Angst um afghanische Kollegen: Wie ARD, ZDF und Co. aus Kabul berichten
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Schwer bewaffnete Talibankämpfer patrouillieren nach ihrer Machtübernahme mit wehender Fahne des Islamischen Emirats Afghanistan durch Kabul.
© Quelle: Rahmat Gul/AP/dpa
Leipzig/Mainz. Die Berichterstattung aus dem Krisengebiet Afghanistan stellt die deutschen TV-Sender nach der Machtübernahme der Taliban vor enorme Herausforderungen. „Wir müssen uns derzeit täglich neu auf die Lage einstellen“, sagt MDR-Sprecher Michael Naumann auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschlands (RND). Der MDR ist für die Fernsehberichterstattung des ARD-Studios Neu-Delhi zuständig – von hier aus wird die Berichterstattung aus Afghanistan koordiniert.
Das Studio Neu-Delhi ist zur Zeit mit vier Korrespondentinnen und Korrespondenten besetzt. Sie werden von weiteren Produktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern unterstützt. Die Berichterstattung aus Afghanistan selbst allerdings übernehmen sogenannte Producerinnen und Producer, die Bilder und Informationen direkt aus Kabul liefern und mit denen man bereits seit Jahren zusammenarbeite. Sie übernehmen Recherchen, drehen Videobeiträge und halten die Redaktion rund um die Uhr auf dem Laufenden.
Die Arbeit dieser Producerinnen und Producer sei unter den aktuellen Bedingungen aber enorm heikel. Es gebe „massive Einschränkungen in der Berichterstattung“, wie Naumann sagt. Die aktuelle Gefährdungslage der Kolleginnen und Kollegen vor Ort werde genau im Blick behalten.
Arbeit und Todesangst
Unter welcher Lebensgefahr Journalistinnen und Journalisten vor Ort arbeiten, ist in einem aktuellen Beitrag des NDR-Medienmagazins „Zapp“ zu sehen. Die Redaktion führt darin ein Interview mit einem Mann, den sie Amir nennt – unter schwierigsten Bedingungen. „Irgendjemand draußen am Fenster könnte hören, wie ich hier ein Interview auf Englisch gebe, das wäre ein großes Problem“, sagt der Mann.
Amir habe jahrelang als Journalist gearbeitet, in einem Mediencenter in Masar-i-Scharif – unterstützt und aufgebaut von der Bundeswehr. Jahrelang habe er deutschen Medien zugearbeitet. Doch jetzt, da die Islamisten die Kontrolle über das Land übernommen haben, fühle er sich „total im Stich gelassen“. Es kursieren Gerüchte, dass die Taliban von Haus zu Haus gehen und Menschen, die für den Westen gearbeitet haben, festnehmen oder gar umbringen.
Am Wochenende hatten zahlreiche Medien einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und das Auswärtige Amt verfasst – einen Hilferuf, um Journalistinnen und Journalisten vor Ort ausfliegen zu lassen. Ähnliche Aufrufe gab es auch in anderen Ländern, etwa Großbritannien.
ARD und ZDF haben keine eigenen Mitarbeiter vor Ort
Seit Anfang der Woche setzten Medienhäuser ihre afghanischen Journalistinnen und Journalisten auf Listen, damit diese von der Bundeswehr evakuiert werden und nach Deutschland kommen können. Auch ARD und ZDF tun das, obwohl sie sich an dem offenen Brief nicht beteiligt hatten. Sie wollen sich unabhängig von der Initiative um ihre Kolleginnen und Kollegen kümmern.
Eigene ARD-Mitarbeiter seien aktuell nicht vor Ort in Afghanistan. „Es gibt natürlich fortlaufende Überlegungen, wie man die Berichterstattung von vor Ort organisieren kann. Wir müssen uns derzeit täglich neu auf die Lage einstellen. Über all diesen Gedanken stehen die Abwägungen zur Gefährdungslage, die Sicherheit unserer Mitarbeitenden hat oberste Priorität“, sagt Naumann.
Auch das ZDF hat aktuell keine eigenen Mitarbeiter im Krisengebiet – das ZDF-Studio in Istanbul allerdings unterstütze die Recherchen der Kolleginnen und Kollegen in Berlin und Mainz, erklärt Sprecher Thomas Stange.
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Afghaninnen im Land und im Exil warnen vor den Taliban. In den vergangenen Tagen hatten sich die neuen Machthaber in Kabul verdächtig milde gegeben.
© Quelle: Reuters
Rettung von Journalisten „zur Chefsache“ erklärt
„Wir nutzen auch Fotos und Videos aus den digitalen Netzwerken, sofern wir ihre Authentizität verifizieren können. Dabei helfen die Expertise und die Kontakte der ZDF-Kolleginnen und -Kollegen, die schon häufiger in Afghanistan im Einsatz waren“, heißt es weiter vom ZDF.
Aber auch für das ZDF sind afghanische Kollegen im Einsatz. Im „Zapp“-Beitrag kommt ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf zu Wort. Nur mit der Hilfe eines afghanischen Journalisten habe man überhaupt vom Vormarsch der Taliban berichten können, sagt sie. Das ZDF habe die Rettung des Mannes inzwischen zur Chefsache erklärt.
Andere deutsche Nachrichtensender, etwa die Privaten N-TV und Welt, setzen in Liveschalten vor allem Journalistinnen und Journalisten ein, die sich in Nachbarländern aufhalten. Bei Welt beispielsweise ordnet Korrespondent Christoph Wanner die Lage aus Taschkent ein, der Hauptstadt von Usbekistan. N-TV spricht derweil mit dem freien Journalisten Franz Marty, der sich noch immer in Afghanistan befindet.
CNN ist noch vor Ort
Eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nur noch die allerwenigsten Sender vor Ort, etwa der US-amerikanische Nachrichtenkanal CNN. Hier berichtet nahezu rund um die Uhr die Reporterin Clarissa Ward in Liveschalten und Beiträgen über die Situation in Kabul – sogar Interviews mit Talibankämpfern gehören dazu. Seit einigen Tagen bekommt Ward Unterstützung von einem zweiten Team rund um den Journalisten Nick Paton Walsh.
Ein Job unter lebensbedrohlichen Bedingungen. Aktuell würden insbesondere ausländische Journalistinnen und Journalisten vor Ort zwar geduldet, erklärt Tommy Evans, Vice President International Newsgathering bei CNN, dem RND. Man behalte die Situation aber aufmerksam im Auge.
Gefahr für die Reporterinnen und Reporter gehe aber nicht nur von den Taliban aus: „In Momenten des Übergangs wie diesem gibt es immer Menschen, die die Situation ausnutzen wollen, und jedes Machtvakuum kann die Dinge gefährlich machen. Wir wissen auch nicht, wer neben den Taliban in die Stadt eindringt. Es gibt zum Beispiel noch ISIS- und Al-Kaida-Elemente in Afghanistan“, sagt Evans.