#allesdichtmachen: Warum Liefers’ Medienbashing so gefährlich ist

Jan Josef Liefers wettert in einem Kampagnenbeitrag gegen Medienvertreter.

Jan Josef Liefers wettert in einem Kampagnenbeitrag gegen Medienvertreter.

Hannover. Die Aktion #allesdichtmachen von mehr als 50 Schauspielerinnen und Schauspielern sorgt für breite Kritik. In Youtube-Videos verspotten die Akteure die Corona-Schutzmaßnahmen und bekommen dabei viel Applaus aus der Ecke der Corona-Leugner, von denen sie sich gleichzeitig distanzieren. Mit dabei sind bekannte Schauspielgrößen wie etwa Ulrike Folkerts, Ulrich Tukur und Heike Makatsch, die sich, wie auch andere Teilnehmer inzwischen, für die Aktion entschuldigt.

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Das meistgeklickte Statement der Aktion stammt jedoch von dem bekannten „Tatort“-Schauspieler Jan Josef Liefers. Er nimmt in seinem eineinhalb minütigen Beitrag, offenbar am Küchentisch sitzend, Pressevertreter in die Mangel und kritisiert indirekt deren vermeintliche Abhängigkeit von der Regierung. Bis Freitagabend (19 Uhr) wurde das Video bereits mehr als 900.000-mal aufgerufen.

Es lohnt sich, dieses Statement einmal genauer unter die Lupe zunehmen. Denn es beinhaltet nicht nur eine erstaunlich medienfeindliche Haltung für jemanden, der seit Jahrzehnten in den Medien arbeitet. Seine Veröffentlichung könnte auch zeitlich nicht unpassender sein.

#allesdichtmachen – Wie 53 Schauspieler die Corona-Politik in Deutschland kritisieren

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Erst zwei Tage zuvor hatte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ darauf aufmerksam gemacht, dass aufgrund zunehmender Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten der Zustand der Pressefreiheit in Deutschland nur noch „zufriedenstellend“ sei; auf der Rangliste der Pressefreiheit rutschte Deutschland zwei Plätze auf Platz 13 herab.

Nun bläst ein berühmter „Tatort“-Schauspieler in genau dasselbe Horn, in das auch selbsternannte „Querdenker“ blasen, während sie auf ihren Demonstrationen Pressevertreter attackieren. Liefers selbst scheint diese Zusammenhänge weder zu erkennen noch zu akzeptieren. In einem Twitter-Statement distanziert sich der Schauspieler von der Klientel der Corona-Leugner, während sein Video aber weiterhin online ist. Die Parallelen zu den Argumenten der „Querdenker“ gebe es nicht, diese seien vielmehr in sein Statement „hinein orakelt“.

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Zeit also für ein wenig Nachhilfe. Was genau macht Lieferts Aussagen so problematisch? Eine nähere Betrachtung des Statements – und eine Einordnung.

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Vorwurf eins: „Die Medien“ sind alle gleich

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Liefers beginnt sein Youtube-Video mit einem ironischen Dank an „alle Medien unseres Landes“. Dieser Sarkasmus allein, der sich durch die gesamte Aktion der Schauspieler zieht, wäre schon fast einen eigenen Text wert: Bereits seit einigen Jahren nutzen vor allem Rechte und Verschwörungstheoretiker gerne das Stilmittel der Ironie, um die freie Gesellschaft oder ihre Pfeiler zu diskreditieren. Der einst von Merkel in der Flüchtlingskrise verwendete Satz „wir schaffen das“, der gerne sarkastisch unter allen erdenklichen Facebook-Beiträgen gepostet wird, ist so ein Beispiel.

