In der Hitze der Nachbarschaft: Rassismus trifft Horror in der Serie „Them“
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Die weiße Nachbarschaft hat ihnen den Krieg erklärt: Gracie (Melody Hurd, links) und ihre Mutter Lucky (Deborah Ayorinde) in „Them“.
© Quelle: picture alliance / Everett Collection
Rassismus ist immer da. Scheinbar unbesiegbar. In Little Marvins zutiefst pessimistischer Serie „Them“ erscheint er wie eine Krankheit des Geistes, mit der sich der Mensch gegen seine Mitmenschen und damit gegen sich selbst wendet und sich seiner Möglichkeiten beraubt. Das neue schwarze Mädchen in der Klasse wird von ihren weißen Mitschülern tatsächlich mit Affengebrüll umsprungen, die Reaktion der Lehrer ist schwach, beinahe billigend. Der dumme Verstand des Rassisten weigert sich, das Einende, Gleiche zu sehen, er stürzt sich auf die Unterschiede, als würden diese trennend sein, ja als würden ihn diese bedrohen. Er demütigt, schädigt, verletzt, und tötet sogar. Eine Verneinung des Humanismus, eine Absage an das Gebot der Nächstenliebe, das beim sonntäglichen Kirchgang doch als Essenz des Christentums mit „Hallelujas“ gepriesen wird.
Wie der frühere Comedian Jordan Peele in seinen Filmen „Get Out“ und „Wir“ sowie in der Serie „Lovecraft Country“, so vereint auch Serienschöpfer Little Marvin in seiner Serie „Them“ übersinnlichen Horror mit dem Realen des Rassismus. Wie Peele kommt auch „Them“-Produzentin Lena Waithe aus dem komischen Fach, war 2017 die erste schwarze Frau, die einen Drehbuch-Emmy im Fach Comedy für die Thanksgiving-Folge der Netflix-Serie „Master of None“ bekam.
Humor in „Them“ so bitter und gallig, dass man ihn kaum bemerkt
Aber der Humor in „Them“ ist so bitter und gallig, dass man ihn kaum als solchen bemerkt. Für Little Marvin waren Klassiker die Vorbilder – die Melodramen von Douglas Sirk und die Thriller von Alfred Hitchcock. Mit deren Mitteln wollte er, so sagte er bei der Pressevorstellung von „Them“, von denen erzählen, die den Schlüssel zum amerikanischen Traum erhielten und denen, denen er von Anbeginn der amerikanischen Geschichte an verweigert wurde.
Die schwarzen Emorys hatten eine kleine Farm in North Carolina. Nach einem furchtbaren Verbrechen, das die meisten Familien zerrissen hätte, versuchen sie einen Neubeginn im Westen, ziehen 1953 nach Kalifornien, wo Vater Henry (Ashley Thomas) eine Anstellung als Ingenieur bei einem Luftfahrtunternehmen bekommt. Der Busboykott von Montgomery (Alabama) - nach der Festnahme von Rosa Parks, die sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Busabteil für Schwarze einem Weißen zu überlassen - liegt zu diesem Zeitpunkt noch zwei Jahre in der Zukunft, die Situation der Schwarzen in den USA ist vergleichbar mit der Apartheid in Südafrika.
Aber, hey, es ist Kalifornien, das gelobte Land. Etwas Besseres als die rassistischen Jim-Crow-Lande werden die Emorys überall finden, oder? Sechs Millionen Schwarze zogen zwischen 1917 und 1970 aus dem Süden in den Norden, Osten und Westen der USA, verrät uns Little Marvin im Vorspann der ersten Staffel von „Them“.
Terror gibt es bereits als Willkommensgruß
Die Emorys stoßen schon am Tag ihrer Ankunft (zehn Tage Handlungszeit hat ihre Geschichte, die Serie ist anthologisch, sprich: In der nächsten, bereits bestellten Staffel wird eine andere Story ausgebreitet) auf offene Feindseligkeit. Ein Willkommen mit Apfelkuchen oder anderen Leckereien und Einladungen – wie sonst üblich – gibt es für sie nicht. Die tonangebende Nachbarin Betty Wendell (Alison Pill), gleißend blond, mit wahrhaft milchweißer Haut, starrt dagegen mit gefletschtem Lächeln auf die gegenüber Einziehenden und mobilisiert umgehend ihre Freundinnen für den Widerstand.
Mit Radios bewaffnet postieren sich Wendells Truppen mit Tischen und Stühlen vor dem Anwesen der Emorys und lärmen diese mit sich überlappendem Doo-Wop-Getöse aus Radiogeräten zu. Noch sind nicht alle Koffer der Emorys ausgeräumt, da ist klar, dass Krieg herrscht. Die „Negroes“ oder „Nigger“ müssen raus. Weil sonst mehr von ihnen kommen. Weil sonst die Grundstückspreise verfallen. Weil sonst der Höhepunkt des amerikanischen Traums, das eigene Heim, an Wert verliert (wie es in Compton auch tatsächlich geschah – das weiß man spätestens, seit 1988 das Album „Straight Outta Compton“ der Hip-Hop-Truppe Niggaz Wit Attitude erschien).
Die Entwürdigung findet nicht nur in der Nachbarschaft statt
Aber vor allem, weil sonst die „weiße Welt“ zerfällt. Als „Geburtsrecht“ proklamiert Betty die „weiße Herrschaft“, das moderne Amerika sei schließlich von ihren Vätern und Vorvätern aufgebaut worden. Und was hätten die Schwarzen in dieser Zeit geleistet? „Nur Pförtner und Stubenmädchen“ seien sie gewesen, schäumt Betty, die mit ihrer Geschichtsvergessenheit auch die Ehemänner der Hood aufpeitscht. Wobei sich der eigene Gatte (Liam McIntyre) seltsam zurückhält. Wie sich spät in der Serie das Schicksal der negrophoben Betty erfüllt, gehört zu den bitterwitzigen, makabren Momenten des Films.
