Urbane Hipster auf Sinnsuche
Explodierende Mieten, übervolle Kitas: Immer mehr Großstädter träumen vom Landleben. In Gemüsebeeten und alten Scheunen suchen sie nach einem märchenhaften Idyll, das Erlösung von der Moderne verspricht. Herzlich willkommen in der Glokalisierung! Ein Essay von Imre Grimm über uralte Provinzklischees, Stadtflucht und urbane Hipster auf Sinnsuche.
Stell Dir vor, es gäbe einen Ort, an dem die Wiesen sattgrün und die Lüfte lau sind, an dem rotwangige Kinder im hohen Gras nach Schmetterlingen haschen und herzensgute Großmütter den Apfelkuchen zum Abkühlen auf die Fensterbank stellen. Man imkert, bäckt, kocht, schreinert und schmiedet an diesem Ort des Glücks, man tanzt, trinkt, betet und singt gemeinsam in diesem Paradies, wo wir uns finden, wohl unter Linden, zur Abendzeit.
Es ist ein Ort, der keiner Realität standhält. Denn er existiert nicht. Und doch lebt er: in der Phantasie zermürbter und vom Stress zerschossener Großstädter, die beim Blick auf regengraue Hochhausfassaden und vierspurige Staus auf Stadtautobahnen mal wieder ihren Bullerbü-Moment haben. Nur raus. Hinaus aufs Land. Oder zumindest zum „Urban Gardening“ auf‘s Dach oder den Balkon, wo sich Tomatenpflanzen in den schwefligen Metropolenhimmel recken. „Hallo, hallo“, singen Revolverheld in ihrer Stadtflüchtlerhymne „Lass uns gehen“, „Bist du auch so gelangweilt / Genervt und gestresst von der Enge der Stadt?“