Peter Kloeppel berichtete live während 9/11: „Ich musste meine Fassungslosigkeit in Worte fassen“

Peter Kloeppel moderierte am 11. September 2001 bei RTL.

Peter Kloeppel moderierte am 11. September 2001 bei RTL.

Als es vor 20 Jahren am 11. September 2001 zu den Terroranschlägen in den USA kam, war RTL-Moderator Peter Kloeppel (62) zufällig gerade im Kölner Studio vor Ort. Die Redaktion musste spontan auf die Ereignisse reagieren – und Kloeppel berichtete dann mehr als sieben Stunden über das Geschehen vor Ort. Auch heute kann sich der Journalist noch gut an diese Momente erinnern und berichtet im RND-Interview davon.

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Herr Kloeppel, die Anschläge auf das World Trade Center jähren sich in diesem Jahr zum 20. Mal. Sie haben damals mehr als sieben Stunden über die Geschehnisse vor Ort berichtet – können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie selbst davon erfahren haben?

Peter Kloeppel: Da muss ich etwas ausholen: Ich bin an dem Tag morgens ums sechs Uhr aus Bangkok zurückgekommen, wo ich für einen Dreh gewesen bin. Ich bin nach Hause gefahren und wollte eigentlich noch etwas schlafen. Da das aber nicht funktioniert hat, bin ich irgendwann in die Redaktion gefahren. So um zehn Minuten vor 3 Uhr waren unsere üblichen Konferenzen durch und ich habe angefangen, die Moderationen zu schreiben, als plötzlich eine Kollegin rief: „Schalt mal CNN ein! Was sind denn das für Bilder?“ Wir sahen dann dieses erste Bild von dem nördlichen Turm des World Trade Centers, aus dem Rauch herausquoll. Wir haben uns das zwei Minuten ungläubig angeguckt und dann sehr schnell entschieden, so schnell wie möglich ein paar Minuten aus dem Studio zu senden.

Wie schnell ließ sich das umsetzen?

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Ich musste zuerst in die Maske, das geht bei mir aber relativ schnell. Noch während ich abgepudert wurde, sah ich, wie das zweite Flugzeug in den Turm reinflog. Für mich war dann sofort klar: Wir haben es mit einem Anschlag zu tun und müssen so schnell wie möglich auf Sendung. Ich habe dann nur noch Papier und einen Stadtplan von New York geholt und bin ins Studio gerannt.

Was ging Ihnen in dem Moment durch den Kopf?

Angst hatte ich nicht. Es war Unglaube und gleichzeitig das Realisieren von: Das ist wirklich passiert, ich habe das gesehen. In dem Moment ist bei mir der professionelle Reflex eingetreten: Ich muss jetzt schon so schnell wie möglich auf Sendung und vermitteln, was da in New York passiert. Mir war die Dimension des Ganzen sofort klar.

Peter Kloeppel im Videointerview: So berichtete er damals über 9/11

RTL-Anchorman Peter Kloeppel über den 11. September 2001

Peter Kloeppel berichtete am 11.9.2001 sieben Stunden live für RTL. 20 Jahre danach spricht er über den wohl außergewöhnlichsten Arbeitstag seines Lebens.

Wie ungewöhnlich war es damals für RTL, das Nachmittagsprogramm einfach zu kippen?

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Es gab schon vorher Katastrophen, für die wir das Programm unterbrochen haben. Aber nicht unbedingt in dieser Geschwindigkeit. Beim Zugunglück von Eschede zum Beispiel haben wir auch schnell reagiert, aber da das am späten Vormittag passiert ist, lief das dann auch in unser Mittagsmagazin rein. Die Entscheidung der Programmchefs, einfach weiterzusenden und nicht mehr ins normale Programm zurück zu gehen, war in dieser Form einzigartig, das gab es davor noch nie.

Sie sind damals auf Sendung gegangen, ohne sich groß auf eine siebenstündige Moderation vorbereiten zu können. Woher hatten Sie die ganzen Informationen?

