„Wow Mom“-Autorin: „Schwangere haben ein Recht aufs Unglücklichsein“
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Die Buchautorinnen Lisa Harmann (links) und Katharina Nachtsheim betreiben auch den erfolgreichen Blog stadtlandmama.de.
© Quelle: Juliane Dunkel
Mit Stadtlandmama.de betreiben sie einen der größten Familienblogs Deutschlands. Nun veröffentlichen Katharina Nachtsheim und Lisa Harmann ihr drittes Buch: „Wow Mom — Der Mutmacher für deine Schwangerschaft“. Warum das finale Werk der „Wow Mom“-Triologie kein Ratgeber ist und was Schwangere über Fritten wissen sollten, erzählen die beiden Autorinnen im Interview.
In diesen Tagen erscheint Ihr drittes Buch. Thematisch geht es mit dem Thema Schwangerschaft aber um den Anfang.
Lisa Harmann: Es hat was von Star Wars, was die Dramaturgie angeht, das stimmt. „Wow Mom“ ist eine Trilogie geworden, weil wir festgestellt haben: Es braucht einen Mutmacher schon in der Schwangerschaft und nicht erst mit dem Baby. Denn nicht alle Freundinnen werden gleichzeitig schwanger, und Corona macht es noch dramatischer.
Weil man kaum noch andere Leute trifft, ist es gut, wenn man einen emotionalen Begleiter in der Schwangerschaft hat, der einem sagt, dass man sich nicht zu viele Sorgen machen muss. In unserem Buch geht es nicht um den Körper, nicht um medizinische Fakten, sondern um die emotionale Begleitung dieses Gedankenkarussells, das einen dann doch heimsucht.
Was sind denn die Sorgen, die Schwangere heute haben?
Katharina Nachtsheim: Eigentlich gründen wir ja schon in der Schwangerschaft das Dorf, das einen auch später begleitet. Man geht zum Schwangerschaftsyoga oder in Vorbereitungskurse. Aber das meiste davon fällt gerade weg. Die meisten sind im Homeoffice, so kann man sich nicht mal mit den Kolleginnen und Kollegen austauschen. Viele sind momentan schlicht einsam.
Harmann: Klar kann man mal telefonieren. Aber neulich sagte eine schwangere Freundin zu mir: „Niemand kennt mich mit Bauch!“ Das ist natürlich blöd. Man ist ja auch stolz. Aber auch fernab von Corona gibt es Dauerfragen, die einen beschäftigen und zu denen man den Austausch braucht. Etwa Thema Gleichberechtigung. Bis zur Schwangerschaft sind wir ja im Grunde gleichberechtigt. Die Schwangerschaft ist dann der erste Schritt, in dem wir merken, dass das nicht mehr stimmt. Wir fragen uns: Wie wird das alles nach der Geburt? Wie geht das mit dem Job weiter? Plötzlich sind da so viele Unsicherheiten.
Nachtsheim: Viele Frauen müssen erst einmal überlegen: Was bin ich überhaupt für ein Typ? Muss ich all das machen, was alle sagen? Muss ich mich jeden Tag freuen über den wachsenden Bauch, obwohl ich Pickel kriege und hässlich aussehe?
Harmann: Wir finden es wichtig, eine Last zu nehmen. Schwangere haben zum Beispiel auch ein Recht aufs Unglücklichsein.
Warum ist es wichtig, Schwangeren Mut zu machen?
Harmann: Wir wurden schon gefragt, ob Schwangerschaft etwas Beängstigendes ist und es deshalb einen Mutmacher braucht. Ich finde aber nicht, dass Mut etwas mit Angst zu tun haben muss. Wir brauchen auch Mut fürs nächste Bewerbungsgespräch oder fürs erste Date, also für positiv besetzte Dinge. Ähnlich ist es mit der Schwangerschaft: Wir wollen Mut machen für diesen großen Schritt.
Haben werdende Mütter heute andere Themen als noch vor 15 Jahren? Damals waren Sie, Frau Harmann, das erste Mal schwanger.
