die Frage diskutiert wird, warum eigentlich immer Männer entscheiden, was gemacht wird, verhandelt die Serie ganz nebenbei feministische Themen, ohne die eine zeitgenössische Serie heute nicht mehr auskommt.
Dazu kommen die ikonischen Bilder: Rote Overalls und Dalí-Masken sind nicht nur eine Wahl von Serienfans für Kostümpartys, sondern werden auch von Demonstrantinnen und Demonstranten beispielsweise in Südamerika getragen. Leicht wiederzuerkennendes Bilderwerk hilft einem Streamingdienst natürlich bei der internationalen Vermarktung. Apropos: Netflix selbst arbeitet unermüdlich daran, Spannung und Mythos um die Serie herum aufrechtzuerhalten. So wird die fünfte Staffel in zwei Teilen ausgestrahlt und eine selbstverständlich vom Streamingdienst produzierte Dokumentation erklärt den geneigten Zuschauerinnen und Zuschauern, warum „Haus des Geldes“ als Phänomen so überragend sei. Eigenwerbung inbegriffen.
Keine Geheimformel für Serien – Achtung, Spoiler!
Dabei unterliegt „Haus des Geldes” keineswegs einer magischen Geheimformel der Serienerzählung. Den ersten beiden Netflix-Staffeln ist anzumerken, dass sie im spanischen TV einst eins waren. Und die immer wieder aufkochenden zwischenmenschlichen Streitigkeiten, Liebesdramen, Brüderzwiste und Vater-Sohn-Konflikte sowie Machtgerangel führen zu erzählerischen Längen und halten immer wieder die eigentliche Bankraubstory auf.
Andererseits mag es dieser Telenovela-Charme vor aufwendiger Kulisse auch sein, der viele Streamerinnen und Streamer bei der Stange hält. Schließlich führen die Beziehungen auch dazu, dass in immer waghalsigeren Aktionen mal Rio, Tokio, Lissabon und Nairobi befreit oder gerettet werden müssen. Bis zum Ende schließlich der Professor derjenige ist, der in Ketten liegt. Wie und ob er sich daraus befreien kann, ist ab dem 3. September zu sehen, bis das Phänomen „Haus des Geldes“ mit dem Jahresende auch einen Abschluss findet.