Normalerweise würde in so einer Situation ein Teleprompter helfen, wir hatten aber zu dem Zeitpunkt niemanden, der ihn befüllen konnte. Das ist eigentlich auch den ganzen Tag so geblieben. Ich hatte vor mir zwei Bildschirme, auf denen ich CNN und andere amerikanische Sender sehen konnte. Die Redaktion wollte mir erst mal bildliche Information liefern, solange es ansonsten wenig Informationen gab. Ich hatte auch einen Computer neben mir, der mir aber nicht viel geholfen hat, da auch die Nachrichtenagenturen wie dpa zu dem Zeitpunkt, als wir live gegangen sind, nur ein paar Zeilen hatten. Damit konnte ich keine Sendung füllen. Deshalb ich einfach angefangen, aus meinem eigenen Wissen zu schöpfen. Ich habe alles erzählt, was ich über New York, über das World Trade Center, Rettungsmaßnahmen in solchen Katastrophenfällen und Terrorismus weiß. Da haben mir das viele Arbeiten in New York und Washington und meine Ortskenntnis schon sehr geholfen. Nach und nach hat man mir dann auch Informationen geliefert, zum Beispiel über den Ohrstecker. Aber in der ersten Stunde war ich vor allem auf mich allein gestellt.

Sie hatten da wirklich erstaunlich viele Details parat.

Ich weiß auch nicht, warum ich das alles abgespeichert habe. Aber das WTC fand ich immer faszinierend, es ist das höchste Gebäude in New York. Wir sind da, als wir unser Büro in NY aufgemacht haben, mal mit den Kollegen zum Essen hochgefahren, ich bin selber ein paar Mal auf der Besucherterrasse gewesen. Ich habe dann so Erinnerungsschubladen aufgezogen und einfach davon erzählt.

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Da es eine vergleichbare Situation vorher nicht gegeben hatte, wusste man ja nie, was die Live-Bilder als Nächstes zeigen. Gab es einen Plan, wann man nicht mehr draufhalten würde?

Wir als Sender hatten selber keine Kamera vor Ort, sondern waren auf die Bilder der amerikanischen Networks angewiesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir ein- oder zweimal Bilder gezeigt haben, wie Menschen aus den hohen Etagen in den Tod stürzen. Es wurde dann aber sehr schnell in der Regie entschieden, dass wir das nicht mehr zeigen werden. Aber ich gebe zu: Für so was gab es zu dem Zeitpunkt kein Handbuch, darauf waren wir nicht vorbereitet. Da gab es nur das journalistische Selbstverständnis, dass wir Menschen nicht im Moment ihres Sterbens zeigen.

Man hat Ihnen bei Ihrer Moderation keine Emotionen anmerken können. Können Sie heute sagen, wie Sie damals gefühlt haben?

Natürlich war auch ich fassungslos. Aber ich durfte nicht sprachlos sein. Ich musste meine Fassungslosigkeit trotzdem in Worte fassen und ich erinnere mich, dass es Momente gab, in denen das schwer war. Gerade der Moment, als wir mit Rolf Schmidt-Holtz, dem damaligen Chef von Bertelsmann in New York, ein Interview geführt haben, der in seinem Büro am Times Square stand und der von da aus bis zur Südspitze gucken konnte und sah, wie der erste Turm in sich zusammenstürzt ist und das auch kommentiert hat. In dem Moment war auch ich sprachlos. Das war einfach etwas, was man sich wirklich nicht vorstellen kann. Und als dann ein paar Minuten später der zweite Turm auch noch in sich zusammengestürzt ist, war das noch unvorstellbarer, dass diese beiden Gebäude in Trümmern liegen und zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch Tausende Menschen in den Gebäuden gewesen sind. Das war einer der Hauptmomente, in denen ich dachte: Ich weiß nicht mehr, wie ich weitermachen soll.

Wie ging es dann trotzdem weiter?

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Es war schon eine Hilfe, dass ich jemanden wie Rolf Schmidt-Holtz dabeihatte, der, genauso wie ich, um Worte rang und gleichzeitig aber auch verstand, dass wir beide jetzt beschreiben müssen, was da passiert. Ich stellte mir dann immer die Frage: Was kommt als Nächstes? Wenn die in der Lage sind, zwei Türme mit einem Verkehrsflugzeug anzugreifen, ein Flugzeug auch noch in das Pentagon stürzt und ein viertes noch woanders abstürzt – da hatte ich immer im Hinterkopf: Passiert so was vielleicht auch in Deutschland? Ist vielleicht gerade schon ein Flugzeug unterwegs und stürzt als Nächstes auf den Reichstag? Oder aufs Kanzleramt? Um mich persönlich hatte ich keine Angst, aber man musste sich schon die Frage stellen, ob andere Nationen ein Ziel sind. Das hat sehr tief in mir drinnen gearbeitet und hat mich auch immer wieder umgetrieben mit der Frage: Wie können wir hier die nächsten Stunden überstehen? Ist es jetzt vorbei? Oder wird es noch schlimmer? Da war natürlich eine Angst, die ich in mir drin hatte, die ich aber natürlich nicht transportieren konnte. Ich konnte ja nicht sagen: Geht alle in den Keller, um euch zu schützen.