Harmann: Bei meinen Schwangerschaften gab es weder Smartphones noch soziale Medien in der Breite. Was mir auffällt: Die Babyblase wird inzwischen sehr romantisiert von der Öffentlichkeit. Es gibt aber auch eine Gegenbewegung. Das sind die Accounts, denen wir von Stadt Land Mama auch bei Instagram folgen. Das sind dann die echten Eltern, die zeigen, dass man sich nicht den ganzen Tag bauchstreichelnd glückselig fühlen muss. Durch diese romantisierten, unechten Bilder wird unglaublich Druck aufgebaut. Und das ist sicher ein großer Unterschied zu der Zeit, als ich schwanger war. Dazu kommt, dass die Vorsorge immer besser wird, was Fluch und Segen zugleich ist. Denn in Vorsorge steckt ja auch das Wort Sorge.
Nachtsheim: Auch die Rolle der Frau hat sich geändert. Vor einigen Jahren waren die Rollen noch traditioneller verteilt, und es wurde von der Frau nicht erwartet, dass sie alles gleichzeitig macht, zum Beispiel was die Berufstätigkeit betrifft. Werdende Mütter müssen heute viel genauer hinterfragen, wie sie als Mutter und als Frau weiterleben wollen. Dabei ist es für sie schwerer, ihre eigene Rolle zu finden und nicht nur das zu machen, von dem sie glauben, dass sie dies und jenes erfüllen müssen. Das ist schon anders heute.
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Lisa Harmann, Katharina Nachtsheim: „Wow Mom: Der Mutmacher für deine Schwangerschaft (Stadt-Land-Mama, Band 3)“, Fischer Krüger, 304 Seiten, ISBN: 3810506834, 16,99 Euro.
© Quelle: Krüger Verlag
Ist darum auch ein gewisser Hype um das Thema Schwangerschaft durchaus berechtigt? Immerhin haben Sie ja einen Ratgeber dazu geschrieben.
Nachtsheim: Alle Schwangerschaftsbücher, die ich gelesen habe, gingen darum, wie groß das Kind gerade ist und wie viel Kilogramm ich hätte zunehmen sollen. Was es nicht gab, und genau in diese Kerbe schlägt unser Buch, ist die Frage, wie sich die Frau dadurch emotional verändert.
Harmann: Und das Buch ist übrigens kein Ratgeber, sondern ein emotionaler Begleiter. Wir können keine Ratschläge geben, weil jede Schwangere, jede Partnerschaft und jedes Baby anders ist. Ich glaube, warum die Schwangerschaft ein so großer Einschnitt ist, liegt auch an dem Kontrollverlust, den wir gar nicht mehr gewöhnt sind. Wir glauben, wenn wir fleißig sind, alles aus den Ratgebern genau umsetzen, dann muss es auch gut werden. Wir geben aber als Schwangere ein Stück weit die Kontrolle über unseren Körper ab. Es ist nicht steuerbar, wie groß der Bauch ist, und wir sehen die Ausweglosigkeit, wenn es auf die Geburt zugeht. Das sind alles Dinge, die uns nachts wach halten.
Was das nicht schon immer so?
Harmann: Das hat Frauen sicher schon immer beschäftigt. Aber in einer Zeit, in der wir glauben, man könne alles erreichen, wenn man es nur richtig will, ist es schwierig zu akzeptieren, dass die Dinge nicht nach Plan laufen. Und da geht die Metamorphose los, denn wir fangen an nachzudenken: Was für eine Frau bin ich? Was habe ich noch in der Hand? Und kann ich die Dinge auch einfach geschehen lassen? Gleichzeitig werden wir durch diese kommerzialisierte Welt getrieben. Wir sollen uns trainieren, wir sollen alles kaufen, vom Nasensauger bis zur App-gesteuerten Superwiege. Und natürlich wollen wir alles richtig machen, weil wir plötzlich die Verantwortung für ein ganzes Menschenleben tragen. Wir sind nicht mehr nur für uns zuständig. Das ist ja die große Veränderung. Und das kann ordentlich Druck aufbauen. Und den versuchen wir, den Frauen zu nehmen, indem wir sagen: Du wirst das Kind schon schaukeln, auch wenn du zwischendurch mal Fritten isst.
In Ihrem Buch kommen sehr viele unterschiedliche Mütter zu Wort. Was sind das für Perspektiven, die zu oft noch übersehen werden?
