Die tapfere Schneiderin – die Emanzipation von „Cinderella“ bei Amazon Prime Video

Zwei für die (persönliche) Freiheit: der Prinz (Nicholas Galitzine) und Cinderella (Camila Cabello).

Zwei für die (persönliche) Freiheit: der Prinz (Nicholas Galitzine) und Cinderella (Camila Cabello).

Und wenn sie nicht gestorben sind, winken sie ihrem Volk noch heute höflich vom Repräsentations­balkon ihres Schlosses zu. Als Kenneth Branagh vor nunmehr sechs Jahren mit Lily James „Cinderella“ mit Schauspielern verfilmte, war es die Eins-zu-eins-Umsetzung des Zeichen­trick­klassikers. Junge Frau, von abgrundtief schlechten, dummen, gehässigen Familien­mitgliedern als Arbeits­sklavin missbraucht, findet mithilfe einer Fee und ein bisschen Magie die ausgleichende Gerech­tigkeit. Ein Prinz verliebt sich ins Aschen­puttel, und es wird zur Herrscherin. Vielleicht wird es eine große Sozial­reformerin, denn es weiß ja aus eigener Erfahrung um das Leben ganz unten in den Hütten. Disney sparte Cinderellas Zukunft allerdings auch 2015 aus, eine Fortsetzung gab’s nicht. Für das vornehmlich kindliche Publikum reichte ein simples Happy End mit einem Frauenbild, wie es heute wohl nur noch der AfD-Gefolgschaft behagt und kleiner werdenden Teilen der CDU-Freunde. Herrsche Frau – über das Herz deines Gatten über die Wohlfahrt deiner Kinder und dein trautes Heim.

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In Kay Cannons „Cinderella“-Version von 2021, die nach dem Corona-Filmstau nun statt im Kino bei Amazon Prime Video zu sehen ist, hat Ella aus dem Keller andere Pläne. Sie will Schneiderin werden, auf dem Markt der Stadt eine Boutique aufmachen und erfolgreich im Beruf sein, statt sich von der energischen Stiefmutter verheiraten zu lassen.

Es gibt keine Asche in Puttels blitzsauberem Keller

Ellas Stief­schwestern (Maddie Baillio, Charlotte Spencer) sind quietschend doof (aber nicht so böse wie in früheren Verfilmungen), und Stiefmama Vivien (Broadway­star Idina Menzel – „Wicked“) hat für ihre gestrenge Haltung falsche, aber durchaus wohl­­meinende Gründe, die auf schlechten persönlichen Lebens­erfahrungen beruhen.

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In Puttels Souterrain­wohnung gibt es im Übrigen keine Asche, es muss keine Erbsen auslesen, keine Kamine ausfegen, ja es wird nicht ein einziges Mal in diesem Film ein Feuer entzündet. Popsängerin Camila Cabello sieht blitzsauber aus – mit ihren niedlichen Grübchen und einem entwaffnenden Lächeln erobert sie Publikum und Prinz, ohne es zu forcieren. Den Letzt­genannten kriegt sie schließlich zu ihren Bedingungen.

Der Prinz gibt Gas, der König bremst

Prinz Robert sträubt sich gegen das Erwachsenwerden, hat seine Kumpel und viel Spaß, was dem König unbotmäßig vorkommt für einen Thronfolger in seinen Zwanzigern. Er droht, schimpft, fordert und flucht und hätte auch schon eine passende Gefährtin aus einem anderen Königreich, was seinem Geschlecht eine Herrschaft bis in die fernen Gefilde verspräche, wo Gerüchten zufolge das Seemonster wohnt.

Der Prinz will weder diese Braut noch die anderen, die ihm eine Hoch­zeits­vermittlerin vorschlägt: „Er hat nicht viel im Ober­stübchen“, faucht diese im Hinausgehen, „und es würde mich wundern, wenn es anderswo mehr wäre.“

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Hatte James Corden Harry und Meghan im Sinn?