Sie hatten ja selbst länger auch in New York gearbeitet. Hatten Sie Sorge, dass Sie eins der Opfer kennen könnten?

Das wollte ich gar nicht an mich ranlassen. Ich war mir relativ sicher, dass das nicht der Fall sein wird. Aber klar, man kann das nicht ausschließen. Ein Kameramann aus unserem Büro war zum Beispiel in einem Gebäude neben dem WTC gewesen, als dieses zusammenbrach, den hätte es auch treffen können. Zum Glück haben wir sehr schnell gehört, dass alle Kollegen in Sicherheit waren.

Mal ganz praktisch gefragt: Wenn man sieben Stunden nahezu am Stück live moderiert – gab es überhaupt mal Möglichkeiten, zwischendurch was zu essen oder auf Toilette zu gehen?

Richtige Unterbrechungen gab es kaum, die Werbepausen haben wir sehr schnell abgeschafft. Aber wenn Mazen, also vertonte Beiträge, laufen, dann bin ich nicht zu hören, dann konnte ich also der Regie sagen: „Kann mir jemand ein Wasser holen?“. Das war aber erst nach drei, vier Stunden das erste Mal. Und das erste Mal raus aus dem Studio konnte ich erst gegen 20 Uhr, also nach fünf Stunden.

Wann hat man denn eigentlich entschieden: Wir beenden jetzt die Live-Sendung?

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Wir haben um 22.30 Uhr aufgehört, weil wir ein Championsleague-Spiel übertragen haben. Da hat man dann entschieden, dass wir die vertraglichen Verpflichtungen trotz Nachrichtenlage einhalten. Aber klar war: Wenn das Spiel zu Ende ist, geht es direkt weiter mit der Berichterstattung. Das war dann aber nicht mehr meine Sendung, da hat dann Ilka Eßmüller mit dem Nachtjournal übernommen. Ich selbst war dann am nächsten Morgen wieder um elf Uhr im Büro, das ging dann wieder bis spät in den Abend. Der zweite Tag war eigentlich noch länger und ebenfalls extrem anstrengend.

Was haben Sie denn direkt nach Feierabend als Erstes gemacht? Konnten Sie überhaupt abschalten?

Nach der Live-Sendung haben wir noch besprochen, wie uns das Thema am nächsten Tag weiter beschäftigen wird. Wir haben überlegt, wo unsere Korrespondenten hinmüssen oder zu wem wir noch eine Schalte machen können. Gegen Mitternacht war ich dann zu Hause und habe da nur noch kurz mit meiner Frau gesprochen, bevor ich ins Bett gegangen bin. Mir war klar, dass der nächste Tag auch anstrengend wird und ich fit sein muss.

Um 9/11 ranken sich auch 20 Jahre danach immer noch viele Verschwörungstheorien. Was denken Sie darüber?

Ich musste nie nach Erklärungen suchen, ich habe ja gesehen, was da passiert ist. Zwar nicht vor Ort, aber es gab so viele Belege für das, was dort passiert ist. Deshalb habe ich nicht eine Sekunde daran gezweifelt, was da passiert ist. Natürlich habe ich auch diese Theorien gehört über FBI und CIA, aber ich halte das bis zum heutigen Tag für völligen Humbug. Ich habe ein paar Jahre später eine Doku gemacht, für die wir mit Menschen darüber gesprochen haben, die sich mit der Aufklärung des Falls beschäftigt haben. Ich war zum Beispiel mit dem Fluglehrer, der einen der Terrorpiloten ausgebildet hat, unterwegs. Der hat mir damals auch erklärt, was er ihm beigebracht hat – also normales Fliegen, wie man das bei einer einmotorigen Maschine kennt. Alle diese wilden Spekulationen einer wie auch immer gearteten Verschwörung der Amerikaner gegen das eigene Volk sind, waren und bleiben Unsinn.

