50 Jahre „Polizeiruf 110“: Jetzt saufen sie wieder!
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Am 27. Juni 1971 flimmerte der erste „Polizeiruf 110“ über die Bildschirme. Die Krimireihe hat eine bewegte Geschichte mit zwei Staaten, etwa 50 Ermittlerinnen und Ermittlern und fast 400 Filmen. Hier im Bild: Charly Hübner als Hauptkommissar Alexander Bukow und Anneke Kim Sarnau als Profilerin Katrin König beim Dreh.
© Quelle: Bernd Wüstneck/dpa
Jetzt saufen sie wieder! Klar. Und wetten, gleich zieht eine vor der Kamera blank? Im Jubiläumsfilm des „Polizeiruf 110″ hat es immerhin mehr als eine Stunde gedauert, bis der Hallenser Neukommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) nach ordentlicher Druckbetankung mit seiner neuen Bekanntschaft in der Kiste gelandet ist. Typisch Ossi! Typisch Ossi?
So manche Klischees scheinen nie vergessen. Immerhin ist es knapp drei Jahrzehnte her, als mir in Hannover ein Kollege flüsternd verraten hat, dass er so gern den „Polizeiruf“ schaut, weil da immer ein paar Nackte zu sehen sind. Die Zonenbräute sollen ja so unkompliziert sein – zwinker-zwinker. Aha? Das kann doch nicht wahr sein. Diese Halle-Milieustudie in traurigem Grau war unterste Schublade. Unsanierter Altbau, flackerndes Hauslicht, Ostmucke im Rekorder.
„Polizeiruf“-Jubiläumsfolge mit Anspielungen
Der „Polizeiruf“ feiert seinen 50. – und die meisten Kritiker loben die Jubiläumsausgabe aus Halle mit den Neukommissaren Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider), verweisen auf clever versteckte Anspielungen, auf Charakterporträts. Doch leider bleibt der Neustart in Halle ein Panoptikum von Wendeverlierern, bei deren Auftritten es um oberflächliche Belustigung geht, ohne wirkliches Interesse an diesem „einfachen“ Milieu. Schade um die brillante Besetzung.
Unabhängig von der jüngsten Folge: Die Frage, ob der „Polizeiruf 110″ der bessere „Tatort“ ist, stellt sich für mich nicht. Die Stärke beider Formate zeigt sich, wenn der Fall geschickt in die jeweilige Region eingebunden wird. Wenn es nicht nur um ein Verbrechen geht, sondern um das Miteinander – am Ende darum, wie Gesellschaft funktioniert.
Ermittlerteams entscheidend fürs Einschalten
Und egal ob „Tatort“ oder „Polizeiruf“: Ob am Sonntagabend einschaltet wird, hängt nicht nur für mich davon ab, welches Ermittlerteam auf Spurensuche geht. Hier teilt sich die Krimifangemeinde: Die einen schimpfen über alt eingespielte Herrenpaare, die anderen bejubeln jeden professoralen Witz über Kleinwüchsige. Die einen fiebern mit dem Cowboy-Cup aus dem Norden mit, die anderen fühlen sich vom deutsch-polnischen Team gelangweilt. Wer Til Schweiger nicht mag, wird auch keinen seiner „Tatort“-Auftritte mögen. Wer Nora Tschirner gern sieht, verzeiht dem Weimarer „Tatort“ auch mal eine schlechte Story. Oder andersherum.
Natürlich ist der „Polizeiruf“ vor 50 Jahren angetreten, der bessere „Tatort“ zu sein. Der Motor war der Wettbewerbsgedanke: Schließlich war es die erklärte Aufgabe des DDR-Fernsehens, den real existierenden Sozialismus als die erstrebenswertere Gesellschaftsform zu präsentieren. Es war der Gegenentwurf zum damals noch jungen „Tatort“ des „kapitalistisch brutalisierten Westens“. Der „Polizeiruf“ drehte es sich deshalb kaum um Kapitalverbrechen, sondern mehr um kleine Delikte und Konflikte des Alltags. Nicht immer einfach, dieser Widerspruch: Wo doch das System keinen Boden für Mord und Totschlag bieten durfte, wurde oft verbissen wegen geringfügiger Vergehen ermittelt.
Kommissare ganz bei der Sache - keine privaten Sorgen
Keine rivalisierenden Banden, keine wilden Schießereien, keine endlosen Verfolgungsjagden. Das Fokussieren auf Diebstahl und Betrug, Alkoholmissbrauch und Sexualdelikte machte den „Polizeiruf“ auch glaubwürdig. Unter der Decke des Krimis konnten so einige reale Widersprüche thematisiert werden. Dabei blieben die Kommissare bei der Sache – mit privaten Sorgen oder psychischen Problemen konfrontierte man die Zuschauer nicht.
Bis zum Ende der DDR wurden fast 150 Filme für die Reihe gedreht, die meisten auch ausgestrahlt, bei manchen aber kurzerhand noch Szenen herausgeschnitten. Im „Polizeiruf 110: Zwei Schwestern“ suchte der ermittelnde Leutnant verzweifelt Fahrradventile, die es aber nirgends zu kaufen gab. Diese Sätze fielen der Zensur zum Opfer – schließlich sollte die DDR-Bevölkerung nicht auf Engpässe hingewiesen werden.
Einen Schritt voraus war der „Polizeiruf“ dem „Tatort“ allerdings bereits beim Start: Schon in der ersten Folge ging mit Vera Arndt eine Frau auf Verbrecherjagd, im „Tatort“ ermittelten die ersten Jahre nur Männer.
Nicht die altbekannten Städte
Und heute? Mittlerweile hat der einstige Ost-Klassiker sich zu Recht einen gesamtdeutschen Anspruch auf den Sonntagssendeplatz erspielt. Während der „Tatort“ zumeist in den großen und bekannten überwiegend (west-)deutschen Städten gedreht wird, setzt der „Polizeiruf“ – mit Ausnahme von München – mit Magdeburg, Rostock, Halle und Brandenburg auch Orte und Regionen in Szene, die medial vielen Zuschauern eher unbekannt sind. Ein bisschen Heimatkunde in zumeist beeindruckender Bildsprache und mit großartiger Besetzung: Das kann nie schaden.
Bei einem Thema ist der „Tatort“ dann aber doch eindeutig besser als der „Polizeiruf“: beim Vorspann. Dieser „Fall“ muss – trotz mehrfacher Erneuerungsversuche – dringend noch mal auf die Agenda.