Kriminalität und Parallelgesellschaft

Alles bleibt in der Familie: ZDF-Doku blickt hinter die Kulissen der Berliner Clans

Razzia in einem Barber-Shop: Polizisten gehen gegen Clan-Mitglieder nicht zimperlich vor.

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Wer Clan sagt, muss auch Parallelgesellschaft sagen? Zumindest gehört dies in der Berichterstattung über arabische Großfamilien zum Standard-Repertoire. Ethnologin Susanne Schröter erklärt: „Parallelgesellschaft bedeutet letztlich: Man schottet sich nach außen ab, möchte möglichst wenig Kontakt haben zum Rest der Gesellschaft.“ Tatsächlich richten sich Teile arabischer Clans nach einem eigenen Normenkatalog, der sich grundlegend von anderen Gesellschaftsteilen unterscheidet – und sie bleiben lieber unter sich. „Der ganze Alltag wird innerhalb der eigenen Strukturen organisiert, es ist ein geschlossenes System“, weiß Executive Producer Arnd Benedikt Piechottka. Er ist für eine neue ZDFinfo-Dokuserie verantwortlich, die „seltene Einblicke in eine verschwiegene Welt“ verspricht.

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Das Thema arabische Clans in seiner Gesamtheit differenziert zu beleuchten, ist kein leichtes Unterfangen. Die dreiteilige Reihe „Blutsbande – Clans in Berlin“ (Freitag, 3. März, 20.15 Uhr, ZDFinfo, und bereits ab Mittwoch, 15. Februar, in der Mediathek) der Autorinnen Anna Schultz und Esther Hofmann gibt sich hierbei durchaus Mühe. „Straffällig wird nur ein kleiner Teil der Großfamilien“ – ein enorm wichtiger Satz, der gleich zu Beginn der ersten Folge fällt. Grundsätzlich hangelt sich die Dokureihe jedoch stark am Thema Kriminalität entlang.

„Letztendlich sind es marginalisierte Menschen“, so Ethnologin Schröter über die Clan-Mitglieder. „Sie können auf normalem Wege eigentlich keinen Erfolg haben.“ Stimmen, die zur Einordnung nötig sind. Die Probleme mit der Parallelgesellschaft werden in der Dokuserie klar benannt. Jedoch wird auch erklärt, wie es überhaupt zur Herausbildung selbiger kommen konnte.

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Eine Frage der Ehre

Als Positivbeispiel dient die Geschichte von Ahmad Mohammed, der als Kind mit seiner Familie aus dem Libanon floh. Ihm ging es wie vielen Libanesen, die Ende der 1970er aufgrund des Bürgerkriegs ihr Heimatland verließen. Die Geflüchteten kamen über Ost-Berlin in die Bundesrepublik, ohne Kontrollen wurden sie durchgewunken. In der BRD, in der die Integration dieser Menschen schlicht kein Ziel war, waren sie lediglich geduldet, eine Arbeitserlaubnis erhielten sie nicht. Viele Entwicklungen im Clan-Milieu sind auf diese Anfänge zurückzuführen. Auch Mohammed stand bereits mit einem Bein in der Unterwelt, doch er bekam die Kurve. Heute ist er Bodyguard der Stars und bringt in seinem Boxclub auch Jugendlichen Disziplin bei, die drohen, auf die schiefe Bahn zu geraten.

„Das Schlimmste für einen Mann ist bei uns im Orient: dass du den Mann beleidigst neben seiner Frau und seinem Kind. Dann verliert der Mann sein Gesicht vor seiner Familie“, erklärt Mohammed. Trotz seiner unzweifelhaften Vorbildfunktion scheint ein problematischer Ehrbegriff durch, wenn der Promi-Bodyguard Dinge sagt, wie: „Ihr Deutschen sagt doch immer: Die Menschenwürde ist unantastbar. Das ist bei uns die Ehre.“ Gerade wenn weibliche Familienmitglieder beleidigt werden würden, „wird es zum Blutvergießen kommen“, so Mahammed über einen Ehrenkodex, der auch durch toxische Männlichkeit und ein konservatives Frauenbild geprägt ist.

Welche Auswüchse die Folgen vermeintlicher Ehrverletzungen im kriminellen Clan-Kontext haben können, wird in der Doku ebenfalls thematisiert – im schlimmsten Fall enden sie mit tödlichen Schüssen auf einer Kirmes. Auch bei der Beerdigung der Opfer spielt die Ehre eine zentrale Rolle: Auf dem Friedhof stehen teils verfeindete Familien am Grab. In der Trauer gibt es keine Feindschaft. Den Toten die letzte Ehre zu erweisen, gilt als Selbstverständlichkeit.

Clan-Mitglieder als Streitschlichter

Die erste Folge der Reihe dreht sich unter anderem um Vermittler Ömer. Er bringt den – unkenntlich gemachten – Chef eines Clans mit Gläubigern zusammen, die ihr Geld nicht mehr zurückbekommen. Bei einem durch Ömer arrangierten Treffen mit dem Schuldner weiß dieser zunächst nichts von der Anwesenheit des Clan-Mitglieds. „Kennen wir uns?“, fragt der Schuldner laut Gedächtnisprotokoll. Die Antwort lässt viel Interpretationsspielraum: „Es wäre besser, uns zu kennen.“ Schließlich zahlt der Clan-Chef den Gläubiger mit 20.000 Euro aus, nun bekommt er selbst das Geld. Der Schuldner verspricht monatlich 5000 Euro, das Treffen dauert nur fünf Minuten.

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„Man muss immer vernünftig mit den Leuten reden. Am Ende zum Punkt kommen“, so der Clan-Chef über die außergerichtliche Einigung. Illegal ist die Aktion nicht. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, solche Deals würden die Justiz entlasten. Experten warnen jedoch auch, die Grenzen zwischen gewaltfreier Konfliktlösung und kriminellen Aktivitäten können fließend sein.

Denn die Existenz krimineller Strukturen ist nicht zu leugnen. Doch wie gehen Verantwortliche dagegen vor? In Berlin-Neukölln setzt man auf sogenannte Verbundeinsätze, die den Druck auf Kriminelle in Großfamilien ausüben sollen. Martin Hikel (SPD), der Bezirksbürgermeister von Neukölln, hat sich mit harter Hand gegen Clan-Kriminalität gute Presse verschafft. Seine „Strategie der tausend Nadelstiche“ soll Verbrecher zermürben. In der Doku darf sich der Politiker als Anpacker inszenieren – und die Exekutive präsentiert sich in einem Großeinsatz. Alles „vom nichtverzollten Tabak bis hin zu offenen Haftbefehlen“ wird vor der Kamera von der Polizei in Angriff genommen.

RND/Teleschau

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