Sie kennen Amerika vor 9/11, Sie kennen das Land danach. Als Sie das erste Mal wieder in New York waren, was haben Sie für Veränderungen festgestellt?

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Das erste Mal war ich ein halbes Jahr nach den Anschlägen in New York. Ich habe mich sehr schwer damit getan, an den Ground Zero zu gehen. Ich bin mit der U-Bahn Richtung Süden gefahren und sehr früh ausgestiegen, um dann zu Fuß die letzten drei Kilometer zu gehen. Ich wollte mich rantasten an diesen Ort, weil ich ja wusste, dass das für mich auch emotional schwierig ist. Natürlich hat es nicht nur die Stadt verändert, sondern auch die Menschen. Die New Yorker haben diesen Spirit gezeigt: Wir bauen das wieder auf, wir bekommen das wieder hin, wir werden versuchen, diese Wunden heilen zu lassen. Auch wenn wir wissen, dass die Narben bleiben. Es hat die Amerikaner zutiefst erschüttert und zu der Frage geführt: Wie schnell kann all das, was wir hier aufgebaut haben, zerstört werden? Wie groß ist der Hass auf unser Land? Auf unsere Werte? Auf das politische System? Man fragte sich schon, wie man nach diesem Ereignis weiter zusammenleben kann – also nicht nur in den USA, sondern auf dieser Welt.

Hat es möglicherweise auch eine Verletzbarkeit aufgezeigt?

Definitiv. Dieses Gefühl hatte man in Amerika so lange nicht. Es war schließlich das erste Mal, dass es einen so großen Angriff auf das Festland gegeben hatte. 9/11 zeigte, wie verletzlich dieses Land ist und wie naiv man vielleicht auch mit den Bedrohungen umgegangen ist, die da ja schon bekannt waren und die man vielleicht auch vernachlässigt hatte. All das hat die amerikanische Politik in den folgenden Jahren geprägt und bis zum heutigen Tag ist für alle, die den Tag erlebt haben, auch weiterhin der traumatischste Tag überhaupt in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Wenn Sie in New York sind, gehört dann auch heute ein Besuch am Ground Zero noch dazu?

Ich bin schon öfter noch da gewesen, das letzte Mal, als der neue Turm und die Gedenkstätte fertiggestellt wurden. Ich bin dann mit meiner Frau auch in das Museum gegangen, das hat mich sehr mitgenommen. Natürlich geht man da durch und es wird einem noch mal vor Augen geführt, was da passiert ist. Viele Jahre war dort am Ground Zero ein Loch, das nun wieder gefüllt ist. Aber wir wissen auch, dass es nie wieder so sein wird, wie es mal war. Und auch, wenn das jetzt vielleicht etwas pathetisch klingt: Die ganze Welt ist eben nicht mehr so, wie sie mal war, vor 9/11.

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Was haben Sie journalistisch gesehen aus der Berichterstattung rund um 9/11 gelernt?

Wir haben uns danach sehr intensiv mit den Fragen beschäftigt: Was war angemessen und was war vielleicht nicht so gut? Was können wir besser machen? Wir haben dann festgestellt, dass wir an vielen Ecken ganz ordentlich reagiert haben, auch bei der Frage, welche Bilder wir zeigen. Wir würden auch künftig bei so einer Nachrichtenlage früh auf Sendung gehen und auch lange drauf bleiben. Heute kämen wir ja viel schneller an Bilder und Video, weil jeder sein Handy dabeihat. Unsere Reporter können mit einem Gerät so schnell von vor Ort berichten, wie es vor 20 Jahren gar nicht möglich war. Aber auch da müssen wir uns die Frage heute stellen: Wie nah wollen wir ran, wie nah müssen wir ran? Wo wollen wir bewusst Abstand halten? Und wo müssen wir uns in der Einschätzung einer diffusen Lage zurückhalten? Zum Beispiel bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, wo man schnell wusste, was passiert, und gleichzeitig beim Olympischen Einkaufszentrum, wo nicht so schnell klar war, was passiert ist. In beiden Fällen waren wir schnell auf Sendung und haben versucht, angemessen zu informieren. Wir als Fernsehsender haben in solchen Situationen eine ganz besondere Aufgabe, mit der wir sehr verantwortungsvoll umgehen müssen.

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