Ja, es geht frivol zu, aber nur ein winziges bisschen, so dass der Film dennoch bestens zur Familien­unterhaltung auch für Jüngere taugt. Dem in den USA vor allem als Show­moderator berühmt gewordenen britischen Schauspieler James Corden ist das nette Märchenupdate eingefallen, und wer dabei nicht ein einziges Mal an Prinz Harry und Meghan denkt, der denkt einfach zu wenig.

Angesiedelt in einem historisch vagen Raum, der mittelalterlich, napoleonisch und jetztzeitig zugleich anmutet (die Leute, die Getränke an die Schänken ausliefern, schleppen ja wohl eindeutig Kunst­stoff­kisten), geht es um Abnabelung und Selbstfindung. Der Prinz, dargestellt von dem wirklich aparten Nicholas Galitzine, hat einst zu seinem Vater aufgeschaut, als der in glänzender Rüstung in irgendeine Schlacht zog. Jetzt kommt ihm sein alter Herr eher lächerlich vor, wenn er seinen Thron ein bisschen höher macht als den seiner Königin Beatrice (Minnie Driver). Alt und albern haben denselben Anfang.

In Ländern der Intoleranz ist der Film schwer verkäuflich

Die Fee ist ein Dragking, mit dem Billy Porter auch gleich die LGBTQI+-Szene verzaubert, und Corden selbst spielt eine lustige Moppel­maus, die mit ihren besten Nager­freunden per Zauber­stab zum Kutsch­personal Cinderellas aufgejazzt wird, als die zum königlichen Braut­findungs­ball anreist, um dort vor allem ihre Karriere zu befördern. Natürlich findet der Prinz Ella toll und Ella den Prinzen auch, natürlich gibt es die Flucht um Mitternacht, den zurück­gebliebenen Schuh aus Glas, den Kuss wahrer Liebe und Friede, Freude, Eierkuchen, wie es Märchen­filme eben so brauchen.

Aber der Königssohn hebt das Kellerkind nicht empor – die beiden sind auf Augenhöhe. Dem Himmel sei Dank, hat der Monarch noch eine Tochter (Tallulah Greive), die – Vergleiche mit Lady Di sind angebracht – voller Ideen steckt, wie man das Leben im Land lebens­werter macht: Armut bekämpfen, Schwerter zu Pflug­scharen machen, sich nicht zum Büttel des Kapitals machen. Diese Gwen ist ein Gewinn. Die Frage ist, ob der Film Gewinn machen kann in Ländern, in denen Frauen arm an Rechten leben und in denen Sexualität – abweichend von hetero­sexueller – in staatlichem Visier ist.

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Das Ganze wird als Musical gereicht, das seine musikalische Sog­kraft aus adaptierten Pop- und Rocksongs zieht. Die reichen von J. Los „Let’s Get Loud“ über Queens „Somebody to Love“ bis hin zum Indie­blues­rock-Klassiker „Seven Nation Army“ der White Stripes. Wiewohl diese „Cinderella“ wohl nicht großartig genug geraten ist, um Disneys Trickfilm den film­geschicht­lichen Rang abzulaufen, so swingt sie doch mit ihrem singenden, tanzenden und wirbelnden Personal über ihre fast zwei Stunden.

Allein Pierce Brosnan als König, der noch einmal seine Rüstung anlegt, um seine liberalere Königin per Liedvortrag davon zu überzeugen, dass er nicht der Idiot ist, als der er jüngst vornehmlich in Erscheinung trat, sondern immer noch ein gutes Herz hat, kann – wie er schon in „Mamma Mia!“ bewies – nicht singen. Aber das kann er gut!

„Cinderella“, 113 Minuten; Regie: Kay Cannon; mit Camila Cabello, Nicholas Galitzine, Minie Driver, Pierce Brosnan (streambar bei Amazon Prime Video)

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