Blick zurück auf „Dexter“: Mördermörder sterben nie
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/AZGV4Q6TFVGLBJQRZHZHSOQBMM.jpg)
Premierenparty der achten (und nur vorläufig letzten) "Dexter"-Staffel 2013 in Hollywood: "Dexter"-Darsteller Michael C. Hall mit Jennifer Carpenter, die seine Ziehschwester Debra spielte.
© Quelle: picture alliance / Globe-ZUMA
Der Mond hing tief in der blutroten Gosse. „Heute abend ist es so weit“, sagte uns der blonde Mann am Steuer. „ES wird wieder geschehen.“ Und obwohl er sympathisch aussah, ließ dieses „ES“ uns frösteln. Recht sollten wir bekommen. Bald strangulierte der Blonde einen Fremden namens Donovan von dessen Autorücksitz aus. „Ab jetzt gehören Sie mir“, sagte der Angreifer. „Sie tun, was ich sage.“
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Zwei Minuten später war der Angegriffene tot. Ermordet. Spurlos verschwunden. „Ich bin ein sehr reinliches Monster“, gestand der Mörder, und in seiner dezent amüsierten Stimme schwang der Stolz des Profis mit. Dass ihm das Sammeln von Objektträgern mit den Blutstropfen seiner Opfer zum Verhängnis werden könnte, vermuteten wir schon damals.
Dexter war Serienmörder schon von Kindesbeinen an
So lief 2008 (in den USA war „Dexter“ schon 2006 gestartet) unsere allererste Begegnung mit Dexter Morgan ab, der seine Heimatstadt Miami liebte (auch wegen der Aufklärungsrate von nur 20 Prozent bei Morden), zudem seine attraktive, verbalradikale Ziehschwester Debra (Jennifer Carpenter), die kubanische Küche und eben „ES“, das Töten. Dexter war ein Serienmörder – schon von Kindesbeinen an. Anfangs brachte er nur die Hunde in der Nachbarschaft um, deren Gebell seine Pflegemutter Doris (Kathrin Lautner Middleton) nervte. Später gab es den Drang nach mehr (Achtung, ab hier Spoiler!).
Um zu verhindern, dass sein Sohn in eine „Institution“ oder gar auf den elektrischen Stuhl kommt, entwickelte Ziehvater Harry (James Remar), ein Polizist, den sogenannten „Kodex“. Dexter wurde dadurch der Gerechte unter den Psychos, er tötete nur böse Menschen, wurde quasi der Serienmörder von Serienmördern. Jener Donovan etwa hatte Kinder umgebracht – vier Jungenleichen hatte Dexter zuvor aus ihren anonymen Gräbern geholt.
Seither arbeitete Dexter offiziell als etwas kauziger Forensiker für die Mordkommission von Miami. Bis zur achten Staffel, mit der die Serie endete. Es waren blutige Staffeln allesamt – äußerst unterhaltsam obendrein. Keiner der notorischen Psychopathen des bewegten Bilds, weder das linkische Muttersöhnchen Norman Bates noch der kultivierte Kannibale Hannibal Lecter, wuchs uns je so ans Herz wie Dexter, der nette Otto Normalvernichter.
Dexter sah gut aus und spendierte den Kollegen Donuts
Der Mann mit dem dunklen Hobby sah gut aus, war zuvorkommend, spendierte seinen Kollegen gern mal eine Runde Donuts, klopfte witzige Sprüche, war eine Weile gar das erotische Zielobjekt seiner Vorgesetzten Maria LaGuerta (Lauren Vélez) und pflegte seinerseits (zunächst) die enthaltsame Zweisamkeit mit einem alleinerziehenden Vergewaltigungsopfer (Julie Benz). Dass er koitales Beieinander für „würdelos“ hielt, revidierte er später allerdings.
Dexter lernte die Liebe kennen, das Vaterglück, die Verlustangst, den Verlust und die Trauer. Dexter sorgte sich, dass sein Söhnchen Harrison seine Neigung zum Meucheln geerbt haben könnte. Dexter beschäftigte sich sogar mit dem spirituellen Gewebe der Welt, um vielleicht einen tieferen Sinn in seiner Existenz zu erkennen.
Ein Mann auf der Suche nach seiner Menschlichkeit
Bald sah er sich anders als wir ihn. Der Mann, der ähnlich wie Android Data in „Star Trek – The Next Generation“ auf der Suche nach echten, menschlichen Gefühlen war („Ich täusche alles vor“), schien über mehr Herz zu verfügen als viele der „normalen“ Zeitgenossen, die sich für menschlich einwandfrei hielten. Man verstand Dexter (und mochte seine Kollegen Battista, Quinn, ja sogar den immer anzüglichen Masuka). Nur Doakes (Eric King) nicht, der Dexter verdächtigte, ihn erwischte … und selbst entsorgt wurde.
