Böhmermanns Abschied: So war die letzte Ausgabe vom “Neo Magazin Royale”
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„Ich hätte ohne Probleme Material, um dreimal die Woche Sendung zu machen“: TV-Satiriker Jan Böhmermann in der Studiokulisse vom „Neo Magazin Royale“. Im Herbst 2020 wechselt er ins ZDF.
© Quelle: Ben Knabe/ZDF/dpa
Nein, es ist nicht das Ende einer Ära. Dazu war das „Neo Magazin Royale“ dann doch zu sehr Insiderwitz. Ein kleiner, schillernder TV-Gottesdienst für eine loyale Fangemeinde, ein wöchentliches Beömmelungsritual für Bürgerkinder mit Jan Böhmermann als Zeremonienmeister und lebendes Zwinker-Smiley. Aber es ist doch eine Zäsur: Nach 167 Ausgaben zieht es den „blassen, dünnen Jungen“ (Zuschauerpost) weiter ins Erwachsenenfernsehen. Im Herbst 2020 startet eine neue Böhmermann-Show im ZDF. Das „Neo Magazin Royale“ – nur echt mit „hinten E“ – ist damit Geschichte.
Das ist eine gute Nachricht. Denn der 38-Jährige ist an einem Wendepunkt angekommen. Als blitzgescheitem Spötter macht ihm kaum jemand etwas vor. Als Stachel im Fleisch der Republik beherrscht er es meisterhaft, blödsinnige Rituale zu sezieren, selbstgefällige Deutschpop-Besinnungssänger zu entlarven, rechten Populismus zu enttarnen und die Mechanismen der Meinungsbildung zu erklären. Aber es gab zuletzt immer öfter ein Problem: Seine Sendung war eher smarter politischer Haltungsnachweis als herzerwärmende Late-Night-Show.
Ein präziser Entschlüssler des Zeitgeistes
Kein Zweifel: Böhmermann ist ein präziser Entschlüssler des Zeitgeistes. Er sah sich immer als Sprecher der Nerdfraktion. Wenn die André-Rieu-Fans ihr eigenes Fernsehen haben, fragte er, warum soll sich dann nicht auch der mokant lächelnde Millennial mit seinen Themen im deutschen Fernsehen wiederfinden dürfen? Und sei es nur in der Nische (und in der Mediathek)? Kein Wunder, dass der Youtuber Rezo nach seinem CDU-Video Böhmermanns Show als Plattform für die Nachbetrachtung wählte.
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Youtuber Rezo (l) und Moderator Jan Böhmermann sitzen in der Aufzeichnung der Sendung «Neo Magazin Royale» in der Studio-Kulisse. Es war der erste Show-Auftritt des Influencers seit der Veröffentlichung seines Videos «Die Zerstörung der CDU».
© Quelle: Julia Hütner/ZDF/dpa
Die Finalshow: ein durchgeknalltes Musical
Und wie war das Finale? In der durchgehend musicalesken Abschiedssendung feierte der „Digitalsparten-Qualitätsentertainer“ sich selbst und seine „kleine, trottelige Krawallshow“ zunächst mit einem schnittlosen, wilden Schnelldurchgang durch die Redaktion - „Veränderung ist immer schwer - aber wollen Sie wirklich, dass ich von meiner Fernsehfigur aufgefressen werde? Was Neues muss her!“
Es folgte ein sympathischer, trashiger Schlussakkord mit viel Musik - samt Barbershop-Sextett („Sie ahnen schon was Ihnen blüht / Am Lerchenberg die Leitung glüht“) und Musical-Arie („Ich will nicht wie Harald enden / Ich will auch mal was And‘res senden / Sonst werde ich noch zu meiner eigenen Kunstfigur“). Böhmermann feierte seine TV-Coups - von Varoufakis Mittelfinger bis zu „Verafake“, dem Einschleusen zweier falscher Kandidaten in die RTL-Show „Schwiegertochter gesucht“ - in ironischen, aber auch überraschend traditionellen Cabaret-Couplets.
"Ein Spagat zwischen scheiße und geil"
Auch die vielen Klagen, den juristischen Ärger, den dauernden „Beef“, den die Sendung auslöste, machte er zum Thema - bis hin zur Frage: „Bin ich wirklich renitent? Oder bin ich in meiner Kunst einfach doch nur konsequent?“ - Szenenapplaus. Ordentlich Buzz zu erzeugen - das kann er.
„Ich hoffe, wir haben Ihnen in den letzten sechs Jahren und 42 Tagen viel Freude bereitet und Sie an die Hand genommen“, sagte er. „Wenn nicht: Mir doch egal.“ Augenzwinkern. Und wenn dann noch ein Grundgesetz durch das Studio tanzt, ist endgültig klar, dass hier etwas Durchgeknalltes zu Ende geht. Am Ende: „Hallelujah“ von Leonard Cohen. Geht immer.
„Das Magazin war immer ein Spagat zwischen scheiße und geil,“, sagte Böhmermann. Die Abschiedssendung wich von diesem Prinzip keinen Millimeter ab. Lästern kann er weiterhin wie kein Zweiter. Auch über sich selbst.
Und was kommt jetzt?
Was ihm aber (bisher) fehlt, ist das Weltumarmungs-Gen. Die Fähigkeit, Menschen glücklich zu machen. Natürlich weiß er: Der Witz wohnt als Parasit auf dem Leid. Und Satire ist die böse kleine Schwester des Humors. Wenn Humor der heitere, blaue Himmel ist, dann ist Satire der Blitz. Blitze können zerstören, in Flammen setzen, Flächenbrände auslösen. Humor kann das alles nicht. Böhmermann setzt immer auf den Blitz. Aber einem empörten Mann beim Kämpfen zuzusehen ist halt auf Dauer ermüdend.