Die Entwürdigung der Emorys läuft nicht nur in der Nachbarschaft. Die Töchter Ruby und Gracie werden in ihren Klassenzimmern ebenso gedemütigt wie ihr Vater am Arbeitsplatz. Kollegen laden ihre Arbeit auf Henry ab, sein Vorgesetzter gefällt sich im steten Erwähnen der eigenen Generosität, einem „negro“ eine Chance gegeben zu haben, lässt das Damoklesschwert einer Kündigung aber bei Bedarf immer wieder über Henry schweben.
Die Serienmacher drehen an der Eskalationsschraube
Der schwarze Ingenieur ist einerseits als „Nigger, der es geschafft hat“ eine Art Einhorn des Unternehmens, aber am Ende dann doch nur eine exotische studierte Version des „boy“, des Laufburschen. Das Weiße macht das Schwarze überall hässlich, das Weiße lächelt, lauert und lyncht auch in Los Angeles. Wenn auch zunächst nur zig schwarze aufgeknüpfte Puppen am Haus der Emorys baumeln.
Little Marvin und seine Co-Autoren und -Autorinnen und Regisseure drehen beidhändig an der Eskalationsschraube. Zu anfänglichen Gehässigkeiten gesellt sich schnell Gewalt. Eine Anrufung der Behörden ist so gut wie unmöglich, eine schwarze Hausfrau, die durchdreht, weil ihr ein weißer Junge an die Bettlaken pinkelt, ist schnell ein Fall nicht nur für die Polizei, sondern auch die Irrenhausärzte mit ihren Lobotomiespießen.
Ein herausragendes Ensemble – angeführt von Deborah Ayorinde (Lucky), Ashley Thomas (Henry), Shahada Wright Joseph (Ruby) und Melody Hurd (Gracie) – spielt die Angst vor einem Hass ohne Zuflucht eindrucksvoll, macht die Enge des afroamerikanischen Lebens schon von der ersten Folge an spürbar und lässt den Betrachter das erfahren, was aktuell - nach dem Polizeiverbrechen an George Floyd in Minneapolis - auch immer wieder bei „Black Lives Matter“ zu hören war: das gefängnisartige Dasein. Man schnappt als Zuschauer förmlich nach Luft.
Bei alldem, was die Emorys an wirklichem Horror mit den Leuten in North Carolina und Kalifornien erleben, hätte es der Portion „Shining“, der Präsenz übernatürlicher Wesenheiten, eigentlich nicht bedurft. Dass der „Black Hat Man“, die hagere Tante Vera, die blonde nette Doris oder Henrys unheimlicher Begleiter, der „Tap Dance Man“, eine Art Blackface-Zwilling und Schuldfigur – doch eine Verbindung mit der eigentlichen Geschichte haben, tritt dann spät, ab der neunten Episode, zutage. Die Rolle des Teufels (oder eines teufelsnahen Dämons) bei alldem stellt den Betrachter allerdings nicht unbedingt zufrieden. Luzifer ist der große Spalter? Ehrlich?
Little Marvin will nie gesehene Bilder erzeugen
„Them“ (gemeint ist damit die jeweilige Gegenseite) ist starker Tobak. Selten wurden die USA mit soviel Inbrunst und Wut als rassistisches Land gezeichnet. In der fünften Episode wird das Verbrechen gezeigt, das in Episode eins nur angedeutet wurde, das die Emorys vor die Entscheidung stellte, unterzugehen oder neu anzufangen. Und diese Untat ist von solcher Monstrosität und Infamie, dass man sich wirklich geschehene, grausame Lynchmorde wie die des 14-jährigen Emmett Till 1955 in Mississippi in Erinnerung rufen muss, um der Serie nicht den Rücken zu kehren. Es ist eine Tat, so abscheulich und solipsistisch und bar jeder Menschlichkeit, dass sie selbst in einem Auschwitz-Drama unwirklich wirkte.
Man merkt, dass Little Marvin dem Publikum richtig Zunder geben will, dass er Bilder vom Hass erschaffen will, die sich – bislang ungesehen – im Kopf des Betrachters festsetzen. Eine Lösung des Konflikts, auch nur den Funken Hoffnung auf eine Erneuerung, Verbesserung, bietet er indes nicht an. In alle Ewigkeit werden „die anderen“ durch die Gemeinschaft „der einen“ zu leiden haben, das ist die Botschaft des Serienschöpfers, der Schwarz und Weiß am Ende durch eine magische Feuerlinie trennt.
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Rassismus ist da. Bleibt. Und so ist die Gewalt dieser Serie auch nur die Wiederholung des immerselben. Es geschieht viel und zugleich bewegt sich nichts, und die Emorys, mit denen man leidet, existieren hier scheinbar nur für ihren (aussichtslosen) Kampf gegen die Rassisten. Es gibt kein außerhalb, keine weiteren Themenfelder. Die Figuren von „Them“ sind Gefangene einer Eindimensionalität. Jordan Peeles Helden sind komplexer als die von Little Marvin, sie sind vielschichtig. Statt nur in Bezug auf die weiße Gegenseite, stehen sie für sich, Menschen in eigenem Recht. Und es bleibt einem immer der Glauben, dass sich doch etwas bewegt.
„Them“, erste Staffel, zehn Episoden, bei Amazon Prime Video, von Little Marvin, mit Deborah Ayorindem Ashley Thomas, Alison Pill, Shahadi Wright Joseph, Christopher Heyerdahl (bereits streambar)