Die Serie, die auf Jeff Lindsays „Dexter“-Romanen basiert, war auf Anhieb ein Hit – und zugleich umstritten, da optisch starker Tobak. In den USA mordete Dexter zunächst im Bezahlsender Showtime, dann – entschärft – auf CBS. Zweimal wurde Darsteller Michael C. Hall für den Golden Globe nominiert.
Evangelikale forderten Werbekunden von CBS zum Boykott auf
Trotzdem forderten evangelikale Familienschützer die CBS-Werbekunden zum Boykott der „unmoralischen“ Serie auf: Hier wurden Menschen seziert, filetiert und Leichenteile kunstvoll arrangiert. Weil ein Vigilant vom Schlage Batmans am Werk war, der die Batman-Gewaltgrenze („Töte niemals!“) nicht nur überschritt, sondern äußerst grausam zur jeweiligen Untat schritt, mussten die Folgen auf Premiere (heutiges Sky) durch einen PIN-Code entsperrt werden. Genau das machte jedoch den Reiz aus: Sich mit jemandem identifizieren zu müssen/wollen, der sich als Identifikationsobjekt eigentlich absolut verbot.
Und der Plan ging auf: Man bangte Episode um Episode mit dem freundlichen Dexter Morgan, der uns in sarkastischen Off-Kommentaren die Abgründe seiner Seele offenlegte. Dass es bloß keiner wagte, unseren Lieblingskiller zu erwischen.
2014 ging es für Dexter gen Untergang
2014 mussten wir uns dennoch verabschieden, als die achte und letzte Blu-Ray-Box (roter „FSK ab 18“-Aufkleber auf der Hülle) bei uns ins Regal einzog. Noch einmal führten uns die Serienmacher in eine Gesellschaft, hinter deren glatter Glücksfassade einer brutalen Zerstörungslust gefrönt wurde. Miami glitzerte, der Himmel schrie „Ich bin ja mal wieder so was von blau!“ – und in all diesem Leuchten trieb gegenläufig in finsterer Mordlaune Dexter.
Diesmal ging es in den Untergang. Ein neuer Mörder mordete sich an Dexters liebste Menschen heran, eine tödliche alte Gefährtin tauchte wieder auf, eine Therapeutin – gespielt von der großen Charlotte Rampling – erwies sich als wegweisend für den Protagonisten. Ein neues Leben schien plötzlich möglich. Mit dem Flugzeug fliehen – nach Argentinien! Dann zog die Mutter aller Stürme auf, einer der Marke „Ich bin zwei Katrinas“, und der Flughafen wurde geschlossen.
Der frühere Showrunner Clyde Phillips (ausgestiegen nach der vierten Staffel) hätte gern etwas Endgültiges gehabt, ein Hinrichtungsszenario, das an Ambrose Bierces berühmte Bürgerkriegsgeschichte „Zwischenfall an der Owl-Creel-Brücke“ erinnern sollte – der Geschichte eines Mannes, der sein Überleben nur träumte.
Der Showtime-Chefetage erschien das zu hart. Zwar sieht man Dexter mit seinem Motorboot in den Hurrikan vor Miamis Küste hineinreiten und der schwere, schwarzgraue Schlauch des Sturms scheint das ganze Meer hochzusaugen.
„Wenn es die Hölle gibt, lebe ich darin“
Aber dann hatte man noch eine Szene angehängt – ein vollbärtiger Holzfäller in Portland sah unserem Helden erstaunlich ähnlich. Sein Gesicht freilich hatte nichts Gewinnendes mehr, schien die Entsprechung eines seiner Sätze aus der allerersten Episode zu sein: „Wenn es die Hölle gibt, lebe ich darin!“
Er muss den Sturm wohl überlebt haben – denn vermutlich in diesem Herbst wird „Dexter“ für eine neunte Staffel mit zehn Episoden und angeblich zwei mit allen Wassern gewaschenen Gegenspielern zurückkehren. Besondere Freude: der großartige Clyde Phillips ist auch wieder an Bord.
Alles hat ein Ende, nur der „Dexter“ hat zwei. Oder besser: Mördermörder sterben nie!
„Dexter“, acht Staffeln, gibt es auf DVD und Blu-Ray, die acht Staffeln sind überdies streambar bei Amazon Prime Video, Joyn+, Apple I-Tunes, Tunes, Sky – ein Startdatum für die neunte Staffel gibt es noch nicht