Deutlich kritischer jedoch ist Liefers Formulierung „alle Medien unseres Landes“. Gemeint sind wahrscheinlich nicht „alle Medien“, sondern einige Medien, und zwar diejenigen, die in ihren Beiträgen nicht Liefers Ansicht vertreten. Doch so formuliert Liefers das nicht. Er formuliert seinen Satz so, als wären „die Medien“ eine Art geschlossene Institution, ein miteinander verbundenes Konsortium von Medienvertretern, die sowieso alle dasselbe schreiben, und zwar am liebsten das, was die Regierung ihnen sagt.

Die Vielfalt der Medien, die in Deutschland aus dem gesamten politischen Spektrum von ganz links bis stark konservativ besteht, wird dabei komplett unter den Teppich gekehrt. Als stünden in der „taz“ und in der „Welt“ auch nur annähernd dieselben Texte. Der gedankliche Sprung zur angeblich „gleichgeschalteten Presse“, die häufig von Rechtsextremen propagiert wird, wird hier entweder leichtsinnig oder ganz absichtlich in Kauf genommen.

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Vorwurf zwei: „Die Medien“ verbreiten unbegründete Panik

Weiter sagt Liefers: „Danke an alle Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz ganz oben.“ Der Satz ist schwammig und krumm, entweder absichtlich, oder weil man ihn nicht besser texten konnte. Der Alarm ist oben? Was soll das überhaupt bedeuten?

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Wahrscheinlich folgendes: „Die Medien“ seien nicht nur haltungslos, sie verbreiten nach Ansicht des Schauspielers auch unbegründete Panik. Um nicht zu sagen: Die ganze Corona-Sache wird seiner Ansicht nach viel zu heiß gekocht.

Tatsächlich ist es so, dass es der Job „der Medien“ ist, über die Lage in der Welt zu berichten, auch wenn sie schlimm ist. Und insbesondere in Bezug auf Corona ist eine gewisse Panik durchaus angebracht – etwa wenn man sich aktuelle Bilder aus Indien anschaut. Hier sterben Menschen noch bevor sie überhaupt im Krankenhaus aufgenommen werden können an Covid-19 auf der Straße.

Falsch ist aber der Vorwurf, Deutschlands Medienlandschaft setze ausschließlich auf Alarmismus: In den vergangenen 13 Monaten sind unzählige Beiträge in Tageszeitungen, auf Onlineportalen und in Rundfunkprogrammen erscheinen, die überaus konstruktive Ansätze für den Umgang mit der Pandemie liefern, etwa hier, hier und hier. Es gibt sogar Medien, die sich einzig und allein auf genau das spezialisiert haben, etwa das Onlinemagazin für sogenannten „Constructive Journalism“ „Perspective Daily“.

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Vorwurf drei: „Die Medien“ verfolgen einen Plan

Des Weiteren wirft Liefers „den Medien“ vor, einen „kritischen Disput“ zu verhindern, der „von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung ablenken“ würde.

Allein das Wort „ablenken“ suggeriert, die Medien verfolgten irgendeinen Plan – genauer gesagt einen, der ihnen von der Regierung auferlegt wurde. Ein uralter Verschwörungsmythos, der – Überraschung – ebenfalls häufig von Rechten und Corona-Leugnern verbreitet wird.

Wenn dem tatsächlich so wäre, dann wären die unzähligen Meinungsbeiträge, die sich seit Beginn der Pandemie kritisch mit den Maßnahmen der Regierung beschäftigen (wie etwa hier, hier, hier, oder hier) doch längst vom Netz genommen worden, oder etwa nicht?