Nachtsheim: Wir haben mehrere Ansprachen an Frauen, die ihre Kinder allein oder die ihre Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften großziehen. Es geht auch um die Perspektive von Frauen, die nicht gesunde Kinder zur Welt gebracht haben oder die selbst Handicaps haben und schwanger geworden sind. Ich glaube, wir sind heute weiter denn je von der Kleinfamilie aus Vater, Mutter und zwei Kindern entfernt. Es ist uns ganz wichtig, auch diesen Druck zu nehmen. Gute Mutterschaft bedeutet nämlich nicht, dem Kind einen vermeintlich perfekten Rahmen zu bieten.
Eine Perspektive kommt in Ihrem Buch nur wenig vor. Die des Vaters nämlich. Warum?
Nachtsheim: Wir sind Mütterexperten und keine Väterexperten. Wir sind im Übrigen auch keine Kinderexperten, weswegen wir nicht sagen könnten, wie man die Kinder erziehen soll. Wir wissen aber ziemlich gut, wie Frauen und wie Mütter ticken.
Harmann: Wir lassen Klaus Althoff zu Wort kommen. Er ist vom Artgerecht-Projekt und hat selbst das Buch „Vater werden“ rausgebracht. Dieser Teil ist auch tatsächlich ein kleiner Ratgebereinschub in unserem Buch, denn er erzählt, wie man sich als Mann verhalten kann, wenn man die Frau plötzlich nicht mehr versteht.
Viele Frauen erzählen in Ihrem Buch ganz persönliche Geschichten. Was hat Sie am meisten berührt?
Harmann: Eines unserer Highlights ist der Text von Sophie vom Kinderhaben-Blog. Darin erzählt sie, wie sie überraschend mit einem dritten Kind schwanger wird und einfach nur denkt: „Fuck, das passt jetzt gar nicht in meinen Plan.“ Was uns auch rührt, ist die Geschichte einer Hebamme, die von ihren drei faszinierenden Geburten erzählt. Da haben wir wirklich ein Tränchen verdrückt.
Nachtsheim: Auch die Geschichte einer Freundin von mir, die ihr zweites Kind verloren hat und uns dann in der dritten Schwangerschaft einen Gastbeitrag schreibt. Dort sagt sie: „Ein Kind zur Welt zu bringen ist nicht selbstverständlich.“ Das berührt mich sehr. Es ist wichtig, die Frauen abzuholen, die Fehlgeburten erlebt haben. Wir alle wissen, wie häufig das vorkommt. Die Kinder sind ja nicht vergessen. Auch diesen Geschichten möchten wir Raum geben.
Harmann: Gerade denke ich auch an die Geschichte von Ina. Die hat sich weinend auf Instagram gezeigt und gesagt: „Das war mein Wochenbett. Und mich hat niemand vorgewarnt.“ Ich finde es wichtig, die Frauen darauf vorzubereiten, dass das Wochenbett anders sein kann, als wir uns das denken. Meist sind es zwar drei Tage, die der Babyblues, also diese tränenreiche Zeit, anhält. Aber es kann eben auch länger dauern. Es ist einfach gut zu wissen, was das Hormonchaos alles mit uns machen kann.
Welche Geschichte hätten Sie gern gelesen, als Sie selbst schwanger waren?
Harmann: Ich hab weniger gelesen als geschrieben. Deswegen war es so schön, jetzt das Schwangerbuch zu schreiben, weil ich wirklich akribisch Tagebuch geführt habe. Ich war 23, als ich schwanger wurde. Da haben meine Freundinnen noch nicht mitgemacht. Dieses Buch hätte mir geholfen, mich nicht als Außerirdische zu sehen, die als Einzige auf der Welt diese Empfindungen hat.
Nachtsheim: Mir war nicht bewusst, wie lifechanging das Ganze ist. Ich bin schon ziemlich reingestolpert in das Thema Mutterschaft. Vorher hatte ich immer gedacht: Ich weiß gar nicht, warum die sich immer alle so anstellen, ich nehm das Kind einfach überall hin mit. Dann kam die Realität. Ich glaube, so geht es vielen: Sie nehmen sich vor, dass eine Elternschaft nichts verändert. Dass man möglichst cool bleibt, dass man weiterarbeitet, dass man genauso aussieht, immer noch witzig und sexy und so weiter ist. Dabei ist es eine Veränderung. Es wäre schön gewesen, wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass ich diese Veränderung einfach umarmen kann. Denn es kommen ganz tolle, neue Sachen in unser Leben. Darauf können wir uns einfach freuen.