Das ZDF braucht Böhmermann viel dringender als Böhmermann das ZDF
Genau das ist der Grund, warum der Muttersender ZDF so lange zögerte, seinen Chefanarchisten und Oberzyniker ins Hauptprogramm zu lassen. Dabei braucht das ZDF Böhmermann viel dringender als Böhmermann das ZDF. Denn die Zeiten, in denen die Bedeutung des Zweiten Deutschen Fernsehens die des ZDF-neo-Moderators weit überstrahlte, sind längst vorbei. Wann hat zuletzt ein ZDF-Star eine solche Welle ausgelöst wie Böhmermann in der Schmähgedicht-Affäre um Erdogan?
„Wer die große ZDF-Bühne betritt, wird auf großer ZDF-Bühne verhauen“, hat er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland mal gesagt. „Das ist halt so. Das ist meine Jobbeschreibung.“ Warum zog es ihn trotzdem ins ZDF? Weil er ganz klassisch Anerkennung sucht. Weil er weiß, dass nach den Spielregeln der konservativen deutschen Medienlandschaft ein Superstar erst als arriviert gilt, wenn er die Mühen der Nische durchgearbeitet hat. Dabei ist Böhmermann als Marke längst wirkmächtiger als ZDF-Stars wie Maybrit Illner, Claus Kleber oder Oliver Welke. Er setzte zuletzt lieber auf Aufklärung statt Aufheiterung.
„Dahinter steckt ein genialer Plan“
„Ich hätte ohne Probleme Material, um dreimal die Woche Sendung zu machen“, sagte der Mann, der ab 2009 Ensemblemitglied in der „Harald Schmidt Show“ war, schon vor zwei Jahren. „Ich will im Fernsehen alt werden.“ Sein Intendant Thomas Bellut sah ihn in der Abteilung Jugendbespaßung aber lange Zeit besser aufgehoben. Es ist, als ahnte man in Mainz: Böhmermann? Das gibt Stress. „Eine tägliche Late-Night-Show ist für uns zurzeit kein Thema“, heißt es in Mainz lange Zeit.
Von täglich ist noch keine Rede – aber an den Erwachsenentisch haben sie Böhmermann nun doch gelassen. Der Moderator reagiert mit sanftem Spott: „Dass das ZDF uns bereits nach sechs Jahren im ZDF neo ins Hauptprogramm holt, mag wie eine kopflose Kurzschlussreaktion wirken, aber mir wurde vom ZDF glaubhaft versichert, dass dahinter ein genialer Plan steckt.“
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„Beruflich bin ich nicht vorsichtiger geworden“: Jan Böhmermann mit erhobenem Zeigefinger.
© Quelle: Matthias Balk/dpa
Ironie, natürlich. Aber Ironie ist ein gefährliches Instrument. Man muss Ironie lesen können, um sich nicht beleidigt zu fühlen. Nur wenige können das. Es ist natürlich Ironie, wenn Böhmermann über „alte Menschen“ lästert, sie seien „die Sandsäcke unserer Gesellschaft“ und bestünden „zu 4 Prozent aus grauen Haaren, zu 35 Prozent aus schlaffem Bindegewebe und zu 61 Prozent aus Geschichten von früher“. Er macht sich damit nicht über Alte lustig, sondern über Altersrassismus. Der Boulevard freilich neigt dazu, sich um der Erregung willen absichtlich blöd zu stellen. Also heißt es sofort großflächig: „Böhmermann beschimpft Alte.“
„Beruflich bin ich nicht vorsichtiger geworden, nein“, sagte er dem RND. „Ich weiß halt, was ich auslösen kann, und gehe mit diesem Wissen etwas bewusster um. Aber es ist nicht so, dass da jetzt die Angst mitfährt.“ Er wird aber wissen, dass man von ihm beim ZDF nicht nur Polarisierung erwartet. Sondern sicher auch einen Schuss Liebe. Selbst Stefan Raab schaffte es am Ende, ab und zu mal ein Herz zu zeigen.
Es fehlt einer, dem Sarkasmus gänzlich fremd ist
Weggefährten wie Klaas Heufer-Umlauf verabschiedeten sich fast wehmütig von der Show. Zuletzt war Böhmermann dann doch ein bisschen zu streng geworden. Er schien bei aller Chuzpe und trotz weiterhin blitzender Augen irgendwie mürbe beschimpft, als habe er einmal zu oft „und diesen unlustigen Minimacho muss ich mit meinen Gebühren bezahlen“ über sich lesen müssen. Aber nach fünf Grimme-Preisen, fünf Comedy-Preisen und drei Deutschen Fernsehpreisen kann man eine Sendung in Würde sterben lassen.
Wie könnte es Böhmermann im ZDF gelingen, sein emotionales Portfolio zu erweitern? Indem er einem Mann einen Platz an seiner Seite anbietet, der keinerlei Zynismus kennt. Dem Sarkasmus fremd ist. Der schon als Podcaster an der Seite von Böhmermann für einen Schuss menschliche Wärme sorgt: Olli Schulz. Herrgott, was könnte das für eine feine Sendung werden.
Die Abschiedsfolge des „Neo Magazin Royale“ ist in der ZDF-Mediathek abrufbar.