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Vorwurf vier: „Die Medien“ unterdrücken Meinungen abseits des Mainstream

Liefers ist zudem der Ansicht, Medien würden Wissenschaftler mit Ansichten, die von denen der Regierung abweichen, absichtlich nicht zu Wort kommen lassen und deren Meinungen unterdrücken. In seinem Video klingt das, ebenfalls sehr sarkastisch, so: „Verantwortungslosen, menschenverachtenden Ärzten und Wissenschaftlern, die zu anderen Schlüsse kommen, als die beratenden Experten unserer Regierung und die sich mit Professuren an weltberühmten Universitäten und Nobelpreisen schmücken, ich möchte sagen tarnen, dürfen wir keine Bühne geben. Schließlich wissen nur ganz wenige Spezialisten, was wirklich gut für uns ist.“

Erst im März hatte das ZDF dem Virologen Hendrik Streeck eine ganze Abendsendung gewidmet, die dieser sogar moderieren durfte. Streeck ist keineswegs als Experte bekannt, der die Linie der Bundesregierung vertritt, im Gegenteil: Immer wieder plädierte der Virologe in der Vergangenheit für Lockerungen, verzettelte sich dabei häufig in seinen eigenen Prognosen.

In Talkshows und Fernsehsendungen wurde Streeck trotzdem nicht seltener eingeladen, Zeitungen und Onlinemedien führen weiter Interviews mit ihm. Welche Forscher mit „Nobelpreisen“ Liefers meint, lässt er offen.

Vorwurf fünf: „Die Medien“ berichten nur auf Regierungslinie

„In letzter Zeit“, so Liefers, habe er aber das Gefühl, dass „einige Zeitungen damit beginnen, alte überwunden geglaubte Vorstellungen von kritischem Journalismus wieder aufleben zu lassen. Dagegen müssen wir uns wehren. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir sollten einfach nur allem zustimmen und tun, was man uns sagt. Nur so kommen wir gut durch die Pandemie. Bleiben Sie gesund, verzweifeln sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht.“

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Über diesen Vorwurf lässt sich zumindest diskutieren: Gerade zu Beginn der Pandemie bewegten sich viele Beiträge in privaten aber auch öffentlich-rechtlichen Medien durchaus auf Regierungslinie. Sogar Fernsehsender warben in Einblendungen oder Werbekampagnen mit von der Regierung vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen, konkret etwa: „Wir bleiben zu Hause“.

Zu diesem Zeitpunkt allerdings war die Pandemie für alle Beteiligten eine neue Situation und die Erkenntnisse über das Virus sehr gering. Es gab praktisch keine Alternative zum harten Lockdown. Das allerdings ist inzwischen 13 Monate her, und die Zeiten haben sich geändert, wie unzählige kritische Medienbeiträge zeigen.

Warum Liefers‘ Statement so gefährlich ist

Liefers‘ Statement ist deshalb so problematisch, weil es selbst ernannten „Querdenkern“ neues Futter liefert. Sie haben ihr Misstrauen gegenüber Medienvertretern nun nicht nur in der Telegram-Gruppe von Attila Hildmann bestätigt bekommen, sondern auch von einem bekannten „Tatort“-Darsteller, den sie Sonntagsabends in den „Mainstreammedien“ sehen. Ob Liefers das gewollt hat oder nicht, ist unerheblich.

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Die Auswirkungen derartiger Attacken dürften jetzt schon klar sein: Worte führen zu Taten, und auf der nächsten Corona-Demonstration werden wieder Dutzende Medienvertreter eingeschüchtert und attackiert werden. Je mehr Rückendeckung sie bekommen, desto mutiger werden sie.

Ein Schlag ins Gesicht ist ein derartiges Statement aber auch für diejenigen, die sich eine so freie Presselandschaft wie die unsere sicherlich wünschen würden. Zu nennen wären da etwa direkte EU-Nachbarn wie Polen, wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der Regierung komplett unter Kontrolle gebracht wurde und private Medien massiv unter Druck gesetzt werden. Schlimmer noch ist die Lage in Ungarn.

In Slowenien sollte Medien die staatliche Finanzierung entzogen werden, wenn sie der Regierungslinie nicht folgten. Albaniens Regierung übernahm die Kontrolle über zwei unabhängige Fernsehsender. Wenn Jan Josef Liefers sehen möchte, wie regierungstreue Medienarbeit tatsächlich aussieht – bitteschön, das waren ein paar Beispiele.

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